Выбрать главу

Es gab keine Möglichkeit, ihn umzustimmen, sei es mit guten Worten, aufmunternden Klapsen oder Zupfen am Ohr. Nichts gefiel ihm. Er legte es auf einen Machtkampf an, und gewöhnlich lieferte ich ihm den.

Wir kreisten am Start, sieben Teilnehmer insgesamt, während das Feld aufgerufen und die Gurte festgezurrt wurden. Warteten im frostigen Novemberwind, der die Gesichter der Jockeys hellblau färbte, auf das Vertickern der Sekunden bis zum Start, stellten uns in keiner bestimmten Ordnung auf, da es bei Hindernisrennen weder eine Auslosung noch Boxen gab, harrten darauf, daß der Starter die Bänder wegzog und uns laufen ließ.

North Faces Kommentar zu dem Verfahren war ein gesenktes Haupt und ein Buckel, und er keilte aus wie ein Mustang. Die anderen Reiter fluchten und hielten sich von ihm fern, und der Starter sagte mir, ich solle möglichst hinten bleiben.

Es war das Hauptrennen des Tages, wenn auch gewichtiger an Prestige als an Prämien; ein Ereignis, bei dem die Sponsoren, eine Zeitung, für minimalen Aufwand maximale Fernsehberichterstattung bekamen. Das Rennen um den Sunday-Towncrier-Ehrenpreis fand jedes Jahr naturgemäß an einem Samstagnachmittag statt, denn so konnte am nächsten Morgen der Sunday Towncrier ausführlich darüber berichten, sich selber auf die Schulter klopfen und dramatische Fotos neben die Skandale auf der Titelseite rücken. Dramatische Fotos von Fielding, wie er vor dem Start abgeworfen wurde, kamen überhaupt nicht in Frage. Ich schimpfte das Pferd einen Gaul, einen Sausack und ein verdammtes Schwein, und in dieser gepflegten Manier begann das Rennen.

Er war störrisch und widerwillig; wir kamen langsam ab und hingen nach den ersten paar Schritten schon zehn Längen zurück. Dabei half es wenig, daß die Startlinie, anstatt diskret an irgendeinem fernen Winkel verborgen zu sein, direkt vor der Tribüne lag. Er trat zur Erbauung der Massen noch zweimal wie ein Mustang aus, und es gab nicht eben viele Pferde, die das fertigbrachten, während sie das erste Hindernis in Cheltenham angingen.

Er taperte über dieses Hindernis, blieb nach der Landung fast stehen und bockte erneut, ehe er weiterlief, begehrte körperlich und eindeutig auch geistig gegen Dirigismus aus dem Sattel auf.

Zwei volle Runden lagen vor uns. Noch neunzehn Sprünge. Eine Lücke von entnervenden und zunehmenden Ausmaßen zwischen mir und den anderen Rennern. Ich sandte ihm wütende Botschaften: Renn, du Pottsau, renn oder du kommst ins Hundefutter, ich bring dich eigenhändig um, Pottsau, und wenn du meinst, du kannst mich abwerfen, laß dir gesagt sein, du nimmst mich schön mit, Gaul, also renn endlich, mach schon, Gaul, Saukerl, du hast es doch gern, also los jetzt ...

Wir hatten das schon öfter durchgespielt, wieder und wieder, aber schlimmer war er noch nie gewesen. Er ignorierte alle Absprungsignale am zweiten Hindernis, vermasselte es und weigerte sich strikt, mit Anstand um die nächste Kurve zu galoppieren.

Einmal in früheren Zeiten, als er in dieser Laune gewesen war, hatte ich, statt mit ihm zu kämpfen, einfach versucht, ihn nach seiner Fasson selig werden zu lassen, und er hatte sich innerhalb weniger Schritte restlos zum Stehen gebracht. Dranbleiben war der einzige Weg - warten, bis der Dämon aus ihm herausfuhr.

Er zauderte beim Angehen des nächsten Hindernisses, als ob der abschüssige Hang dort ihn beunruhigte, obwohl ich wußte, daß er es nicht tat; und hinter dem nächsten, dem Wassergraben, landete er Kopf bei Fuß mit durchgekrümmtem Rücken, eine Kombination, die nahezu garantiert, daß der Jockey aus dem Sattel fliegt. Ich kannte seine Zicken so gut, daß ich darauf vorbereitet war und oben blieb, und nach diesem lustigen kleinen Manöver waren wir über dreihundert Meter hinter den anderen Pferden zurück und ernstlich unter Zeitdruck.

