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»Wir trampeln dabei nicht auf Leuten herum. Wir wollen nicht, daß man sich vor uns verbeugt.« Er grinste. »Ausgenommen die Allardecks, versteht sich.«

Wir gossen Kaffee auf, und während wir ihn tranken, rief ich einige von Großvaters althergebrachten Lieferanten sowie seinen Tierarzt, Hufschmied und Klempner an. Alle waren erstaunt über meine Frage, und keiner von ihnen hatte ein gekennzeichnetes Exemplar der Flag erhalten.

»Die kleine Ratte hat einen Verräter im eigenen Lager«, sagte Großvater ohne feststellbares Bedauern. »Wer ist seine Sekretärin?«

»Niemand. Er macht alles selbst.«

»So? Allardeck hatte eine Sekretärin.«

»Du hast mir an die fünfzig Mal erzählt, daß Allardeck nur eine Sekretärin hatte, weil du eine hattest. Du hast dich in seiner Hörweite gebrüstet, du brauchtest eine Sekretärin, weil du so viele Pferde zu trainieren hattest, deshalb hat er sich auch eine besorgt.«

»Er konnte es nie ertragen, wenn ich mehr hatte als er.«

»Und wenn ich mich recht erinnere«, sagte ich, »bist du im Dreieck gesprungen, als er sich Übungsstartboxen anschaffte, und hast nicht eher geruht, bis du selbst welche hattest.«

»Niemand ist vollkommen.« Er zuckte wegwerfend die Achseln. »Wenn die kleine Ratte keine Sekretärin hat -wer kennt denn sonst sein Leben in- und auswendig?«

»Das«, meinte ich, »ist eben die Frage.«

»Maynard«, sagte Großvater bestimmt. »Der ist es. Maynard hat noch lange nach seiner Heirat in dem Haus gelebt, wie du dich erinnern wirst. Er heiratete mit achtzehn ... dumm fand ich das, aber Bobby war unterwegs. Und danach war er mit Unterbrechungen noch fünfzehn Jahre dort. Angeblich als Allardecks Assistent, aber zwischendurch schlich er immer nach London, um all diese Geschäfte abzuwickeln. Kakao! Hat man je gehört, daß einer ein Vermögen mit Kakao verdient? Das war Maynard. Allardeck hat darüber wochenlang gegrient, unaufhörlich davon gefaselt, wie schlau sein Sohn wäre. Tja, mein Sohn war tot, was ich ihm eines Tages klipp und klar in Erinnerung rief, und danach hielt er den Schnabel.«

»Maynard würde Bobbys Laufbahn nicht zerstören«, sagte ich.

»Wieso denn das? Er redet nicht mehr mit ihm, seit er und Holly zusammen sind. Holly sagte mir, wenn Maynard Bobby etwas mitteilen möchte, dann läßt er es von seinem zahmen Anwalt schreiben. Und bisher haben alle Briefe sich darum gedreht, daß Bobby das Geld zurückzahlen soll, von dem Maynard ihm nach seinem Schulabschluß ein Auto finanziert hat. Holly sagt, Bobby war damals so angetan, daß er sich brieflich bei seinem Vater bedankte und versprach, es ihm eines Tages wiederzugeben, und jetzt nagelt Maynard ihn darauf fest.«

»Nicht zu fassen.«

»Die reine Wahrheit.«

»Was für ein Bastard.«

»Maynard ist wirklich alles mögliche«, sagte Großvater trocken, »aber kein Bastard. Er kommt voll und ganz nach Allardeck. Dieselbe höhnische Visage. Dasselbe hochnäsige Grinsen. Glatte Haare. Kein Kinn. Die kleine Ratte ist im übrigen genauso.«

Bobby, die kleine Ratte, war, wenn man ihn nicht mit den Augen eines Fielding sah, ein Mann mit völlig normalem Kinn und recht angenehmem Lächeln, aber ich ließ das hingehen. Die Sünden und Fehler der Allardecks, einst und jetzt, konnten in einem Fieldinghaushalt niemals objektiv beurteilt werden.

Ich blieb den ganzen Nachmittag bei Großvater und ging zur Stallkontrolle um halb fünf mit ihm den Hof ab, als der kurze Wintertag schon dunkelte und die Lichter in den Boxen gelb strahlten.

Die Burschen hatten wie immer viel zu tun, misteten aus, holten Heu und Wasser, brachten die Boxen in Ordnung. Der langjährige Futtermeister (den Großvater nie anschrie) begleitete uns, und die beiden erörterten in knappen Worten jedes der etwa fünfzig Pferde. Ihre Stimmen waren leise, gedankenvoll, ernst - und in gewisser Hinsicht auch bedauernd, denn die Erwartungen und Erfolge des Jahres waren gelaufen, die Aufregung vorbei.

