Die Nichte sagte ein wenig nachdenklich: »Mann!«
Ich blickte ihr flüchtig ins Gesicht und sah, daß sie erstaunt war. Worüber sie staunte, wußte ich nicht und hatte auch keine Zeit, es herauszufinden, denn für mich hieß es zurückwiegen, umziehen und wiegen für das nächste Rennen. Icicle, der andere Renner der Prinzessin, kam erst im vierten an die Reihe, aber davor mußte ich noch zwei andere Pferde reiten.
Diese zwei wurden ohne Prestigeverlust Fünfter und Zweiter und waren beide von dem einheimischen Trainer, für den ich ritt, wenn ich es einrichten konnte. Neben Wykeham ritt ich noch oft für einen Stall in Lambourn, und wenn beide keine Renner hatten, für jeden anderen, der mich fragte. Nachdem ich die Form des betreffenden
Pferdes im Leistungsbuch studiert hatte, versteht sich. Dauerstürzer lehnte ich ab, indem ich sagte, Wykeham sei nicht einverstanden. Wykeham lieferte mir eine bequeme Ausrede.
Icicle, der Eiszapfen, war seinem Namen entsprechend von ganz hellem Grau; außerdem langrückig, eckig und von sanftem Naturell. Er war schnell und geschickt an den Hürden gewesen, dem Sport für die jüngeren Pferde, erwies sich aber mit reifen acht Jahren beim Rennen über größere Hindernisse eher vorsichtig als verwegen, eher zuverlässig als brillant, guten Willens, doch kein Wirbelwind.
Ich ging wieder in den Farben der Prinzessin hinaus zum Führring und fand sie und ihre Freunde in eine Diskussion vertieft, die nichts mit Pferden zu tun hatte, bei der man aber ziemlich häufig auf die Uhr sah.
»Der Zug von Exeter ist sehr schnell«, meinte Mrs. Inscombe eben tröstend, und die Nichte strahlte sie mit verhaltener Ungeduld an.
»So betrüblich es ist«, polterte Mr. Inscombe. »Es bleibt nur der Zug.«
Die Prinzessin sagte behutsam, wie zum zehntenmaclass="underline" »Aber meine Lieben, der Zug geht zu spät ...« Sie unterbrach sich, um mir mit geistesabwesendem Lächeln eine kurze Erklärung zu geben.
»Meine Nichte Danielle wollte mit Freunden im Wagen zurück nach London fahren, aber die Verabredung ist geplatzt.«
Sie hielt inne. »Sie wissen wohl auch niemand, der nach diesem Rennen gleich von hier nach London fährt?«
»Leider nein«, sagte ich bedauernd.
Ich schaute die Nichte an: Danielle. Sie schaute besorgt zurück. »Ich muß um halb sieben in London sein«, sagte sie. »In Chiswick. Sie wissen doch, wo das ist? Direkt wenn man von Westen nach London reinkommt?«
Ich nickte.
»Könnten Sie da drin«, sie winkte mit der Hand zur belagerten Tür des Waageraums, »vielleicht mal fragen?«
»Ja, werde ich tun.«
»Ich muß zur Arbeit.«
Anscheinend war mir Überraschung anzumerken, denn sie setzte hinzu: »Ich arbeite für ein Nachrichtenstudio. Diese Woche habe ich abends Dienst.«
Icicle stakte methodisch um den Führring, er hatte zweieinhalb Meilen anstrengender Sprünge vor sich. Danach, im fünften Rennen, würde ich nochmals zwei Meilen über die Hürden gehen.
Danach dann ...
Ich sah kurz zur Prinzessin rüber, musterte ihren Gesichtsausdruck, der gütig war, und dachte an die Geldstrafe, die sie für mich bezahlt hatte, ohne dazu verpflichtet zu sein.
Ich sagte zu Danielle: »Gleich nach dem fünften Rennen kann ich Sie selber mitnehmen ... falls ehm, Ihnen das etwas nützt.«
Sie heftete die Augen auf mein Gesicht, und ihre Unruhe löste sich wie Nebel in der Sonne auf.
»Ja«, sagte sie entschieden. »Es nützt bestimmt.«
Nur keine bindenden Zusagen an Renntagen .
»Ich treffe Sie dann nach dem fünften vorm Waageraum«, sagte ich. »Die Straße ist gut. Wir müßten rechtzeitig nach Chiswick kommen.«
»Großartig«, sagte sie, und die Prinzessin schien erleichtert, daß wir uns jetzt auf ihr Pferd und die unmittelbare Zukunft konzentrieren konnten.
»Nett von Ihnen, Kit«, sagte sie nickend.
