»Erinnern Sie sich an Snowline?« fragte die Prinzessin. Ich nickte, und sie sagte zu Danielle: »Snowline hieß eine Stute, die ich vor langer Zeit hatte. Sie war schön anzusehen und hatte zwei oder drei Mal auf der Flachen gewonnen, und ich kaufte sie als Hürdenpferd, zum Teil, muß ich gestehen, ihres Namens wegen, Schneegrenze, aber sie sprang nicht gern. Ich ließ sie zwei Jahre im Training, weil ich eine Schwäche für sie hatte, aber es war hinausgeworfenes Geld und eine Illusion.« Sie lächelte. »Wykeham versuchte es mit anderen Jockeys, erinnern Sie sich, Kit? Für den zweiten lief sie gar nicht erst los. Das war mir eine große Lehre. Wenn ein Pferd nicht rennen mag, gibt man es auf.«
»Was ist aus Snowline geworden?« fragte Danielle.
»Ich verkaufte sie als Zuchtstute. Zwei von ihren Fohlen haben auf der Flachen gesiegt.«
Danielle schaute von ihrer Tante zu mir und wieder zurück.
»Ihr liebt das beide total, was?«
»Total«, sagte die Prinzessin.
»Total«, stimmte ich zu.
Ich stieg auf Kinley und führte ihn langsam an der Tribüne vorbei, um ihn die Geräusche und Gerüche in sich aufnehmen zu lassen, und dann zum Start hinunter, wobei ich ihm Gelegenheit gab, sich eine Hürde genau anzusehen, ihn in Brusthöhe davor stehen ließ, so daß er sie fast berührte und darüberhin schauen konnte. Er spitzte die Ohren und blähte seine Nüstern, und ich spürte, wie der Instinkt sich in ihm höchst zufriedenstellend regte, der angeborene Drang, der ihm im Blut lag wie Musik, der brennende Wille, zu rennen und zu siegen.
Du, Kinley, dachte ich, weißt alles, was ich dir über das Springen beibringen konnte, und wenn du es heute vermasselst, hast du die ganzen Morgenstunden, die ich im Herbst mit dir auf dem Trainingsgelände zugebracht habe, verschwendet.
Kinley schlug mit dem Kopf. Ich ließ eine Hand besänftigend an seinem Hals entlanggleiten und führte ihn weiter zum Start, wo ich mich unter zwei bis drei andere komplette Anfänger mischte und etwa zehn, die schon an mindestens einem Rennen teilgenommen, aber noch nicht ge-siegt hatten. Der früheste Zeitpunkt, zu dem ein Pferd in Großbritannien Hindernisrennen bestreiten durfte, war der August seines dritten Jahres, und Kinley lief hier in einem 2-Meilen-Wettkampf für Dreijährige, die noch keinen Sieg errungen hatten.
Manche Jockeys drückten sich vor der Ausbildungsarbeit, aber mich hatte sie nie gestört aus dem einfachen Grund, daß ich, wenn ich das Pferd selbst unterwies, anschließend wußte, was es konnte und was nicht. Manche Trainer schickten unerfahrene Pferde ins Rennen, die nur eine ganz nebelhafte Vorstellung davon hatten, wie man richtig einen Sprung nahm, doch Wykeham und ich waren uns einig: Virtuoses Springen in der Öffentlichkeit stand nicht zu erwarten ohne Arpeggios daheim.
Wykeham pflegte Kinley als Kettering zu bezeichnen, ein Pferd, das er in der fernen Vergangenheit trainiert hatte. Ich fand es mitunter erstaunlich, daß die richtigen Pferde zu den Meetings erschienen; ohne Zweifel Dustys Werk.
Kinley ging mit lediglich angemessener Nervosität im Kreis, reihte sich ein und warf sich, als die Bänder wegschnellten, mit grimmigem Tempo nach vorn. Alles war neu für ihn, alles unbekannt; das Übungsgelände daheim bereitete ein Pferd in keiner Weise auf das erste schwindelerregende Erlebnis der Realität vor. Ich beruhigte ihn nach und nach mit Händen und Hirn, darauf bedacht, nicht zuviel einzugreifen, ihm nicht beizubringen, was er wirklich fühlte, sei verkehrt, sondern es nur zu bändigen, in der Schwebe zu halten, abzuwarten.
