Mit einem so gewaltigen Vertrauen konnte man am letzten Hindernis noch auf die Nase fallen, aber das wußte sie so gut wie ich. Es war schon vorgekommen. Um so besser, wenn es glattging.
Sie sagte: »Wykeham sagt, wir lassen Kinley morgen in Towcester zum erstenmal über die Hürden gehen. Sein erstes Rennen überhaupt.«
»Ja«, nickte ich. »Und Dhaulagiri bekommt seinen ersten Start in einem Sieglosen-Jagdrennen. Ich habe sie beide vorige Woche bei Wykeham im Training geritten, sagte ich Ihnen das? Beide sprangen ausgezeichnet. Ehm ... werden Sie dort sein?«
»Ich möchte es mir nicht entgehen lassen.« Sie hielt inne. »Meine Nichte sagt, sie kommt auch mit.«
Ich hob den Kopf. »So?«
»Sie hat es gesagt.«
Die Prinzessin betrachtete mich ruhig, und ich erwiderte den Blick, aber wenn es auch nützlich gewesen wäre, ihre Gedanken konnte ich nicht lesen.
»Es war mir ein Vergnügen, sie zu fahren«, sagte ich.
»Sie fand, daß es sehr schnell ging.«
»Ja.«
Die Prinzessin tätschelte unverbindlich meinen Arm, und Lord und Lady Vaughnley erschienen in der Tür, schauten mit fragenden Gesichtern herein und grüßten. Die Prinzessin hieß sie willkommen, reichte ihnen Gläser mit Portwein, den sie an kalten Tagen offenbar besonders schätzten, und zog Lady Vaughnley mit sich fort, um etwas draußen auf dem Balkon zu bewundern. So blieb Lord Vaughnley mit mir allein zurück.
Er sagte mir, daß er sich über die allgemeine Reaktion auf das Rennen vom vergangenen Samstag herzlich gefreut habe, und ich fragte ihn, ob er mir eventuell einen Gefallen tun könne.
»Aber, mein Lieber. Schießen Sie los. Alles, was in meinen Kräften steht.«
Ich erklärte nochmals die Sache mit Bobby und den Angriffen in der Flag, über die er inzwischen selbst genau Bescheid wußte.
»Guter Gott, ja. Haben Sie den Kommentar in unserem Blatt heute morgen gesehen? Unsere Frau da, Rose Quince, hat ein Mundwerk wie eine Klapperschlange, aber wenn sie schreibt, hat’s Hand und Fuß. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe mich gefragt«, sagte ich, »ob der Towncrier wohl eine Akte mit Zeitungsausschnitten über Maynard Allardeck führt. Und wenn ja, ob Sie gestatten würden, daß ich mir die mal ansehe.«
»Guter Gott«, antwortete er. »Haben Sie auch einen Grund dafür?«
Ich sagte, wir seien zu dem Schluß gekommen, daß Bobby das Opfer einer Kampagne geworden war, die hauptsächlich auf seinen Vater zielte. »Und es wäre nützlich zu wissen, wer Maynard so böse sein könnte, daß er seine Erhebung in den Adelsstand von vornherein verhindern möchte.«
Lord Vaughnley lächelte gütig. »Wie beispielsweise jemand, der um seine Firma gebracht worden ist?«
»Beispielsweise«, stimmte ich zu. »Ja.«
»Sie unterstellen, daß sich die Flag dazu zwingen läßt, eine Hetzkampagne zu reiten?« Er schürzte nachdenklich die Lippen.
»Ich glaube nicht, daß das viel Zwang erfordert«, sagte ich.
»Das ganze Blatt ist eine Hetzkampagne.«
»Aber, aber«, meinte er mit gespielter Mißbilligung. »Nun gut. Ich verstehe zwar nicht, wie das direkt Ihrem Schwager helfen soll, aber ich will dafür sorgen, daß Sie Zugang zu unserem Archiv bekommen.«
»Das ist wunderbar«, sagte ich aufrichtig. »Haben Sie vielen Dank.«
»Wann würde es Ihnen passen?«
»Sobald wie möglich.«
Er sah auf seine Armbanduhr. »Um sechs?«
Ich unterdrückte einen Ausruf des Erstaunens. Er sagte: »Ich muß heute abend zu einem Dinner in London sein. Vorher schaue ich noch beim Towncrier vorbei. Fragen Sie am Empfangsschalter nach mir.«
Ich erkundigte mich pünktlich an seinem Empfangsschalter in der Fleet Street und wurde in die Redaktionsräume im dritten Stock dirigiert, wo gerade Hochbetrieb war, da offenbar die Frühausgaben der Zeitung des nächsten Tages in Druck gehen sollten.
