Ich passierte die Waage. Der Jockey, den ich in letzter Sekunde geschlagen hatte, sah beschämt aus, doch er war selbst schuld, und das wußte er sehr gut. Die Stewards konnten ihn mit einer Geldstrafe belegen. Seine Stallbesitzer konnten ihn feuern. Sonst schenkte niemand seiner Niederlage oder meinem Sieg sonderliche Beachtung. Was vorbei war, war vorbei: Auf das nächste Rennen kam es an.
Ich gab meine Sturzkappe und meinen Sattel dem Jok-keydiener, schlüpfte in andere Farben, ließ mich wiegen, zog die Farben der Prinzessin wieder über die, die ich im nächsten Rennen tragen würde, kämmte mich und ging pflichtbewußt hinaus zur Siegerehrung. Es kam mir immer geschmacklos vor, wenn der Jockey auf den Fotos von der Preisverleihung nicht die Farben des Siegers trug, und bei Besitzern, an denen mir lag, erschien ich möglichst im richtigen Dreß. Das kostete mich bloß ein paar Minuten, und ich fand es befriedigender.
Die Rennbahn (in Gestalt des Vereinsvorsitzenden) dankte dem Sunday Towncrier für seine Großzügigkeit, und der Sunday Towncrier (in Gestalt seines Verlegers Lord Vaughnley) sagte, es sei ein Vergnügen, den Hindernissport und alle, die dazugehörten, zu unterstützen.
Kameras klickten.
Holly war nirgends zu sehen.
Die Frau des Verlegers, dünn, geschminkt und gutmütig, trat in maßgeschneiderter Eleganz vor und überreichte der Prinzessin die fußhohe vergoldete Statue eines (mittelalterlichen) städtischen Ausrufers, indem sie ihr mit Handschlag gratulierte. Die Prinzessin nahm außerdem noch eine kleinere vergoldete Version für Wykeham Harlow entgegen, und dann empfing ich das Lächeln, den Handschlag, die Gratulationen und die Zuwendung der Fotografen, zu meiner Überraschung aber nicht mein drittes Paar goldener Towncrier-Manschettenknöpfe.
»Wir hatten kommen sehen, daß Sie wieder gewinnen könnten«, erklärte Lady Vaughnley freundlich, »darum gibt es dieses Jahr auch für Sie mal ein Figürchen.« Herz-lich drückte sie mir den kleinen goldenen Mann in die Hände, der die Neuigkeiten auszurufen pflegte, als es noch keine Zeitungen gab.
Ich dankte ihr aufrichtig. Ich hatte bereits mehr Manschettenknöpfe als Hemden mit Manschetten.
»Was für ein Finish Sie uns geboten haben«, meinte sie lächelnd. »Mein Mann war begeistert. Wie ein Pfeil, sagt er.«
»Wir hatten Glück.«
Ich sah ihr automatisch über die Schulter in der Erwartung, auch ihren Sohn zu begrüßen, der seine Eltern bei allen anderen Towncriers begleitet hatte, um entweder herumzulungern oder bereitwillig Botengänge zu übernehmen. Der Junge war ganz nett, wenn auch kein allzu heller Kopf.
»Ihr Sohn ist nicht bei Ihnen?« fragte ich.
Lady Vaughnleys Munterkeit verschwand weitgehend. Sie blickte rasch und unbehaglich zu ihrem Mann hinüber, der meine Bemerkung nicht gehört hatte, und sagte unglücklich: »Nein, heute nicht.«
»Es tut mir leid«, sagte ich; nicht wegen Hugh Vaughnleys Abwesenheit, sondern weil es offensichtlich Zank in der Familie gab. Sie nickte und wandte sich blinzelnd ab, und mir kam flüchtig der Gedanke, daß die Mißhelligkeiten neu und schlimm sein mußten, fast ein Grund zum Weinen.
Die Prinzessin lud Lord und Lady Vaughnley in ihre Loge ein, und der Vorschlag wurde sofort angenommen.
»Sie auch, Kit«, sagte sie.
»Ich starte im nächsten Rennen.«
»Kommen Sie anschließend.«
»Ja. Danke.«
Wir ließen die Trophäen zum Eingravieren der Namen auf dem Tisch stehen, und ich kehrte in den Umkleideraum zurück, als die Prinzessin mit den Vaughnleys fortging.
Sie bat mich immer in ihre Loge, da sie gern über ihre Pferde und deren Leistungen sprach und ihnen allen ein zärtliches, kundiges Interesse entgegenbrachte. Am liebsten ließ sie sie dort laufen, wo sie eine Privatloge gepachtet hatte, nämlich in Cheltenham, Ascot, Sandown und Lingfield, und zu anderen Plätzen ging sie nur, wenn sie von logenbesitzenden Freunden eingeladen wurde. Sie war nicht so demokratisch, daß sie sich anfeuernd auf die Ränge gestellt hätte.
