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Nein, ich kannte sie noch nicht. Ich gab der Nichte die Hand.

»Danielle de Brescou«, sagte die Nichte. »Hallo. Guten Tag.« Und trotz ihres Namens war sie keine Französin, sondern hörbar Amerikanerin.

Ich betrachtete kurz die weiße Wolljacke, die schwarze Hose, das breite, wie geblümter Chintz aussehende Band, das eine Fülle dunkler Haare zurückhielt. Empfing dafür einen kühl abschätzenden Blick; halb Interesse, halb ausgesetztes Urteil, überdeckt von einem strahlenden Lächeln ohne Tiefe.

»Was dürfen wir erwarten?« fragte die Prinzessin. »Wird Bernina siegen?«

Wykeham hatte die Reise nach Devon natürlich nicht gemacht. Darüber hinaus hatte er sich unklar ausgedrückt, als ich mit ihm am Telefon sprach, fast als hätte er keinen genauen Begriff davon, wer Bernina war, geschweige denn in welcher Kondition. Erst Dusty, dem ich meinen Sattel gab, damit er ihn der Stute vor dem Rennen auflege, hatte mir erklärt, sie gehe »die Wände hoch, als wollte sie nicht mehr runter«.

»Sie ist fit und startklar«, sagte ich zur Prinzessin.

»Und Wykehams Reitanweisungen?« erkundigte sich Mr. Inscombe freundlich. »Wie lauten die?«

Wykehams Anweisungen an mich waren gleich null, wie schon seit einigen Jahren. Ich sagte diplomatisch: »So ungefähr an vierter Stelle bleiben und an der vorletzten Hürde nach vorn gehen.«

Inscombe nickte wohlwollenden Beifall, und ich fing den Anflug eines Lächelns von der Prinzessin auf, die recht gut wußte, daß Wykehams Order allenfalls in der Form eines »Gewinnen Sie, wenn’s geht« gekommen wä-re, mit einer unkomplizierten Offenheit, die unter Trainern längst nicht gang und gäbe war.

Wykeham machte seine Pferde mit einer Mischung aus Instinkt und ererbter Weisheit kampffähig, wobei er sie individuell als Athleten und Kinder liebte. Er wußte, wie sie in Höchstform zu bringen waren, er verstand ihre Launen und Vorlieben, und wenn er heutzutage die eigentlichen Rennen weniger interessant fand als die Vorbereitung, so blieb er doch immer noch einer von den Großen.

Ich war den ganzen wichtigsten Teil meiner Laufbahn hindurch sein Stalljockey gewesen, und er rief mich häufig beim Namen meines Vorgängers. Ziemlich oft erzählte er mir von längst verstorbenen Pferden, die ich reiten müßte. »Polonium beim Hauptrennen in Sandown«, sagte er beispielsweise, worauf ich dann verwirrt fragte, wessen Pferd das sei, da ich noch nie von ihm gehört hatte. »Polonium? Seien Sie nicht albern. Großer Fuchs. Mag gern Minze. Sie ham letzte Woche auf ihm gesiegt.« - »Ach so ... Pepperoni?« - »Was? Ja, natürlich Pepperoni, hab ich doch gesagt. Das Hauptrennen in Sandown.«

Er war fast so alt wie mein Großvater, und allmählich gelangte ich dahin, den gesamten Rennsport durch ihre Augen als eine Art Strom zu sehen, der sich durch die Zeit wälzte, wobei die neuen Generationen aufstiegen und die älteren langsam verschwanden. Pferderennen hatten eine längere Geschichte als nahezu jede andere Sportart und änderten sich weniger, und manchmal hatte ich stark das Gefühl, in meiner Person die Erfahrung von Generationen vorangegangener Jockeys zu wiederholen und ein flüchtiger Tupfer in einem Spiel ohne Ende zu sein; heute im Vordergrund, in aller Munde, gefeiert, aber morgen schon fort, eine zur Fußnote verblaßte Erinnerung, bis kein Lebender mich mehr ein Rennen hatte reiten sehen oder sich irgend etwas daraus machte, ob ich gesiegt oder verloren hatte.

Äußerst demütigend, das Ganze.

Bernina, so genannt nach dem Berg südlich von Sankt Moritz, hatte mit vier Jahren noch nichts von der Glorie der Alpen hervorgebracht und würde es nach meiner Ansicht auch niemals tun. Sie konnte jedoch eine respektable Leistung auf die Beine stellen, wenn sie sich, wie bei diesem Anlaß, in mittelprächtiger Gesellschaft befand, und ich hoffte durchaus auf unseren Sieg. Hoffte es für die Prinzessin ebenso wie für mich. Ich wußte genau, daß sie den verschiedenen Gastgebern im Land, die sie von allen Seiten mit Einladungen bedachten, gern etwas bieten wollte. Sie war immer ein wenig besorgt um das gute Abschneiden ihrer Pferde, denn sie hatte das Gefühl, die Tiere sollten zu ihrer Bewirtung einen Beitrag leisten. Ich fand, wenn Leute wie die Inscombes ihre Gesellschaft nicht als solche schätzten, würden sie sie nicht immer wieder zu Besuch bitten. Die inneren Unsicherheiten der Prinzessin waren manchmal erstaunlich.