»Gern geschehen.«
»Was meinen Sie, wie sich mein alter Knabe heute schickt?«
»Er hat jede Menge Stehvermögen«, erwiderte ich. »Er dürfte sich gut schlagen.«
Sie lächelte. Sie wußte, daß »jede Menge Stehvermögen« ein beschönigender Ausdruck war für »nicht sehr spurtstark«. Sie kannte Icicles Fähigkeiten ebensogut wie ich, doch wie alle Besitzer wollte sie von ihrem Jockey gute Neuigkeiten hören.
»Tun Sie Ihr Bestes.«
»Ja«, sagte ich.
Ich saß auf und führte Icicle hinaus auf das Geläuf.
Zum Teufel mit dem Aberglauben, dachte ich.
Kapitel 7
Es war nicht Icicle, mit dem ich Ärger hatte.
Icicle sprang angemessen, aber ohne Inspiration und lief verbissen in gleichbleibendem Tempo die Gerade hinauf, so daß er mit mehr Glück als sonstwas schließlich Zweiter wurde.
»Guter alter Langweiler«, lobte ihn die Prinzessin stolz auf dem Absattelplatz und rieb ihm die Nase. »Was bist du doch für ein Ehrenmann.«
Es war der Hurdler danach, der verunglückte: ein erfahrener Renner, aber beschränkt. Das eine Pferd, das rechts von uns leicht vorn lag, erwischte die Kante der zweiten Hürde, als es in die Höhe stieg, und fiel beim Landen auf die Nase, und mein Pferd machte, wie um es nachzuahmen, prompt genau das gleiche.
Als Sturz war es nicht schlimm. Ich rollte wie ein Akrobat ab, als ich am Boden aufkam, ein Zirkuskunststück, das jeder Hindernisjockey lernt, und wartete zusammengekugelt darauf, daß die anderen Renner vorbeizogen. Mitten in einer donnernden Herde aufzustehen wäre der sicherste Weg, sich gefährlich zu verletzen. Man muß am Boden bleiben, wo einem die Pferde leichter ausweichen können, das ist nahezu die erste Lektion zum Überleben. Das Dumme beim Stürzen kurz nach dem Start eines Hürdenrennens ist jedoch, daß die Pferde schneller gehen als bei Jagdrennen und oft dicht zusammenliegen, so daß sie einen gestürzten Reiter erst sehen, wenn sie über ihm
sind, und ihre Füße nicht mehr woanders hinsetzen können.
Ich war an hufförmige blaue Flecken ziemlich gewöhnt. In der Stille, die nach den Püffen kam, erhob ich mich langsam und steif mit den Zutaten für eine neue Sammlung und stellte fest, daß der andere gestürzte Jockey das gleiche tat.
»Alles klar bei dir?« sagte ich.
»Klar. Bei dir auch?«
Ich nickte. Mein Kollege äußerte ein paar unanständige Sachen über sein ehemaliges Reittier, und ein Wagen kam, um uns einzuladen und zum Ambulanzraum zu bringen, wo der diensttuende Arzt einen Blick auf uns werfen sollte. In den alten Zeiten hatten es Jockeys ohne weiteres geschafft, mit Knochenbrüchen an den Start zu gehen, aber heutzutage haben sich die medizinischen Bestimmungen verschärft, nicht unbedingt im Interesse des Verletzten, sondern der Leute, die ihr Geld auf sie setzen. Die Zufriedenheit der Wetter hat Vorrang.
Prellungen zählen nicht. Deswegen halten Ärzte einen nie vom Reiten ab, und ganz frische Prellungen sind ohnehin nicht zu sehen. Ich bewies dem Mann vor Ort, daß alle Teile, die sich an mir bewegen sollten, sich bewegten und daß alle Teile, die es nicht tun sollten, es nicht taten, und galt ab sofort wieder als reitfähig.
Eine der beiden freiwilligen Schwestern ging zur Tür, als es klopfte, und kam leicht verwirrt wieder, um mir zu sagen, draußen wolle mich eine Frau sprechen, die behaupte, sie sei eine Prinzessin.
»Gut«, meinte ich, dankte dem Arzt und wandte mich zum Gehen.
»Ist sie eine?« fragte die Schwester zweifelnd.
»Eine Prinzessin? Ja. Gehen Sie oft zum Pferderennen?«
»Heute zum erstenmal.«
»Sie war dreimal führende Besitzerin in den letzten sechs Hindernissaisons, und sie ist ein wahrer Engel.«
Die junge Schwester grinste. »Zum Kotzen.«
Ich ging nach draußen, wo der wahre Engel bei meinem Wiederauftauchen erst besorgt und dann erleichtert dreinschaute.
Sie hatte keineswegs die Angewohnheit, vor Unfallstationstüren zu warten und sich nach meinem Befinden zu erkundigen, und natürlich ging es in diesem Moment nicht so sehr um meine Gesundheit als darum, ob ich genügend auf dem Damm war, um ihre Nichte zur Arbeit zu fahren.