Ich fürchtete den Tag, an dem es mit diesen Aufregungen endgültig vorbei sein würde, an dem Großvater erkrankte oder starb. Er würde sich nicht zurückziehen, ehe es sein mußte, da die Arbeit sein ganzes Leben war, doch dann, in nicht allzu ferner Zeit, sollte ich in dieses Haus zurückkehren und die Lizenz übernehmen. Großvater erwartete es, die Besitzer waren darauf vorbereitet, die Rennwelt generell hielt es für eine ausgemachte Sache; und ich wußte, daß ich noch längst nicht soweit war. Ich wollte noch vier, fünf Jahre weitermachen in dem Sport, dem meine Leidenschaft galt, wollte Rennen reiten, solange mein Körper fit und unversehrt war und irgend jemand mich bezahlte. Hindernisjockeys bleiben nie so lange aktiv wie Flachrennreiter, denn dreißigmal und mehr im Jahr mit fünfzig Stundenkilometern auf den Boden zu krachen ist ein Sport für junge Leute. Aber ich hatte mir immer vorgestellt, daß fünfunddreißig so ungefähr das Alter wäre, um den Beruf an den Nagel zu hängen.

Bis ich fünfunddreißig war, würde Großvater siebenundachtzig sein, und selbst für ihn ... Ich fröstelte in der kalten Luft und schob den Gedanken weg. Der Zukunft würde ich mich stellen müssen, aber noch war sie nicht da.

Zu Großvaters großer Empörung verließ ich ihn nach der Stallkontrolle und kehrte zum Feindeshaus zurück, wo ich die Endphase des gleichen abendlichen Rituals noch mitbekam. Graves’ Pferde waren noch im Stutenhof, und Bobby fühlte sich jetzt sicherer: Nigel hatte ihm gesagt, daß Graves mindestens zweimal seine Pferde mit anderen verwechselt habe, als er sonntags morgens vorbeigekommen sei, um sie sich anzusehen. Ich schaute Bobby bei den Pferden zu, als er ihre Beine nach Hitze und strapazierten Sehnen abtastete, leichte Hautausschläge, die hervorgebrochen waren, untersuchte und ihnen einen freundlichen Klaps auf die Kruppe gab. Er war ein geborener Pferdefreund, ganz ohne Zweifel, und die Tiere reagierten auf ihn in der undefinierbaren Art, die anzeigt, daß sie sich bei jemandem wohl fühlen.

Ich hielt ihn zuweilen vielleicht für ein wenig unentschlossen und auch für keinen Schnelldenker, doch er war tatsächlich ein ganz guter Kerl, und ich konnte nachvollziehen, daß Holly ihn liebte. Er hatte sie außerdem selbst so sehr geliebt, daß er seinen Vorfahren den Rücken kehrte und sich von seinem einflußreichen Vater abwandte, und mir schien, dazu hatte auch Stärke gehört.

Er erhob sich, nachdem er ein Bein befühlt hatte, und sah, daß ich ihn beobachtete. Mit einer instinktiven Bewegung, die geradewegs aus dem Unterbewußtsein kam, richtete er sich zu voller Höhe auf und warf mir einen stechenden, von Feindschaft erfüllten Blick zu.

»Fielding«, sagte er nur, als wäre das Wort selbst schon ein Vorwurf und ein Fluch; ein Kampfruf im weitergehenden Krieg.

»Allardeck«, erwiderte ich im gleichen Ton. Ich grinste ein wenig. »Um die Wahrheit zu sagen, ich dachte gerade, daß ich dich mag.«

»Oh!« Er entspannte sich so schnell, wie er sich verkrampft hatte, und sah verwirrt drein. »Ich weiß nicht ... im ersten Moment ... empfand ich .«

»Schon klar«, sagte ich nickend. »Haß.«

»Deine Augen waren im Dunkeln. Du sahst ... vermummt aus.«

Es war eine annehmbare Erklärung und eine Art Entschuldigung, und ich dachte bei mir, wie vernunftwidrig es war, daß die Tiefenkonditionierung so rasch an die Oberfläche durchdrang. Sie tat es hin und wieder auch bei mir, mochte ich mich noch so sehr dagegen wehren.

Er sah sich schweigend die übrigen Pferde an, und wir gingen zurück zum Haus.

»Es tut mir leid«, sagte er dann mit einem Anflug von

Verlegenheit. »Da drüben ...« Er winkte mit der Hand. »Ich hab’s nicht so gemeint.«

Ich fragte neugierig: »Kommt dir Holly auch manchmal so vor? Als eine Fielding? Wenn ihre Augen im Dunkeln sind, fühlst du dich dann bedroht?«

»Nein, natürlich nicht. Sie ist anders.«