Die Antwort darauf war vermutlich: Weil Bobby Maynards Sohn war. Maynards Millionen mochten als ausreichende Sicherheit erschienen sein, bevor die Flag ihre Breitseite abfeuerte.
»Gibt es nicht einen Trainer in Newmarket, der dir die Jährlinge abkaufen würde?« sagte ich.
»Nichts drin. Die meisten sitzen im selben Boot. Sie können ihre eigenen nicht losschlagen.«
Ich überlegte. »Hat der Filialleiter was von Gerichtsvollziehern gesagt?«
»Nein«, antwortete Bobby, und Holly wurde wenn möglich noch blasser.
Eine Woche, dachte ich, könnten wir noch haben. Mit Liquidation und Konkurs kannte ich mich nicht besonders aus; ich wußte nicht, wie schnell das ging. Vielleicht hatten wir überhaupt keine Zeit. Niemand konnte aber erwarten, daß Bobby in der Lage wäre, seinen Besitz über Nacht zu verkaufen.
»Ich nehme die Schecks«, sagte ich, »und löse sie ein. Wir bezahlen eure Pfleger diese Woche davon und heben den Rest für Eventualitäten auf. Erzählt das aber nicht dem Filialleiter, der ist nämlich bestimmt der Ansicht, das Geld gehört der Bank.«
»Sie haben es uns schnell genug geliehen«, meinte Holly bitter. »Kein Mensch hat sie genötigt.«
Nicht nur Maynard, dachte ich, konnte mit einem Lächeln aushelfen und mit Gewalt einfordern.
»Es ist aussichtslos«, sagte Bobby. »Ich muß wohl die Besitzer bitten, ihre Pferde abzuholen. Die Pfleger entlassen.« Abrupt hielt er inne. Auch Holly hatte Tränen in den Augen. »Es ist so ein Schlamassel«, sagte Bobby.
»Klar ... aber haltet noch ein paar Tage aus«, sagte ich.
»Wozu?«
»Wir könnten versuchen, ein bißchen Kapital zu beschaffen.«
»Was meinst du damit?«
Ich wußte nur ungefähr, was ich damit meinte, und mir lag nichts daran, es mit Bobby zu erörtern. Statt dessen sagte ich: »Löst den Stall nicht auf, bevor der Drache mitten im Hof Feuer speit.«
»Sankt Georg könnte des Wegs kommen«, sagte Holly.
»Wie bitte?« Bobby sah verständnislos drein.
»Aus der Sage«, erklärte Holly. »Kennst du doch. Kit und ich hatten so ein Stehaufbilderbuch, in dem Sankt Georg daherkam und den Drachen tötete. Wir haben das immer mit ’ner Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen und uns dabei über die Schatten erschreckt.«
»Aha.« Er blickte von einem von uns zum anderen, sah ein dunkelhaariges Zwillingspaar mit einer eigenen gemeinsamen Vorgeschichte. Vielleicht fühlte er sich wieder schmerzlich ausgeschlossen, denn er unterdrückte eine Reaktion, indem er fest den Mund schloß. Erst nach einer Weile gab er mit einem Hauch von Sarkasmus und wie um alle Hoffnung, die ich geweckt haben mochte, zu erstik-ken, eine ins Bild passende Antwort: »In Ordnung, Sankt Georg. Steig auf dein Pferd.«
Ich fuhr nach Newbury und löste das Muskel starreproblem, indem ich die Sauna eines am Ort wohnenden
Flachjockeys benutzte, der dort jeden Sommer seine Figur zurechtschwitzte und dankbar für den Winter herausgekommen war. Ich hielt zwar nichts vom Entwässern in einer Sauna als Form der täglichen Gewichtskontrolle (von harntreibenden Mitteln noch weniger), aber nach zwanzig Minuten ihrer heißen Umarmung an diesem kalten Morgen fühlte ich mich erheblich besser in Schuß.
Meine ersten beiden Pferde kamen von dem Stall in Lambourn, für den ich öfters ritt, und wie immer, wenn die Gliedmaßen ihres Jockeys reibungslos funktionierten, gingen sie glatt über die Hindernisse, ohne sich mit Schande oder mit Ruhm zu bedecken. Hinterher konnte man den hoffnungsvollen Besitzern versichern, daß ihre Pferde eines Tages siegen würden; und zuzutrauen war es ihnen, wenn die Gewichte günstig waren und der Boden stimmte und einige der besseren Gegner stürzten. Ich hatte schon Blindgänger geritten, die ich nicht aus dem Stall geholt haben würde, und sie als Erste durchs Ziel gebracht.
