Bobby krauste die Stirn. »Du mußt es ihm erzählt haben«, wiederholte er, und es klang eindeutig verstimmt, fast als wäre er eifersüchtig.
»Na ja, nein«, antwortete Holly unsicher.
»Gestern auf dem Weg hierher«, beharrte er.
»Hör mal«, warf ich ein. »Vergiß, daß ich’s gesagt hab. Was liegt daran?«
Bobby blickte grollend zu mir und dann ein wenig versöhnlicher zu Holly, als wäre ihm etwas eingefallen. »Sind
das die Sachen«, sagte er unschlüssig, »die du meintest, als du mir mal erzählt hast, du und Kit hättet als Kinder eure Gedanken gelesen?«
Sie nickte widerstrebend. »Wir haben das aber seit Jahren nicht mehr getan.«
»Es geht heute nicht mehr«, stimmte ich zu. »Ich meine, das war jetzt nur eine Ausnahme. Ein Rückfall. Wahrscheinlich passiert es nicht noch mal.«
Und wenn es noch einmal passierte, dachte ich, würde ich besser aufpassen, was ich sagte. Die ungerufenen Gedanken filtern.
Ich verstand Bobbys Eifersucht sehr gut. Ich hatte sie selbst außerordentlich stark empfunden, als Holly mir zum ersten Mal erzählte, sie habe sich verliebt. Die Eifersucht war schnell von einer eher normalen Bestürzung überlagert worden, als sie bekannte, wen sie in ihr Herz geschlossen hatte, aber ich erinnerte mich noch an den intensiven Wunsch, Holly nicht zu teilen, meinen Status als ihr engster Freund nicht an einen Fremden abzutreten.
Meine Eifersucht hatte mich etwas geschockt und mich zu einiger Gewissensforschung veranlaßt, denn nie zuvor hatte ich die Gefühle, die ich für meine Schwester hegte, hinterfragt. Ich war dann zu der beruhigenden, aber auch wehmütigen Einsicht gelangt, daß sie mit Bobby soviel schlafen konnte wie sie wollte, ohne daß es mir naheging: Was mich störte, war der Verlust der geistigen Intimität.
Natürlich hatte ich selbst auch sexuelle Abenteuer gehabt, sowohl vor als auch nach ihrer Heirat, aber das waren kurzlebige Affären ohne Tiefgang gewesen, die nicht annähernd an Hollys Engagement für Bobby heranreichten. Du hast noch jede Menge Zeit, dachte ich, wart’s ab, eines Tages - und andere Plattheiten dieser Art.
Bobby tat zumindest so, als ob er glaubte, daß Telepathie zwischen mir und Holly nicht mehr vorkommen würde, doch sie und ich tauschten nur einen ganz kurzen Blick aus und waren anderer Meinung. Wenn wir uns entschließen würden, uns sozusagen darauf einzustimmen, würde die alte Gewohnheit wieder aufleben.
Alle drei verbrachten wir den Abend in dem Bemühen, nicht andauernd zu den Kernfragen Wer und Warum zurückzukehren, und gingen schließlich müde ohne brauchbare Antworten zu Bett. Ich legte mich wieder in Jeans, Socken und Pullover hin für den Fall, daß Graves zurückkäme, doch ich vermutete, wenn er es je geplant hatte, dann hatte er sich’s anders überlegt.
Ich war im Irrtum.
Die Glocke weckte mich scheppernd um Viertel vor vier in der Frühe, und gemäß der Strategie, die Bobby und ich am Vorabend vereinbart hatten, war ich bereits in meinen Schuhen, aus dem Haus und lief die Einfahrt hinunter, noch bevor sie aufhörte zu läuten.
Durch das offene Tor, dann links; und tatsächlich, auf dem Grasstreifen am Straßenrand, der manchmal Zigeunern als Lagerplatz diente, standen die nötigen Mittel zur Pferdebeförderung. Ein Pkw diesmal, mit einem Hänger für zwei Tiere. Ein Hänger, dessen Rampe heruntergelassen war; gebrauchsfertig, aber noch nicht beladen.
Ich lief geradewegs zu dem Auto und riß die Fahrertür auf, doch es war niemand drin, der hätte überrumpelt werden können. Nur die Schlüssel steckten in der Zündung; unglaublich.
Ich klappte die Rampe des Anhängers hoch und verriegelte sie, dann stieg ich in das Auto, ließ es an und fuhr zweihundert Meter zu einer Nebenstraße. Dort bog ich ein, parkte ein Stück weiter unten, ließ die Schlüssel stecken wie gehabt und sprintete zurück zu Bobbys Stallhof.
