Ich sagte: »Ich weiß nicht, ob Metavane von Bedeutung ist. Morgen werde ich es wissen. Haltet den Kopf hoch, ja?«
»Bobby läßt bestellen, daß der Drache die Einfahrt heraufkreucht.«
Lächelnd legte ich den Hörer auf. Wenn Bobby scherzen konnte, war er gestärkt von der Heide zurückgekommen.
Großvater nörgelte, er sei schon halb im Bett, erklärte sich aber bereit, in seinem Schlafanzug nach unten zu gehen. »Perryside«, las er ab, »Major Clement Perryside, In den Fichten, St. Albans, Hertfordshire, Rufnummer anbei.« Abscheu erfüllte die alte Stimme. »Wußtest du, daß der Kamerad seine Pferde bei Allardeck hatte?«
»Tut mir leid, ja.«
»Dann zum Teufel mit ihm. Sonst noch was? Nein? Gute Nacht.«
Ich rief die Nummer der Perrysides an, die er mir gegeben hatte, und eine Stimme am anderen Ende sagte, ja, In den Fichten sei schon richtig, aber die Perrysides wohnten dort seit etwa sieben Jahren nicht mehr. Die Stimme hatte das Haus von Major Perryside und Frau gekauft, und wenn ich wartete, könnte man vielleicht die neue Anschrift und Telefonnummer finden.
Ich wartete. Man fand. Ich bedankte mich und wünschte gute Nacht.
Unter der neuen Nummer sagte eine andere Stimme, nein, Major Perryside und Frau wohnten hier nicht mehr.
Die Stimme hatte den Bungalow vor mehreren Monaten von ihnen gekauft. Sie glaubte, die Perrysides seien in einen Wohnpark in Hitchin gezogen. Welchen Wohnpark? Sie konnte es nicht sagen, aber es sei bestimmt in Hitchin. Oder direkt außerhalb. Glaubte sie.
Schönen Dank, sagte ich seufzend und legte auf.
Major Perryside und Frau, die älter und vielleicht ärmer geworden waren, die wissen mußten, daß Maynard mit ihrem Pferd Millionen gemacht hatte - konnten sie derart von einem Groll besessen sein, daß sie ihn zu diesem späten Zeitpunkt noch aufs Korn nahmen? Aber selbst wenn sie es nicht getan hatten, glaubte ich, es würde sich lohnen, mit ihnen zu reden.
Wenn ich sie finden könnte; in Hitchin oder außerhalb.
Ich klingelte meinen Anrufbeantworter im Cottage an und rief meine Nachrichten ab: vier von verschiedenen Trainern, die eine von Holly und zum Schluß ein unbekannter Mann, der mich bat, ihn unter der genannten Nummer zurückzurufen.
Ich meldete mich zuerst bei Wykeham Harlowe, da er wie mein Großvater zeitig zu Bett ging, und auch er sagte, er sei im Schlafanzug.
Wir unterhielten uns eine Weile über die Renner dieses Tages und diejenigen für den nächsten Tag und den Rest der Woche; normale, mehr oder weniger allabendliche Erörterungen. Und wie heutzutage üblich sagte er, er komme morgen nicht nach Towcester, es sei zu weit. Ascot, sagte er, am Freitag und Samstag. Nach Ascot fahre er; vielleicht nur für einen Tag, aber er werde dort sein.
»Großartig«, meinte ich.
»Sie wissen, wie es ist, Paul«, sagte er. »Alte Knochen, morsche Knochen.« »Ja«, sagte ich. »Ich weiß. Hier ist Kit.«
»Kit? Natürlich sind Sie Kit. Wer sollten Sie sonst sein?«
»Niemand«, sagte ich. »Ich rufe Sie morgen abend an.«
»Gut, schön. Geben Sie auf diese Anfänger acht. Also gute Nacht, Paul.«
»Gute Nacht«, sagte ich.
Anschließend sprach ich mit den drei anderen Trainern, wobei es jeweils um die Pferde ging, die ich in dieser und der folgenden Woche für sie reiten würde, und dann schließlich, nach zehn Uhr und unter krampfhaftem Gähnen, meldete ich mich bei der letzten, unbekannten Nummer.
»Hier ist Kit Fielding«, sagte ich.
»Ah.« Es folgte eine Pause, dann ein leises, aber wahrnehmbares Klicken.
»Ich biete Ihnen«, sagte die kultivierte Stimme, »eine günstige Gelegenheit.«
Er hielt inne. Ich sagte nichts. Ganz ruhig redete er weiter: »Dreitausend vorher, zehntausend danach.«
»Nein«, sagte ich.
»Sie haben die Einzelheiten noch nicht gehört.«
Ich hatte schon genug gehört. Ich legte auf, ohne noch ein Wort zu sagen, saß da und starrte ein Weilchen auf Wände, die ich nicht sah.