Lord Vaughnley, in Tweedsakko, nicht dazu passenden Smokinghosen, gestreiftem Hemd und weißer Krawatte, stand an der Seite eines Mannes, der in Hemdsärmeln an einem zentralen Tisch saß, und beide waren in die vor ihnen liegende Zeitung vertieft. Um sie herum, in vielen Abteilungen, die durch schulterhohe Trennwände halb separat waren, standen Gruppen von drei bis vier Schreibtischen. Jede Abteilung war besetzt mit Telefonen, Schreibmaschinen, Topfpflanzen und Leuten in einem Zustand leichter, aber anhaltender Nervosität.
»Was wollen Sie?« fragte mich jemand barsch, während ich dort herumlungerte, und als ich sagte, Lord Vaughnley, deutete er nur eben mit dem Finger. Also ging ich hinüber ins Zentrum der Aktivität und sagte neutral zu Lord Vaughnley: »Entschuldigen Sie ...«
Er hob die Augen, aber nicht den Kopf. »Ach ja, mein Lieber, einen Moment noch«, sagte er und senkte den Blick wieder, um konzentriert das zu überprüfen, was ich als die frisch gedruckte Titelseite von morgen erkannte.
Ich wartete interessiert, während er fertig las, betrachtete die zweckbetonte Kulisse ringsum, an der sich vermutlich seit den Tagen jenes wilden Giganten, des ersten Lord Vaughnley, nicht viel geändert hatte. Tische und Ausstattung waren zweifellos gekommen und gegangen, aber vom braunen Fußboden bis zu den vergilbenden Pastellwänden war der Gesamteindruck der einer praktischen, etwas altmodischen Beständigkeit.
Der jetzige Lord Vaughnley las zu Ende, reckte sich in die Höhe und klopfte auf die hemdsärmelige Schulter des sitzenden Mannes, bei dem es sich, wie ich später herausfand, um den großen weißen Häuptling, den Chefredakteur, handelte.
»Starker Tobak, Marty. Ausgezeichnet.«
Der sitzende Mann nickte und las weiter. Lord Vaughnley sagte zu mir: »Rose Quince ist hier. Sie möchten sie vielleicht gern kennenlernen.«
»Ja«, erwiderte ich. »Gern.«
»Da drüben.« Er strebte zu einer der Abteilungen hin, offensichtlich dem Lager der Dame mit der Klapperschlangenzunge, die dennoch Vernünftiges zu Papier brachte und die den heutigen Meinungsartikel über Maynard verfaßt hatte.
»Rose«, sagte der Inhaber der Zeitung, »kümmern Sie sich um Kit Fielding, ja?«, und die respekteinflößende Rose Quince versicherte ihm, das werde sie tun.
»Akten«, sagte Lord Vaughnley. »Was immer er sehen möchte, zeigen Sie es ihm.«
»Klar.«
Zu mir sagte er: »Wir haben eine Loge in Ascot. Der Towncrier, meine ich. Ich höre von der Prinzessin, daß Sie kommenden Freitag und Samstag dort reiten. Vermutlich sinnlos, mein Lieber, Sie für Samstag - den Tag, an dem ich da bin - zu mir zum Lunch einzuladen, aber kommen Sie auf einen Drink rauf, wenn Sie fertig sind. Sie werden stets willkommen sein.«
Ich sagte, ich käme gern.
»Schön. Schön. Meine Frau wird sich freuen. Jetzt sind Sie bei Rose in guten Händen. Sie wurde genauso in Fleet Street geboren wie ich, ihr Vater war Conn Quince, der den alten Chronicle herausgab; sie weiß besser, was läuft, als die Street selber. Sie weiht sie in alles ein, nicht wahr, Rose?«
Rose, die mir voller Vorbehalte zu sein schien, bejahte nochmals, daß sie das tun würde, und Lord Vaughnley nickte wie ein Mann, der weiß, er kann mit sich zufrieden sein, ging und überließ mich ihrer reptilhaften Obhut.
Zwar wuchsen ihr keine Medusenschlangen aus dem Kopf, aber wer immer ihr den Namen Rose gegeben hatte, konnte wohl nicht vorausgesehen haben, wie unpassend das wirkte.
Eine Rose war sie nicht. Eher eine Tigerlilie. Sie war hochaufgeschossen, sehr dünn und fünfzehn oder zwanzig Jahre älter als ich. Ihr kunstvoll gezaustes, üppiges Haar war brünett, aber auf eine Weise blond gesträhnt, die den Kontrast der beiden Farben betonte und kein einheitliches Schildpatt ergab. Das geschickt angemalte, bläßliche Gesicht konnte niemals hübsch gewesen sein, war jedoch ausdrucksvoll, die Nase maskulin, die Augen auffallend hellblau; und auf mehrere Schritte roch man ihr süßes, schweres Parfüm.