Es war keine Lüge, dachte ich entschieden. Es stimmte. Er mußte tatsächlich aktiv um den Titel bemüht sein. Großvater hatte gesagt, Maynard habe mit neun den Wunsch gehabt, ein Lord zu werden. Maynard mit fünfzig war noch die gleiche Person, aber jetzt mit Geld, mit Einfluß, zweifellos mit einem Draht zu den richtigen Stellen. Maynard konnte gerade jetzt in delikate, aber völlig ungesetzliche Verhandlungen verwickelt sein.
Sir Maynard Allardeck. Es ging einem wirklich flott von den Lippen. Sir Maynard. Verbeugt euch vor mir, ihr Fiel-dings. Ich stehe über euch, einen Bückling bitte.
»Ich habe nichts von einer Ritterwürde gesagt«, verwahrte sich Bobby energischer. »Ich meine, ich weiß doch gar nicht, ob du einen Adelstitel anstrebst. Darüber habe ich kein Wort verloren. Ich hab nie daran gedacht.«
»Warum verklagen Sie die Zeitung nicht?« sagte ich.
»Sie sind still«, fuhr er mich an. »Halten Sie sich da raus.« Er wandte sich wieder an Bobby. »Wenn du nicht am Telefon von einer Adelung gesprochen hast, woher haben die das dann? Warum schreiben sie das ... diese verdammte Lüge? Erzähl mir das mal.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Bobby verwirrt. »Ich weiß nicht, warum die das alles überhaupt geschrieben haben.«
»Jemand hat dich angestiftet, mir Scherereien zu ma-chen«, sagte Maynard und blickte hart, gemein und tödlich ernst.
Alle drei starrten wir ihn entgeistert an. Wie einer so denken konnte, ging über meinen Horizont.
Bobby sagte immer noch stotternd: »Natürlich nicht. Ich meine, das ist doch Unfug. Was sie geschrieben haben, hat nicht dich in Bedrängnis gebracht, sondern mich. Ich würde mir doch nicht selber Scherereien machen. Das ergibt keinen Sinn.«
»Drei Leute riefen mich heute morgen schon vor sieben an, um mir mitzuteilen, daß wieder etwas in der Flag steht«, sagte Maynard zornig. »Ich hab mir auf dem Weg hierher eine gekauft. Ich war augenblicklich überzeugt, daß dein ekelhafter Schwager oder sein Großvater, das Schwein, dahinterstecken; das ist genau ihre dreckige Art.«
»Nein«, sagte Holly.
Maynard überging sie, als hätte sie den Mund nicht aufgetan.
»Ich bin hergekommen, weil du wissen sollst, daß es dir recht geschieht«, sagte er zu Bobby, »und ich bestehe darauf, daß du die Fieldings zwingst, einen Widerruf in die Zeitung zu setzen.«
»Aber«, Bobby schüttelte den Kopf, als hätte er einen Schlag erhalten, »es war nicht Kit. Er würde das nicht tun. Auch nicht sein Großvater.«
»Du bist weich«, sagte Maynard verächtlich. »Du hast nie begriffen, daß sie dir ins Gesicht lächeln können, während sie dir ein Messer in die Rippen stoßen.«
»Hollys wegen«, beharrte Bobby, »würden sie es nicht tun.«
»Du bist ein einfältiger Narr«, sagte sein Vater. »Warum sollten sie nicht versuchen, deine Ehe zu zerrütten? Die wollten sie genauso wenig wie ich. Es ist ein listiger, raffinierter, rachsüchtiger Clan, die ganze Bande, und wenn du einem von ihnen traust, hast du verdient, was du bekommst.«
Bobby warf mir einen raschen Blick zu, aus dem ich nur Unbehagen, keine Vorbehalte las. Weder Holly noch ich verteidigten uns in irgendeiner Form, denn bloße Worte würden Maynard von den Meinungen, die er sein Leben lang gehegt hatte, nicht abbringen, und Ohrfeigen ebensowenig. Außerdem hatten wir ähnliche Schmähreden zu oft bei unserem Großvater gehört, eben über die Allardecks. Wir waren inzwischen gegen heftige Reaktionen mehr oder minder gefeit. Interessanterweise war es Bobby, der protestierte.
»Kit und Holly kümmert es, was aus mir wird«, sagte er. »Dich nicht. Kit kam, um zu helfen, du nicht. Also halte ich mich an die Tatsachen, und ich bin anderer Ansicht als du.«
Maynard sah aus, als traue er seinen Ohren nicht, und um ehrlich zu sein, ich traute meinen auch kaum. Es war nicht nur, daß die Äußerung Bobbys eine ketzerische Abkehr von seiner Erziehung darstellte, sondern daß er den Mut hatte, vor seinen Vater hinzutreten und es ihm ins Gesicht zu sagen.
