»Was denkst du?« sagte Bobby.
»Ich denke, wir sollten die Glocke so anbringen, daß jeder, der die Einfahrt heraufkommt, sie auslöst.«
»Finde ich auch. Und gleich nach dem Aufstehen binde ich sie los.«
Wir begannen damit, eine schwarze Schnur straff in Kniehöhe über die Einfahrt zu spannen, und hörten, wie Graves’ Wagen in der Ferne ansprang.
»Er hat ihn gefunden«, sagte Bobby. Er lächelte. »Wußtest du, daß in der Straße gar keine Telefonzelle ist?«
Wir stellten die simple Alarmanlage fertig und gingen gähnend ins Haus, um noch ein paar Stunden zu schlafen.
Als ich mich hinlegte, sann ich darüber nach, auf welche Art und Weise eine Fehde entstehen konnte, so wie mit Graves, die dann vielleicht jahrhundertelang fortbestand, wie bei den Allardecks und Fieldings, und sich zu politischer und religiöser Verfolgung auf nationaler Ebene ausweiten konnte, zu einer hartnäckig sich selbst verewigenden Denkschablone, einem zerstörerischen, verbohrten Haß. Ich würde in meinem kleinen Winkel einen Anfang machen, dachte ich sardonisch, schon halb im Schlaf, und mein Unterbewußtsein zwingen, die Allardecks zu lieben, zu denen meine Schwester, Gott helfe ihr, gehörte.
Die Beharrlichkeit der Dinge zeigte sich am Morgen von der häßlichsten Seite.
Ich ging ans Telefon, als es um halb neun klingelte, denn Bobby bewegte draußen seine Pferde, während Holly sich erneut nicht wohl fühlte. Am Apparat war der Futterhändler, und er rief an, um in seinem Eton-Akzent mitzuteilen, daß er ein weiteres Exemplar der Daily Flag erhalten hatte.
»Ich habe sie gerade reingeholt«, sagte er. »Sie ist von heute. Montag. Ein Beitrag ist wieder rot eingerahmt.«
»Was steht drin?« fragte ich mit sinkendem Mut.
»Ich glaube ... na ja ... Sie können sie holen kommen, wenn Sie möchten. Der Text ist diesmal länger. Und ein Bild von Bobby ist dabei.«
»Ich komme.«
Ich fuhr sofort mit Hollys Wagen rüber und fand den Futterhändler wie zuvor in seinem Büro. Wortlos gab er mir die Zeitung, und mit wachsender Bestürzung schaute ich auf das Foto, das Bobby als grinsenden Idioten erscheinen ließ, und las den Tiefschlag in den >Intimen De-tailsc.
Zunehmende Geldsorgen hat Robertson (Bobby) Allardeck (32), der nach wie vor ein paar Pferde in den einst blühenden Ställen seines Großvaters in Newmarket trainiert. Die Händler am Ort drohen, wegen unbezahlter Rechnungen vor Gericht zu gehen. Bobby bestreitet lahm, daß die Besitzer der verbliebenen Pferde Grund zur Sorge haben, obwohl der Futterhändler seine Lieferungen eingestellt hat. Wie wird das enden?
Nicht mit einem himmlischen Geschenk von Papa. Maynard »Geldsack« Allardeck (50), bös auf Bobby wegen dessen unerwünschter Heirat, wird nicht zu Hilfe kommen.
Maynard, der es bekanntlich auf die Ritterwürde abgesehen hat, gibt sein ganzes Kleingeld an wohltätige Stiftungen.
Die Meinung des armen Bobby? Nicht druckfähig.
Demnächst mehr an dieser Stelle.
»Wenn Bobby nicht wegen Verleumdung klagt«, sagte ich, »tut es bestimmt sein Vater.«
»Je größer die Wahrheit, desto größer die Verleumdung«, meinte der Futterhändler trocken und setzte hinzu: »Sagen Sie Bobby, er hat wieder Kredit bei mir. Ich habe es mir überlegt. Er hat mich immer ordentlich bezahlt, wenn auch immer mit Verspätung. Und ich mag nicht von solchem Mist manipuliert werden.« Er deutete auf die Zeitung. »Also sagen Sie Bobby, daß ich ihn wie gehabt beliefere. Das soll er auch seinen Besitzern sagen.«
Ich dankte ihm und fuhr zurück zu Bobbys Haus, wo ich bei einer Tasse Kaffee in der Küche die Intimen Details noch einmal las. Dann rief ich gedankenvoll den Futterhändler an.