Meine Gefühle für ihn näherten sich dem Gipfel der Wut. Nur durch seine Dickköpfigkeit waren wir wieder einmal drauf und dran, ein Rennen zu verlieren, das wir ohne weiteres hätten gewinnen können, und wie bei anderen derartigen Anlässen schwor ich mir, daß ich das Biest nie wieder reiten würde, niemals. Nie mehr. Nie wieder. Ich glaubte es mir fast.

Wie ein unartiges Kind, das wußte, es war mit seinen Späßen zu weit gegangen, fing er plötzlich an zu rennen. Der ungleichmäßig-holprige Gang wurde glatt, der Zorn verrauchte, der herrliche Kampfgeist brach wieder durch, wie er es schließlich immer tat. Aber wir lagen mehr als dreihundert Meter zurück, und so viel aufzuholen und dann noch zu siegen, das hieß theoretisch, daß man mit dem gleichen Abstand hätte gewinnen können, wenn man es von Anfang an versucht hätte. Eine ganze Meile war vertan, zwei blieben zum Ausgleichen. Hoffnungslos.

Man soll nie aufgeben, heißt es.

Meter für Meter fliegend, verkürzten wir in der zweiten Runde den Zwischenraum, aber wir waren immer noch zehn Längen hinter dem letzten, müde nachklappenden Pferd des Feldes, als wir zu den beiden abschließenden Sprüngen einbogen. Am ersten überholten wir es. Bildeten nicht mehr das Schlußlicht, aber das war kaum entscheidend. Fünf Pferde vor uns, alle noch auf den Beinen nach dem langen Kräftemessen, alle konzentriert auf den letzten Kampf bergan.

Alle fünf gingen vor North Face über das letzte Hindernis. Er muß in der Luft sieben Meter gutgemacht haben. Er landete und zog mit eleganter athletischer Kraft davon, als gingen die haarsträubenden Mustangiaden auf das Konto eines ganz anderen Pferdes.

Undeutlich konnte ich die Menge brüllen hören, was man normalerweise nicht erlebte. North Face legte die Ohren an und fiel in einen gestreckten, wild entschlossenen Galopp, jagte immer schneller auf den Platz zu, von dem er wußte, daß er ihm gebührte, den Platz, den er so eigensinnig aufs Spiel gesetzt hatte, den er im Innersten aber haben wollte.

Ich drückte mich flach nach vorn auf seine Nackenpartie, um den Luftwiderstand zu verringern, hielt die Zügel kurz, meinen Körper still, mein Gewicht gleichmäßig über seinen Schultern. Aller Ansporn ging von den Gedanken und den Händen aus, und mein einziger Gedanke war, diesem fantastisch rennenden Geschöpf seine größtmögliche Chance zu geben.

Die anderen ermüdeten, der Hang bremste sie drastisch, wie das so häufig geschah. North Face jagte an einer Gruppe von ihnen vorbei, als sie aus dem Tritt kamen, und plötzlich war nur noch einer vor uns, ein Pferd, dessen Jockey seinen Sieg gesichert glaubte und schon halb die Hände hängen ließ.

Er konnte einem leid tun, aber er war ein Geschenk des Himmels. North Face packte ihn gerade noch ein paar Schritte vor der Ziellinie, und ich hörte seinen gequälten Aufschrei, als ich vorbeiflog.

Um Haaresbreite, dachte ich beim Anhalten. Zu knapp, um schön zu sein.

Von dem Pferd kam nichts herüber; nur ein undifferenzierter Nebel, den man bei einem Menschen als Selbstzufriedenheit gedeutet hätte. Die meisten guten Renner wußten, wann sie gesiegt hatten - sogen ihre Lungen voll und hoben stolz die Köpfe. Manche waren eindeutig deprimiert, wenn sie verloren. Schuld empfanden sie niemals, sowenig wie Bedauern oder Mitleid: North Face würde mich, wenn er konnte, beim nächsten Mal abwerfen.

Die Prinzessin begrüßte uns vor der Tribüne mit strahlenden Augen und geröteten Wangen. Strahlend wegen des Erfolgs, diagnostizierte ich, und die Röte wegen vorausgegangener Bestürzung. Ich löste den Gurt, ließ den Sattel auf meinen Arm gleiten und blieb, bevor ich zum Zurückwiegen ging, kurz bei der Prinzessin stehen.

»Bravo«, sagte sie.

Ich lächelte ein wenig. »Ich war auf Flüche gefaßt.«

»Er war besonders schwierig.«

»Und brillant.«

»Eine Trophäe wartet.«

»Ich komme gleich rüber«, sagte ich und überließ sie den herbeigeströmten Presseleuten, die sie mochten und sie im großen ganzen ehrerbietig behandelten.