Bernina, die mit den angedeuteten Komplikationen nichts im Sinn hatte, trug mich auf ihre unbescheidenste Art und Weise aus dem Führring und zum Start hinunter, indem sie ausgiebig mit dem Kopf schlug und auf den Hufspitzen ein paarmal nach der Seite tanzte. Diese Lok-kerungsübungen waren ein gutes Zeichen; an ihren schlechten Tagen schritt sie brav zur Startmaschine, trabte ohne Begeisterung daraus hervor und ließ sich Zeit mit dem Endspurt. Beim letzten Mal hatte mich das vor die Stewards gebracht und mir eine Geldstrafe wegen mangelnden Bemühens um den Sieg eingetragen. Ich hatte ihnen erklärt, sie müßten Verständnis dafür haben, daß ein Pferd, das nicht rennen will, nicht rennt und daß Stuten genauso ihre schwachen Tage haben wie jeder sonst. Sie hörten unbeeindruckt zu. Zahlen Sie die Strafe, sagten sie.

Die Prinzessin hatte darauf bestanden, mir das Geld dafür zu erstatten, während andere Besitzer vielleicht getobt hätten. »Wenn sie nicht will, dann will sie nicht«, war ihr letztes Wort gewesen. »Und sie ist mein Pferd, also bin ich auch für ihre Schulden verantwortlich.« Es gab keine unlogischeren und großzügigeren Besitzer als die Prinzessin.

Ich hatte ihr empfohlen, ihre Freunde niemals an den Tagen auf Bernina setzen zu lassen, wo sie plattfüßig zum Start ging, und sie hatte den Rat ernst genommen. Als ich jetzt auf diesem Energiepaket in Devon saß, hoffte ich, daß sie, die Inscombes und die Nichte augenblicklich zu den Buchmachern oder zum Totalisator pilgerten. Die Stute fühlte sich gut und war auf Wettkampf eingestellt.

Auf dem Programm stand ein Hürdenrennen über zwei Meilen, das hieß acht Sprünge über Gestelle, wie man sie zum Einpferchen von Schafen verwendet: Hürden aus Holz, durchflochten mit Ginster oder Reisig. Sie waren lose nebeneinander aufgebaut, damit, wenn eine gerissen wurde, nicht die ganze Reihe umfiel. Gute Springer flogen mühelos über die Hürden, erhoben sich nur wenig in die Luft, aber bogen die Vorderbeine durch; der Trick bestand dann, sie so abspringen zu lassen, daß sie die Hürde mitten im Schritt nehmen konnten.

Bernina, die mir gnädig die Führung in dieser Frage überließ, ging um das ganze Geläuf, ohne einen Zweig zu berühren. Außerdem nahm sie die Aufgabe, ihre Gegner zu schlagen, mit einem derartigen Elan in Angriff, daß man es den Stewards kaum hätte verübeln dürfen, wenn sie sie diesmal einer Dopingkontrolle unterzogen hätten, so groß war der Gegensatz.

Wäre sie ein wirkliches Talent gewesen, hätte sie mit zwanzig Längen Vorsprung gewonnen, zumal der Hauptkontrahent etwa auf halber Strecke in einem Wirbel von Hufschlägen gestürzt war. Wie die Dinge lagen, machte sie, als ich ihr zwischen den letzten beiden Hürden einen ermutigenden Tritt versetzte, genügend Boden gut, um den letzten Sprung zugleich mit dem einzigen noch vor uns reitenden Pferd zu erreichen, und beim Einlauf erhielt sie den schwachen Spurt gerade so lange aufrecht, daß sie ihren ermüdenden Rivalen überholen und demoralisieren konnte.

Sie nahm meine herzlichen Klapse auf ihr siegreiches Genick als völlig verdient entgegen, als sie anhielt und vor die Tribüne stolzierte, und dort tänzelte sie rastlos herum, schwitzte ausgiebig und rollte die Augen in einer Hochstimmung, wie jeder triumphierende Gewinner sie kennt.

Die Prinzessin hielt sich erleichtert und zufrieden von dem mächtigen Körper fern, als ich den Gurt löste und den Sattel auf meinen Arm heruntergleiten ließ. Sie selbst sagte nichts weiter, da die Inscombes ziemlich viel redeten, aber bei ihr war das ohnehin nicht nötig. Ich wußte, was sie dachte, und sie wußte, daß ich es wußte; wir hatten das alles schon etliche hundert Mal erlebt.