»Haben Sie eigentlich jemandem erzählt«, sagte ich, »daß Sie vorhatten, Bobby nicht mehr zu beliefern?« »Ich habe es Bobby gesagt.« Er klang ebenso nachdenklich. »Sonst keinem.«
»Sicher?«
»Absolut.«
»Auch nicht Ihrer Sekretärin? Ihrer Familie?«
»Ich gebe zu, daß ich am Freitag sehr verärgert war und augenblicklich mein Geld haben wollte, aber keiner hat mitbekommen, wie ich Bobby deswegen eine Standpauke hielt, bestimmt nicht. Meine Sekretärin kommt freitags erst um elf, und wie Sie wissen, ist mein Büro in einem Nebengebäude. Ich war allein, als ich ihn anrief, das versichere ich Ihnen.«
»Gut, vielen Dank«, sagte ich.
»Der Informant muß bei Bobby sein«, beharrte er.
»Ja. Ich glaube, Sie haben recht.«
Wir legten auf, und ich begann - was ich noch nie getan hatte - die Flag von vorn bis hinten zu lesen, um vielleicht Aufschluß darüber zu erhalten, was eine Zeitung veranlaß-te, plötzlich einen harmlosen Menschen anzugreifen und ihn vernichten zu wollen.
Der durchgehende Tenor der Flag, stellte ich fest, war selbstgerechte Bosheit, ihr Motto Hohn, ihr Nachgeschmack die sichere Gewähr dafür, daß der Leser kampflustig aufstand und nach einem Vorwand suchte, um sich zu ärgern oder Zwietracht zu säen.
Jede Story, die auf irgendwen ein schlechtes Licht warf, war drin. Lob fehlte. Das Herabsetzen war zu einer kleinen Kunst entwickelt worden, so daß eine Frau, wie prominent und erfolgreich auch immer, niemals etwas sagte; statt dessen »flötete« sie, oder sie »kreischte«, wenn sie nicht »jammerte«. Ein Mann »gluckste«, oder er »keifte«, oder er »quiekte«.
Das Wort »Zorn« erschien auf jeder einzelnen Seite. Alles mögliche wurde »geknallt«, nur keine Türen. Wenn von Leuten berichtet wurde, daß sie etwas bestritten, erhielt »bestreiten« den Sinn von »schuldig, aber ungeständig«, und das Wort »behaupten«, wie etwa in: »Er behauptet, gesehen zu haben«, war aus der Sicht der Flag gleichbedeutend mit: »Er lügt, wenn er sagt, er hat gesehen ...«
Die Flag war der Auffassung, Respekt sei überflüssig, Neid normal, alle Beweggründe seien niedrig und geliebt würden nur Hunde; und vermutlich war es das, was die Leute lesen wollten, denn die Auflage (so schrieb die Flag) stieg jeden Tag.
In der Annahme, daß eine Zeitung letzten Endes die Persönlichkeit ihres Verlegers widerspiegelte, wie der Towncrier die von Lord Vaughnley, hielt ich den Verleger der Daily Flag für destruktiv, berechnend, unsozial und gefährlich. Keine erhebenden Aussichten. Es bedeutete, daß man schwerlich an das Gute in der Flag appellieren konnte, damit sie Bobby in Ruhe ließe, denn das Gute war nicht vorhanden.
Holly kam blaß, aber besser gelaunt nach unten, Bobby kehrte mit frischem Optimismus von der Heide zurück, und daß ich ihre neu geschöpfte Kraft schon im Ansatz zerstören mußte, war für mich nur ein Grund mehr, die Flag zu verabscheuen.
Holly begann leise zu weinen, und Bobby hätte am liebsten Geschirr zerschmissen, während er in der Küche umherstapfte, und immer noch blieb die Frage unbeantwortet: Warum?
»Diesmal«, sagte ich, »geht ihr zu eurem Anwalt, egal, was es kostet. Außerdem werden wir alle eure dringendsten Rechnungen jetzt auf der Stelle bezahlen und lassen uns von euren Gläubigern schriftlich geben, daß sie ihr Geld erhalten haben. Und diese Zahlungsbestätigungen fotokopieren wir im Dutzend. Wir werden jedem, der eine Flag bekommen hat, einen Satz davon schicken, ebenso an die Flag selbst - per Einschreiben an ihren Chefredakteur Sam Leggatt - und an jeden, der uns sonst noch einfällt. Und dazu legen wir einen Begleitbrief von euch, in dem ihr schreibt, daß ihr nicht versteht, warum die Flag euch angreift, daß die Angriffe aber keine Grundlage haben, daß der Stall in guter Verfassung ist und daß ihr ihn mit Sicherheit nicht aufgebt.«