Mein letztes Pferd an diesem Tag gehörte der Prinzessin, die wie gewohnt allein im Führring auf mich wartete. Ich merkte, daß ich etwas enttäuscht war, weil Danielle nicht bei ihr war, obwohl ich sie gar nicht erwartet hatte: ausgesprochen unlogisch. Die Prinzessin, in schwingendem Zobelpelzmantel, trug einen hellgelben Seidenschal um den Hals und goldene Ohrringe mit Zitrinen, und obgleich ich sie damit schon oft gesehen hatte, fand ich, daß sie blendend und ungewöhnlich lebhaft aussah. Ich machte die kleine Verbeugung, schüttelte ihr die Hand. Sie lächelte.
»Was meinen Sie, wie wir heute abschneiden?« sagte sie.
»Ich denke, wir werden siegen.«
Ihre Augen weiteten sich. »Gewöhnlich sind Sie nicht so überzeugt.« »Ihr Pferd ist groß in Form. Und ...« Ich brach ab.
»Und was?«
»Und ehm ... Sie dachten auch selbst, daß wir siegen.«
Ohne Überraschung sagte sie: »Ja, stimmt.« Sie drehte sich nach ihrem vorbeigehenden Pferd um. »Was dachte ich noch?«
»Daß . nun, daß Sie glücklich sind.«
»Ja.« Sie hielt inne. »Glauben Sie, die irische Stute schlägt uns? Etliche Leute haben auf sie getippt.«
»Sie schleppt eine Menge Gewicht.«
»Lord Vaughnley glaubt, daß sie gewinnt.«
»Lord Vaughnley?« wiederholte ich mit erwachendem Interesse. »Ist er hier?«
»Ja«, sagte sie. »Er aß in einer Loge nicht weit von meiner zu Mittag. Ich bin gerade mit ihm die Treppe runtergekommen.«
Ich fragte sie, ob sie sich erinnere, welche Loge, aber sie wußte es nicht. Ich sagte ihr, daß ich ihn gern sprechen würde.
»Wird ihn freuen«, meinte sie nickend. »Er ist immer noch begeistert von dem Towncrier Trophy. Er sagt, buchstäblich Hunderte von Leuten haben ihn zu dem diesjährigen Rennen beglückwünscht.«
»Gut«, sagte ich. »Wenn ich ihn um einen Gefallen bitte, tut er ihn mir vielleicht.«
»Sie könnten alles verlangen.«
»So viel auch wieder nicht.«
Das Signal zum Aufsitzen der Jockeys kam, und ich stieg auf ihr Pferd, um zu sehen, was wir gegen die irische Stute ausrichten konnten. Wir legten nicht nur ein schnelles Tempo vor, sondern behielten es gleichmäßig bei, so daß die Stute jedes zusätzliche Pfund, das sie trug, auf jedem Schritt des Weges zu spüren bekam, und schließlich wehrten wir ihren entschlossenen letzten Angriff höchst zufriedenstellend mit anderthalb Längen ab.
»Großartig«, rief die Prinzessin strahlend im Ab sattelring aus. »Wunderschön.« Sie tätschelte ihren aufgedrehten Steepler. »Kommen Sie rauf zur Loge, Kit, wenn Sie sich umgekleidet haben.« Sie sah mein kaum merkliches Zögern und wußte es zu deuten. »Ich habe Lord Vaughn-ley oben wiedergetroffen. Er ist auch in meine Loge eingeladen.«
»Sie sind furchtbar nett.«
»Ich bin furchtbar angetan von Siegen wie diesem.«
Ich zog mir Straßenkleidung an und ging hinauf zu ihrer vertrauten Loge, hoch über dem Ziel. Diesmal war sie allein dort, nicht umgeben von Gästen, und sie erwähnte, daß sie auf dem Rückweg von Devon war; ihr Chauffeur habe sie am Morgen hergebracht.
»Meine Nichte rief gestern abend aus ihrem Büro an, um mir mitzuteilen, daß sie rechtzeitig angekommen sei«, sagte die Prinzessin. »Sie war überaus dankbar.«
Ich sagte, ich hätte sehr gern geholfen. Die Prinzessin bot mir Tee an, den sie selbst ausschenkte, und wir saßen wie so oft auf zwei benachbarten Stühlen, während ich ihr fast Hindernis für Hindernis das letzte Rennen beschrieb.
»Ich konnte es sehen«, sagte sie zufrieden. »Sie lagen die ganze Zeit vor der Stute. Wenn sie beschleunigte, beschleunigten auch Sie; als die Stute am anderen Ende verschnaufte, taten Sie es ebenfalls. Und dann konnte ich sehen, wie Sie mein Pferd bloß eben aufrüttelten, als ihr Jockey zur Peitsche griff ... da wußte ich, wir würden siegen. Ich war die ganze Runde hindurch sicher. Es war herrlich.«