Man hatte mich schon vorher zu kaufen versucht, aber nicht ganz auf diese Art. Nie mit einem derart hohen Betrag. Die Vorher-Nachher-Kaufleute suchten dauernd Jok-keys, die auf Bestellung verloren, aber an mich war seit Jahren keiner ernsthaft herangetreten. Nicht seit sie meine Körbe leid geworden waren.
Die Stimme von heute abend war mir fremd, oder ich hatte sie nicht oft genug gehört, um sie wiederzuerkennen. Hohe Tonlage. Entsprechende Bildung. Ein Prickeln kroch mir den Rücken hinauf. Die Stimme, die Methode, die Summe, der Zeitpunkt, das alles weckte scheußliche kleine Vorstellungen von einer zuschnappenden Falle.
Ich schaute auf die Telefonnummer, die ich bekommen hatte.
Eine Londoner Nummer. Zone 722. Ich wählte die Frau in der Zentrale und fragte, wo der Bereich 722 zu finden sei, allgemeine Information, die in jedem Londoner Telefonbuch abgedruckt war. Einen Moment, sagte sie und gab es mir fast sofort durch: 722 sei Chalk Farm Strich Hampstead.
Ich dankte ihr. Chalk Farm Strich Hampstead sagte mir überhaupt nichts, außer daß es keine Ecke war, die sich dem Rennsport verschrieben hatte. Ganz im Gegenteil, wie mir schien. Das Leben in Hampstead war eher intellektuell nach innen gekehrt als lärmend unter freiem Himmel.
Warum Hampstead ...
Ich schlief im Sessel ein.
Nach einer zumindest halb im Bett verbrachten Nacht trank ich am Morgen etwas Kaffee und fuhr zum Einkaufen in die Tottenham Court Road, wo ich in zugigen Eingängen darauf wartete, daß die Elektronikzauberer ihre Stahlnetzpforten öffneten.
Ich fand einen Laden, der Roses Dreiviertel-ZollProfiband von Maynard auf ein gängiges Format überspielte, passend für meinen eigenen Apparat, ohne nach Urheberrechten zu fragen. Der wissende, entgegenkommende junge Mann, der das übernahm, schien angewidert und verblüfft, daß die Aufzeichnung nicht pornographischen Inhalts war, aber ich munterte ihn etwas auf, indem ich eine leichte Videokamera, einen Satz Batterien dafür und eine Anzahl neuer Bänder kaufte. Er zeigte mir ausführlich, wie das alles ging, und ermutigte mich, im Laden zu üben. Er könne mir einen hilfsbereiten kleinen Junggesellenclub empfehlen, sagte er, wenn ich Therapie brauche.
Ich wies das Angebot zurück, lud alles ins Auto und fuhr nordwärts nach Hitchin, was zwar nicht gerade der direkte Weg nach Towcester war, aber zumindest lag es nicht in diametral entgegengesetzter Richtung.
Die Perrysides waren leicht zu finden, als ich dort ankam - sie standen im Telefonbuch. Major C. Perryside, 14 Conway Retreat, Ingle Barton. Hilfsbereite Einheimische dirigierten mich nach dem Dorf Ingle Barton, drei Meilen außerhalb der Stadt, und dort erklärten andere mir, wie ich Nr. 14 in der Altensiedlung fände.
Die Häuser selbst waren mehrere langgezogene Terrassen aus kleinen einstöckigen Wohneinheiten, jede mit einer eigenen, farbig gestrichenen Haustür und einem schmalen Blumenbeet. Nur Fußpfade führten zu den Häusern. Man mußte sein Auto auf einem asphaltierten Platz parken und zwischen winzigen Grasparzellen auf säuberlich gepflasterten Wegen gehen. Möbelpacker, sinnierte ich, würden die Anlage rundweg verfluchen, aber sie schuf zweifellos eine Atmosphäre ungewöhnlicher Ruhe, selbst an einem feuchtkalten Novembermorgen.
Ich nahm die Videokamera in ihrer Tragetasche mit und ging zu Nr. 14. Drückte auf den Klingelknopf. Wartete.
Überall war Stille, und niemand kam an die Tür. Nach zwei oder drei weiteren erfolglosen Klopf- und Klingelversuchen ging ich zur Tür des Nachbarn auf der rechten Seite und versuchte es dort.
Eine alte Dame öffnete, rundlich, interessiert, mit strahlenden Kinderaugen.
»Die sind rüber zum Laden gegangen«, sagte sie.
»Haben Sie eine Ahnung, wie lange das dauert?«
»Sie lassen sich Zeit.«
»Wie würde ich sie erkennen?« fragte ich.
»Der Major hat weiße Haare und geht am Stock. Lucy wird einen Anglerhut aufhaben, nehme ich an. Und wenn Sie vorhaben, ihnen die Lebensmittel heimzutragen, junger Mann, sind Sie bestimmt willkommen. Versuchen Sie aber nicht, ihnen Lexika oder eine Lebensversicherung aufzuschwatzen, da vergeuden Sie Ihre Zeit.«