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»Sie werden allenfalls zehn Sekunden haben«, sagte sie und streckte die Armreifen nach dem Hörer. »Leggatt schnallt sofort, daß Sie nicht unser Chef sind. Unser Chefredakteur stammt aus Yorkshire und hört sich immer noch so an.«

Ich nickte.

Sie ging auf eine Außenleitung und tippte mit langen roten Nägeln die Nummer der Flag ein, die sie auswendig kannte, und nach einer Minute, in der sie jeden Iren an Schmus übertroffen hätte, reichte sie mir stumm den Hörer.

»Tag, Martin, was gibt’s?« fragte eine wenig begeisterte Stimme.

Ich sagte langsam und deutlich: »Owen Watts hat seine Kreditkarten in Bobby Allardecks Garten liegenlassen.«

»Bitte? Ich verstehe nicht ...« Dann ein plötzliches Schweigen.

»Wer spricht da?«

»Jay Erskine«, sagte ich, »hat seine Presseclubkarte am selben Ort vergessen. Wem soll ich diese Verluste melden? Dem Presserat, der Polizei oder meinem Abgeordneten?«

»Wer ist da?« fragte er einfach.

»Ich spreche von einem Apparat im Towncrier aus. Unterhalten Sie sich in Ihrem Büro mit mir, oder soll ich dem Towncrier einen Knüller servieren?«

Eine lange Pause trat ein. Ich wartete. Dann sagte seine Stimme: »Ich rufe Sie zurück. Geben Sie mir Ihre Durchwahl.«

»Nein«, sagte ich. »Jetzt oder nie.«

Eine weit kürzere Pause. »Also schön. Kommen Sie zum Empfangsschalter. Sagen Sie, Sie sind vom Towncrier.«

»Ich bin gleich da.«

Er knallte den Hörer auf, sowie ich ausgeredet hatte, und Rose starrte mich an, als bange sie um meinen Geisteszustand.

»So redet man nicht mit Chefredakteuren«, sagte sie.

»Tja ... nun, ich arbeite nicht für ihn. Und irgendwann im Leben habe ich gelernt, keine Angst vor Leuten zu haben. Vor Pferden hatte ich nie Angst. Bei Menschen war es schwieriger.«

Sie sagte mit einem ernsten Unterton: »Menschen können Ihnen schaden.«

»Das können sie sicher. Aber mit Sanftheit käme ich bei Leggatt nicht weit.«

»Wohin wollen Sie denn?« fragte sie. »Was ist das für ein Knüller, den Sie dem Towncrier vorenthalten?«

»Nichts Besonderes. Nur ein paar schmutzige Tricks, die sich die Flag erlaubt hat, um ihre Allardeck-Story für die Intimen Details zu bekommen.«

Sie zuckte die Achseln. »Ich bezweifle, ob wir das druk-ken würden.«

»Vielleicht nicht. Wie weit gehen Journalisten, um an eine Story zu kommen?«

»Unbegrenzt. Den Everest hoch, auf Kriegsschauplätze, in die Gosse, wo immer ein Skandal sie hinführt. Ich habe meine Kreuzfahrerzeit in vergammelten Gesundheitsfarmen, korrupten Gemeindeverwaltungen und verrückten Kirchen abgeleistet. Ich habe mehr Dreck, mehr Hunger, mehr Armut, mehr Tragödien miterlebt als nötig. Ich habe Nächte mit den Eltern ermordeter Kinder durchwacht und bin in einem Küstendorf bei Witwen von Seenothelfern gewesen, die ihre Toten beweinten. Und dann erwartet irgend so ein verdammter Hansnarr, daß ich mich auf ein vergoldetes Stühlchen hocke und in irgend ’nem Pariser Salon über Rocklängen in Ohnmacht falle. Ich hab noch nie für die Damenwelt geschrieben und fange weiß Gott auch jetzt nicht damit an.«

Sie unterbrach sich, lächelte verzerrt: »Mein Feminismus schlägt durch.«

»Erklären Sie, daß Sie nicht mitmachen«, sagte ich. »Wenn es eine Degradierung ist, lehnen Sie ab. Sie haben es in der Hand. Niemand erwartet, daß Sie über Mode schreiben, und ich stimme Ihnen zu, Sie sollten es nicht.«

Sie bedachte mich mit einem langen Blick. »Ich würde nicht rausfliegen, aber er ist neu, er ist ein Chauvinist, und er könnte mir gewiß das Leben schwermachen.«

»Sie«, sagte ich, »sind doch eine sehr gefragte Dame. Fahren Sie die berühmten Giftzähne aus. Ein paar Spritzer könnten Wunder wirken.«

Sie stand auf, reckte sich in die Höhe, legte die Hände auf ihre Hüften mit dem schweren Gürtel. Sie sah aus wie eine zum Kampf gerüstete Amazone, aber ich konnte trotzdem die Unentschlossenheit im Inneren spüren. Ich stand ebenfalls auf, gleich groß wie sie, und küßte ihre Wange.

