Danielle und die anderen vom Stab tauschten ein paar Hallos und Grüß-Dich aus, und niemand stellte Fragen wegen meiner Anwesenheit. Sie führte mich durch den Raum zu ihrer eigenen Domäne, einem Bereich mit zwei im rechten Winkel zueinander stehenden Schreibtischen und einem komfortablen Drehsessel, der für beide diente. Auf den Tischen mehrere Karteikästen, ein Computer, eine Schreibmaschine, ein Stapel Zeitungen und ein Telefon. An der Wand hinter dem Sessel befand sich eine große Tafel, auf die man Stichworte mit Filzstift schreiben und leicht wieder löschen konnte. Es war eine Tabelle mit den Überschriften SLUG, TEAM, ORT, ZEIT, FORMAT.
»Setzen Sie sich«, sagte Danielle, auf den Sessel deutend. Sie nahm den Hörer ab und drückte auf eine Leuchttaste am Telefon. »Okay. Sie können sprechen.« Sie drehte sich um und schaute auf die Tafel. »Mal sehen, was auf der Welt passiert ist, seit ich sie verlassen hab.« Sie überflog die Rubriken. Unter SLUG hatte jemand in großen schwarzen Lettern »Botschaft« geschrieben. Danielle rief durch den Raum: »Hank, was ist das für eine Botschaftsstory?« Und eine Stimme antwortete: »Irgendwer hat >Yanks Go Home< in Rot auf die Stufen der US-Botschaft gepinselt, und es gibt Stunk mit der Bewachung.«
»Ach du Schreck.«
»Da mußt du für Nightline nachhaken.«
»Gut ... hat jemand den Botschafter interviewt?«
»Wir konnten ihn noch nicht erreichen.«
»Dann probier ich’s wohl noch mal.«
»Klar. Das ist dein Baby, Baby. Ganz allein.«
Danielle lächelte vergnügt zu mir herunter, und ich erkannte mit einiger Überraschung, daß sie eine weit höhere Stellung einnahm, als ich vermutet hatte, und daß auch sie auflebte, wenn sie arbeitete.
»Sprechen Sie«, sagte sie nochmals.
»Ja.«
Ich drückte die Tasten, und beim ersten Läuten nahm Holly den Hörer ab.
»Kit«, sagte sie sofort, voller Anspannung.
»Ja«, antwortete ich.
Hollys Stimme war berstend durch die Leitung gekommen, laut genug, um auch von Danielle gehört zu werden.
»Woher wußte sie das?« fragte Danielle. Dann weiteten sich ihre Augen. »Sie hat darauf gewartet ... Sie wußten es.«
Ich nickte halb. »Kit«, sagte Holly gerade. »Wo bist du? Geht’s dir gut? Dein Pferd ist gestürzt ...«
»Mir fehlt nichts. Ich bin in London. Was ist los?«
»Alles ist schlimmer geworden. Ganz furchtbar. Wir werden verlieren ... den Hof verlieren ... alles ... Bobby läuft irgendwo draußen rum .«
»Holly, denk an das Telefon«, sagte ich.
»Was? Ach, die Wanzen? Das kümmert mich einfach nicht mehr. Die Fernmeldeleute kommen morgen früh nach Wanzen suchen, sie haben’s versprochen. Aber was liegt daran? Wir sind fertig ... Es ist aus.« Sie klang erschöpft. »Kannst du kommen? Bobby möchte dich hierhaben. Wir brauchen dich. Du hältst uns zusammen.«
»Was ist denn passiert?« fragte ich.
»Es dreht sich um die Bank. Den neuen Filialleiter. Wir waren heute bei ihm, und er sagt, wir können noch nicht mal das Geld für die Löhne am Freitag bekommen; sie wollen uns zum Verkauf zwingen ... Er sagt, wir haben nicht genügend Deckung für alles, was wir ihnen schulden ... und wir rutschen nur noch tiefer in die roten Zahlen, weil wir nicht genug verdienen, um die Zinsen auf das Darlehen für die Jährlinge zu zahlen; und weißt du, wieviel der uns dafür jetzt abnimmt? Sieben Prozent über der Norm. Sieben. Das macht rund siebzehn im Moment. Und da schlägt er wieder Zinsen drauf, wir zahlen also jetzt Zinseszinsen ... es ist wie ein Schneeball ... gräßlich ... es ist verdammt unfair.«
Glatter Mord, dachte ich. Wohltätigkeitsvereine waren Banken noch nie.