Ein wenig nervös sah er dabei schon aus. Maynard, so hieß es, weckte Nervosität en gros in den Sitzungssälen jeder Firma, auf die sein Auge fiel, und an diesem Morgen begriff ich, warum. Die unbeugsame Härte in ihm, für uns drei deutlich wahrnehmbar, war bestimmend für seinen Erfolg, und zumindest bei uns gab er sich keine Mühe, sie zu verbergen oder mit Charme zu verkleiden.
Bobby machte eine frustrierte Geste mit beiden Händen, ging zur Spüle hinüber und ließ Wasser in den Kessel laufen.
»Möchtest du Kaffee?« fragte er seinen Vater.
»Natürlich nicht.« Er sprach, als wäre er beleidigt worden.
»Ich habe eine Ausschußsitzung im Jockey-Club.« Er sah auf seine Uhr, dann auf mich. »Sie«, sagte er, »haben mich angegriffen. Und dafür werden Sie büßen.«
Ich antwortete ruhig, aber deutlich: »Wenn ich höre, daß Sie im Jockey-Club gesagt haben, ein Fielding sei verantwortlich für das, was in der Flag stand, verklage ich Sie wegen übler Nachrede.«
Maynard starrte mich böse an. Er sagte: »Sie sind Abschaum von Geburt, Sie sind den Wirbel, den man um Sie macht, nicht wert, und ich würde Sie gern tot sehen.«
Ich spürte, wie Holly neben mir in einem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch vorwärtsstürzen wollte, und packte fest ihr Handgelenk, um sie zu halten. Tatsächlich war ich sehr zufrieden. Ich hatte Maynard an den Augen abgelesen, daß er geneigt war, mich ernst zu nehmen, daß ich das aber nicht wissen sollte. Außerdem hatte ich soeben mit gemischten Gefühlen begriffen, daß gerade mein Erfolg, mein Championat für ihn in seiner Besessenheit unerträglich war.
Drüben im Jockey-Club, der sein uraltes Hauptquartier in der Hauptstraße von Newmarket hatte und dem er seit vier oder fünf Jahren angehörte, würde Maynard, wenn wir Glück hatten, die ganze Flag-Affäre jetzt mit einem mürrischen Scherz abtun. Dort in der Organisation, die den Rennsport regierte, würde er sich höflich geben und das Knurren verbergen. Dort, wo er in untergeordneten Ausschüssen tätig war, während er entschlossen diese spezielle Leiter hochstieg, womöglich um in absehbarer Zeit Steward zu werden - einer des obersten Triumvirats -, würde er jetzt vielleicht aufpassen, daß er nichts sagte, was mir zu Ohren kommen könnte.
Es gab weder aktive Berufsrennreiter im Jockey-Club noch Trainer mit laufender Lizenz, wenn auch ein paar Ehemalige aus beiden Sparten sich auf die Ränge verteilten. Doch es gab viele Pferdebesitzer, unter denen ich wahre Freunde hatte. Die annähernd 140 Mitglieder, die sich der Pflege des Rennsports widmeten, waren intern gewählt, ein exklusiver Verband. Wenn Maynard jemals eine stille Kampagne unternommen hatte, um die Mitgliedschaft zu erhalten, mochte es ihm geholfen haben, daß er aus einer alteingesessenen Rennsportfamilie kam, und es mochte ihm geholfen haben, daß er reich war, doch eines war sicher: Niemals hätte er in diesem kultivierten Rahmen das krasse, brutale Vorurteil gegen die Fieldings zu erkennen gegeben, mit dem er in der Küche herausgeplatzt war. Nichts stieß die höflichen Clubmitglieder so sehr zurück wie die Überschreitung gebotener Grenzen.
Daß Maynard in der Öffentlichkeit gute Manieren wahrte, lag durchaus in meinem Interesse.
Maynard ging, wie er gekommen war, unter Mißachtung privater Umgangsformen, und marschierte grußlos aus der Küche. Wir lauschten den entschwindenden Schritten, dem fernen Zuschlagen einer Autotür und dem Anspringen des Motors.
»Ist dir klar«, fragte Bobby mich langsam, »wenn er zum Steward ernannt wird und du noch Jockey bist ... daß du dann arm dran sein könntest ...?«:
»Mm«, sagte ich trocken. »Wirklich sehr unangenehm.«
Kapitel 6
Ich ritt in Plumpton. Ein typischer Tag mit vier Starts; ein Sieg, einmal Dritter, einmal nirgends, einmal beinah Letzter, mit dementsprechenden Besitzerreaktionen.