»Sehr brüderlich«, meinte sie trocken. »Ist das alles?«

»Das ist alles, was Sie wollen, oder nicht?«

»Ja«, sagte sie leicht überrascht. »Sie haben verdammt recht.«

Die Daily Flag, nicht weit entfernt vom Towncrier in der Fleet Street, war entweder viel später erbaut oder aber in modernem Pomp renoviert worden.

Im Foyer gab es einen Springbrunnen, der negative Ionen versprühte und, soweit die Decke reichte, Lüster aus dünnen vertikalen Glasstäben, die schimmerten und am unteren Ende Licht ausstrahlten. Dazu einen Marmorboden, futuristische Sitzmöbel und einen Wachschalter, besetzt mit vier kräftigen Männern in einschüchternden Uniformen.

Ich erklärte einem von ihnen, ich sei vom Towncrier gekommen, um Mr. Leggatt zu sprechen, und war halb darauf gefaßt, sie würden mich hochkant hinauswerfen. Das einzige, was passierte, war jedoch, daß man mich nach Überprüfung einer Liste mit dem gleichen Mangel an Interesse nach oben wies, der mir auch auf freundlicherem Territorium schon begegnet war.

Oben ging es weiter mit dem dekorativen Kontrast. Die Wände der Flag waren hellorange mit roten Tupfern, die Arbeitstische leuchtendgrüner Kunststoff, der Teppichboden mit roten und orangen Zickzacklinien gemustert, das Ganze eine Studie in Ruhelosigkeit. Zorn auf jeder Seite, dachte ich, und kein Wunder.

Sam Leggatts Büro hatte eine undurchsichtige Glastür mit der Aufschrift »Redakteur« in großen weißen Kleinbuchstaben; weiter unten stand ein Zusatz in der gleichen Schrift, nur kleiner, der Besucher anwies, zu läuten und zu warten.

Ich läutete und wartete, und kurz darauf schwang die Tür summend ein paar Zentimeter nach innen. Sam Leggatt mochte nicht wirklich eine kugelsichere Weste tragen, doch seine Schutzmaßnahmen gegen ungebetene Gäste waren eindrucksvoll.

Ich stieß die Tür weiter auf und betrat die nächste Bastion des miserablen Geschmacks: schwarzer Plastikschreibtisch, rote, in geometrischem Design getüpfelte Tapete und ein grüngefleckter Spannteppich. An diesem Arbeitsplatz hätte ich schreiend zur Flasche gegriffen.

Zwei Männer standen drinnen, beide in Hemdsärmeln, beide anscheinend gleichgültig gegen ihre Umgebung. Der eine war klein, untersetzt, mit sandfarbenem Haar, der andere größer, gebeugt, bebrillt und angehend kahl. Beide um die Fünfzig, dachte ich. Ein dritter, jüngerer Mann im Anzug saß aufmerksam und still in einer Ecke.

»Mr. Leggatt?« sagte ich.

Der untersetzte Blonde sagte: »Ich bin Leggatt. Ich gebe Ihnen fünf Minuten.« Er hob den Kopf zu dem größeren Mann neben ihm. »Das ist Tug Tunny, der die Intimen Details leitet. Da drüben ist Mr. Evans von unserer Rechtsabteilung. Wer sind Sie also, und was wollen Sie?«

Tug Tunny schnippte in die Finger. »Ich weiß, wer das ist«, sagte er. »Jockey. Dieser Jockey.« Er suchte in seinem Gedächtnis nach dem Namen und fand ihn. »Fielding. Champion Jockey.«

Ich nickte, und mir schien, daß sie sich alle entspannten. Trotzdem lag ein Anflug von Arroganz in der Art, wie Leggatt dastand, und eine Spur von Kampflust, wenn auch wohl nicht mehr, als seine hohe Stellung und die Umstände rechtfertigten, und er redete und benahm sich ganz und gar nicht großspurig.

»Was wollen Sie?« wiederholte Leggatt, aber mit weniger Nervosität als bei meinem Eintritt; und während er sprach, kam mir der Gedanke, daß sie bei seinem Faible für Sicherheitsmaßnahmen die Unterhaltung aufzeichnen würden und daß ich in ein offenes Mikrofon redete, das nicht zu sehen war.

Ich sagte vorsichtig: »Ich bin gekommen, um die Rückgabe des Eigentums von zwei Ihrer Journalisten zu regeln, Owen Watts und Jay Erskine.«