Ich ging in den richtigen Farben hinaus zum nächsten Rennen und fand augenblicklich Holly grimmig an meiner Seite.
»Hast du deinen Gewinn abgeholt?« fragte ich.
»Ich kam nicht zu dir durch«, sagte sie empört. »Die ganzen Offiziellen, die einen zurückgehalten haben, und das Getümmel ...«
»Hör mal, es tut mir leid. Ich starte jetzt wieder.«
»Gleich nachher dann.«
»Gleich nachher.«
Das Pferd, das ich in diesem Rennen ritt, war im Gegensatz zu North Face einfallslos, geistlos und nur durchschnittlich begabt. Dennoch strengten wir uns an, wurden Dritte und schienen die Besitzer und den Trainer damit einigermaßen zu erfreuen. Brot und Butter für mich, gedeckte Unkosten für sie. Der Grundstoff des Hindernisrennsports.
Ich wog mich zurück und schlüpfte rasch in Straßenkleidung, und draußen vor der Tür stand Holly.
»Also, Kit .« »Hm«, sagte ich. »Die Prinzessin erwartet mich.«
»Nein! Kit!« Sie war aufgebracht.
»Na ja ... es ist mein Beruf.«
»Keine Privatbesuche im Büro, meinst du?«
Ich gab nach. »Okay. Was ist los?«
»Hast du das hier gesehen?« Sie zog die herausgerissene Seite einer Zeitung, die sich Daily Flag nannte, aus ihrer Umhängetasche. »Hat irgend jemand im Waageraum was gesagt?«
»Nein und nein«, erwiderte ich, nahm das Zeitungsblatt und folgte mit den Augen ihrem fuchtelnden Finger. »Ich lese den Schund nicht.«
»Meinst du, wir vielleicht? Sieh es dir nur mal an.«
Ich blickte auf den mit dicken roten Strichen eingekästelten Text unter der Seitenüberschrift »Intime Details« -eine Rubrik, deren bekannt seichter bis zotiger Inhalt darauf angelegt war, Unruhe zu stiften.
»Das ist von gestern«, sagte ich, aufs Datum sehend.
»Ja, ja. Lies mal.«
Ich las den Beitrag. Er lautete:
Es geht rapide abwärts mit Robertson (Bobby) Allardeck (32), dem Vollblüter trainierenden Sohn des Großunternehmers Maynard Allardeck (50). Noch niemals Daddys Liebling (man spricht nicht miteinander), hat Bobby, dieser Schlingel, mehr gekauft, als er bezahlen kann, und nun raten Sie mal, wer ihm nicht aus der Patsche helfen mag. Demnächst mehr an dieser Stelle.
Robertson (Bobby) Allardeck (32) war der Mann meiner Schwester Holly.
»Das ist Verleumdung«, sagte ich. »Bobby kann klagen.«
»Womit denn?« wollte Holly wissen. »Das können wir uns nicht leisten. Und vielleicht würden wir auch nicht gewinnen.«
Ich betrachtete den Kummer in ihrem normalerweise faltenlosen Gesicht.
»Es stimmt also?« sagte ich.
»Nein. Ja. In gewisser Hinsicht. Natürlich hat er Sachen gekauft, die er nicht bezahlen kann. Das tut doch jeder. Er hat Pferde gekauft. Die Jährlingsauktionen laufen, verdammt noch mal. Jeder Trainer kauft Jährlinge, die er nicht bezahlen kann. Das ist immer so, wie du weißt.«
Ich nickte. Trainer ersteigerten Jährlinge für ihre Besitzer, zahlten notgedrungen auf der Stelle und verließen sich darauf, daß die Kosten ihnen bald erstattet wurden. Manchmal machten die Besitzer einen Rückzieher, nachdem ein Jährling gekauft war; manchmal kauften Trainer ein oder zwei Tiere zusätzlich, um sie selbst herauszubringen und sie später mit Gewinn abzugeben. Jedenfalls war es nichts Ungewöhnliches, zur Zeit der Versteigerungen kurzfristig Tausende von der Bank zu leihen.
»Wie viele hat Bobby gekauft, die er nicht los wird?« fragte ich.
»Natürlich wird er sie noch los«, sagte sie schroff.
Natürlich. Wahrscheinlich. Vielleicht.
»Aber jetzt?«
»Drei. Wir haben drei.«
»Gesamtschaden?«
»Über hunderttausend.«