»Er gab zu, daß es wegen der Zeitungsartikel ist«, sagte Holly kläglich. »Er fand es bedauerlich ... bedauerlich! ... daß Bobbys Vater uns nicht helfen will, mit keinem Penny ... Ich habe Bobby in diese ganzen Schwierigkeiten gebracht ... es ist meinetwegen .« »Holly, bitte« sagte ich. »Das ist Unsinn. Bleib ruhig, und ich komme vorbei. Ich bin in Chiswick. Es wird anderthalb Stunden dauern.«
»Der Filialleiter sagt, wir müssen die Besitzer auffordern, ihre Pferde abzuholen. Er sagt, wir wären nicht die einzigen Trainer, die jemals zum Verkauf gezwungen waren. Das käme eben vor, meint er, sogar ziemlich oft ... der ist so hartherzig, ich könnte ihn kaltmachen.«
»Mm«, sagte ich. »Nun, unternimm erst mal nichts. Trink was. Koch mir ein bißchen Spinat oder so, ich bin am Verhungern. Ich setz mich ins Auto ... Bis bald.«
Seufzend legte ich den Hörer auf. Ich hatte eigentlich keine Lust, mit hinderlichen Prellungen und widerhallend leerem Magen noch weiter nach Newmarket zu fahren, und ich hatte eigentlich keine Lust, mir die ganzen Allar-deckschen Sorgen wieder aufzubürden, aber ein Pakt war ein Pakt, und damit hatte sich’s. Mein Zwilling, meine Fessel und all das.
»Schwierigkeiten?« sagte Danielle, mich beobachtend.
Ich nickte. Ich erzählte ihr kurz von den Angriffen der Flag und den tödlichen finanziellen Konsequenzen, und sie kam rasch zu der gleichen Schlußfolgerung wie ich selbst.
»Bobbys Vater ist extrem.«
»Extrem«, sagte ich anerkennend, »trifft den Nagel auf den Kopf.«
Ich erhob mich langsam aus ihrem Sessel und dankte ihr für das Telefongespräch.
»Sie sind nicht in der Verfassung für das alles«, stellte sie fest.
»Machen Sie sich keine Gedanken.« Ich beugte mich vor und küßte sie auf die duftende Wange. »Besuchen Sie wieder mal ein Rennen mit Ihrer Tante?«
Sie schaute mir ins Gesicht. »Wahrscheinlich«, sagte sie.
»Gut.«
Bobby und Holly saßen schweigend in der Küche, starrten ins Leere und drehten apathisch die Köpfe nach mir, als ich hereinkam.
Ich klopfte Bobby auf die Schulter, gab Holly einen Kuß und sagte: »Kommt jetzt, wo ist der Wein? Ich krepiere an etlichen Krankheiten, und als erstes brauche ich mal was zu trinken.«
Meine Stimme klang laut in ihren Trübsinn hinein. Holly stand schwerfällig auf und ging zu dem Schrank hinüber, in dem sie ihre Gläser hatten. Sie streckte die Hand danach aus und ließ sie gleich wieder sinken. Sie wandte sich mir zu.
»Ich habe meine Testergebnisse bekommen, nachdem du angerufen hast«, sagte sie ausdruckslos. »Ich bin einwandfrei schwanger. Heute sollte der glücklichste Abend unseres Lebens sein.« Sie legte die Arme um meinen Hals und begann leise zu weinen. Ich schlang meine Arme um sie und hielt sie fest, während Bobby sitzen blieb, offenbar zu niedergeschlagen, um eifersüchtig zu sein.
»In Ordnung«, sagte ich. »Trinken wir auf das Baby. Los, meine Lieben; Geschäfte kommen und gehen, und eures ist noch nicht hinüber, aber Babys sind für immer, Gott gnade ihren lieben kleinen Seelen.«
Ich löste mich von ihr und holte die Gläser heraus, während sie sich schweigend die Augen am Ärmel ihres Pullovers abwischte.
Bobby sagte dumpf: »Du verstehst nicht«, aber ich verstand sehr gut. Er war kampfmüde. Er war fertig, weil die Erniedrigung für ihn zu bitter war, und schmerzliche
Enttäuschungen hatte auch ich schon hin und wieder erlebt. Es konnte eine große Willensanstrengung erfordern, nicht herumzusitzen und zu schmollen.
Ich sagte zu Holly: »Leg Musik auf, ganz laut.«
»Nein«, widersprach Bobby.
»Doch, Bobby. Doch«, sagte ich. »Steh auf und schrei. Zeig dem Schicksal deine Faust. Wirf was kaputt. Fluch dir die Seele aus dem Leib.«
»Ich brech dir den Hals«, sagte er mit aufflackernder Wildheit.
»Versuch’s mal.«
Er hob den Kopf, starrte mich an und sprang dann abrupt auf die Füße, als wieder Kraft in seine Muskeln strömte und gereizte Energie in sein Gesicht.
»Also gut«, brüllte er, »ich brech dir den verfluchten Fieldinghals.«
»Schon besser«, sagte ich. »Und gib mir was zu futtern.«