Die Szene dort war nahezu eine Neuauflage vom letztenmal, wenigstens was die Beleuchtung, das Geschrei und Geschimpfe anging. Bobby und Jermyn Graves standen vor der leeren Box, die mit der Alarmglocke verbunden war, und hatten sich beinah am Kragen. Ein schmächtiger Junge von vielleicht sechzehn Jahren stand etwas weiter weg, hielt eine große Tragetasche, trat von einem Fuß auf den anderen und sah unglücklich drein.
»Geben Sie mir mein Eigentum«, schrie Graves. »Das ist Diebstahl.«
»Ist es nicht«, sagte ich ihm ins Ohr. »Diebstahl heißt vorsätzlich jemanden berauben.«
»Was?« Er fuhr herum und stierte mich an. »Sie schon wieder!«
»Wenn Sie von Recht reden«, sagte ich, »es ist nicht illegal, Sachen, für die jemand Geld schuldet, zurückzuhalten, bis die Schuld beglichen ist.«
»Ich ruiniere Sie«, sagte er rachsüchtig. »Ich richte Sie beide zugrunde.«
»Nehmen Sie Vernunft an, Mr. Graves«, sagte ich. »Sie sind im Unrecht.«
»Ja, scheiß drauf. Ich lasse mich nicht von einem hergelaufenen Jockey und einem bankrotten kleinen Trainer unterkriegen, das versichere ich Ihnen.«
Der Junge, der bei ihm war, sagte nervös: »Onkel ...«
»Du hältst dich raus«, bellte Graves.
Der Junge ließ die Tragetasche fallen und stolperte, als er sie aufhob.
»Gehen Sie, Mr. Graves«, sagte ich. »Beruhigen Sie sich. Denken Sie noch mal drüber nach. Kommen Sie Ihre Pferde abholen, wenn Ihr Scheck eingelöst ist, und der Fall ist erledigt.«
»Noch lange nicht.«
»Ihre Sache«, meinte ich achselzuckend.
Bobby und ich beobachteten ihn bei dem Versuch, ohne ernsthaften Gesichtsverlust das Feld zu räumen, was kaum zu bewerkstelligen war. Er ließ großschnäuzig noch ein paar Drohungen vom Stapel, sagte dann schließlich gereizt »Komm schon, komm« zu seinem Neffen und stolzierte die Einfahrt hinunter.
»Hast du seinen Transporter lahmgelegt?« fragte Bobby.
»Es war ein Wagen mit Anhänger, und der Schlüssel steckte. Ich hab ihn bloß um die nächste Ecke gefahren, wo man ihn nicht sieht. Wer weiß, ob sie ihn finden.«
»Wir haben uns wohl umsonst gesorgt«, meinte Bobby. »Da Graves zuerst an der gesicherten Box war.«
Wir hatten uns überlegt, er könnte zuerst zu der Box seines anderen Pferdes gehen, sie leer vorfinden, annehmen, er habe sich im Platz geirrt, und vielleicht ein Pferd aus den benachbarten Boxen holen. Wir dachten, er käme vielleicht mit mehr Leuten. Tatsächlich hatte er beides nicht getan. Aber die Vorsichtsmaßnahme war vielleicht doch gut gewesen.
Wir sperrten den leeren Stall ab, und Bobby stieß mit dem Fuß gegen etwas am Boden. Er bückte sich, um es aufzuheben, und hielt es mir hin: ein großes Stück Filz mit Klettverschlüssen. Ein Geräuschdämpfer für einen Huf. Zweifellos aus der Tragetasche gefallen.
»Keine Hufleder«, sagte Bobby grimmig. »Heimarbeit.«
Er schaltete das Hoflicht aus, und wir blieben eine Zeitlang wartend an der Küchentür stehen. Wir dachten, daß wir in der stillen Nacht hören würden, wie der Wagen mit dem Hänger losfuhr. Statt dessen hörten wir zögernde Schritte, die zurück in den Hof kamen.
Bobby knipste das Licht wieder an, und der Junge stand da, zwinkernd und zutiefst verlegen.
»Jemand hat meinem Onkel das Auto gestohlen«, sagte er.
»Wie heißt du?« fragte ich.
»Jasper.«
»Graves?«
Er nickte mit dem Kopf und schluckte. »Mein Onkel will, daß ich die Polizei anrufe und ein Taxi bestelle.«
»Wenn ich du wäre«, sagte ich, »würde ich hier zum Tor rausgehen, mich links halten, dann die erste Straße links einbiegen und die Telefonzelle benutzen, die du da unten findest.«
»Ach so«, sagte er. »Ist gut.« Er schaute uns fast flehend an.
»Es sollte nur ein Jux sein«, sagte er. »Es ist alles schiefgelaufen.«
Wir hatten kein gutes Wort für ihn, und so drehte er sich um und ging wieder die Einfahrt hinunter, wo seine Schritte langsam verschwanden.