Er traf die erste Hürde genau und übersprang sie glatt, und ich spürte deutlich, wie er es selbst merkte, wie sein Selbstvertrauen wuchs. Er ließ mich seine Schritte etwas verkürzen, als wir die zweite Hürde angingen, um sie richtig zu treffen und nicht erst abbremsen zu müssen, und beim dritten Sprung kam er so weit auf der anderen Seite auf, daß meine Stimmung stieg wie ein Vogel. Kinley würde gut werden. Manchmal konnte man das gleich zu Anfang sagen, wie bei einem großen Schauspieler, den man in seiner ersten annehmbaren Rolle sah.
Ich ließ ihn jedes Hindernis deutlich sehen, hauptsächlich indem ich ihn außen hielt. Technisch war die Innenseite der kürzeste Weg, aber sie war auch schwieriger. Durch Lücken stoßen konnte er immer noch, wenn er verläßlich durchlief.
Nur so weiter, Kinley, alter Knabe, sagte ich ihm; du kommst gut. Geh nur eben etwas runter, ja, so, damit du klar bist für den nächsten Sprung, und jetzt ab die Post, ab die Post ... meine Herren, Kinley, du lädst mich noch ab, wenn du so springst, warte halt, bis ich über deine Schultern komme, was hindert uns eigentlich, das Ding hier zu packen, warum nicht gleich beim ersten Mal, alles schon dagewesen, ab mit dir, Kinley, spring nur so weiter, und wir haben so gut wie gewonnen.
Ich gönnte ihm auf dem letzten Anstieg eine Verschnaufpause, und er war zutiefst betrübt über meinen fehlenden Ansporn, aber sobald wir um die letzte Kurve waren und nur noch ein Sprung vor uns lag, rüttelte ich ihn auf und sagte laut, er solle sich ins Zeug legen, drückte ihn mit meinen Waden, sandte ihm rhythmische Botschaften mit meinen Händen, sagte ihm, okay, mein Sohn, flieg los, lauf zu, jetzt mach deinen verdammten Hals lang, das ist der Sinn und Zweck des Ganzen, das ist deine Zukunft, hol sie dir, nimm sie dir, du sollst sie haben.
Er platzte vor Stolz, als ich ihn anhielt, begriff sofort, daß er es richtig gemacht hatte, daß die vielen Klapse, die er von mir bekam, Lob waren, daß der Beifall, mit dem seine Ankunft vor der Tribüne begrüßt wurde, der Zugaberuf für eine Glanzleistung war. Starker Tobak für einen Anfänger;
und ich schätzte, wegen dieses Tages würde er sich sein Leben lang die Seele aus dem Leib laufen, um zu siegen.
»Es hat ihm gefallen«, sagte die Prinzessin freudestrahlend.
»Allerdings.«
»Diese Sprünge ...«
Ich schnallte meinen Sattel los und zog ihn auf meinen Arm herunter.
»Er ist sehr gut«, sagte ich. »Sie haben da wirklich ein gutes Pferd.«
Sie sah mich abwägend an, und ich nickte. »Man muß abwarten. Es ist noch zu früh.«
»Wovon redet ihr bloß?« wollte Danielle wissen.
»Vom Triumph Hurdle«, sagte ihre Tante.
Ich ging zum Zurückwiegen, Umkleiden, Abwiegen und zog den gleichen Hokuspokus mit Wykehams zweitem Renner noch mal durch, der nicht der Prinzessin, sondern einem ebenso interessierten Ehepaar in den Siebzigern gehörte.
Sie besaßen nur das eine Pferd, einen alternden Steepler, der schon einmal in den Ruhestand versetzt worden war und geschmachtet hatte, bis man ihn wieder trainieren ließ, und ich freute mich aufrichtig für sie, als er aufgrund seiner Erfahrung die ganzen drei Meilen hindurch auf den Beinen blieb, während andere stürzten, und wider Erwarten unbekümmert als Erster durchs Ziel donnerte.
Wykeham kam zwar nicht zu den Rennen, dachte ich, als ich gutgelaunt anhielt, sein Verstand war auf die Vergangenheit fixiert, aber er konnte allemal noch Sieger trainieren.
Ich verfolgte das nächste Rennen von der Tribüne aus und gewann das darauffolgende für den Trainer aus Lam-bourn. So ein Tag mal wieder, dachte ich zufrieden. Ein
Hattrick. Das passierte ein- oder zweimal pro Saison, kaum öfter.
Während ich vor der Tribüne meinen Sattel losschnallte, fiel mir ein, daß Eric Olderjohn, der vor stiller Freude glühende Besitzer des Pferdes, auf höherer Ebene mit dem Staatsdienst zu tun hatte. Davon wußte ich auch nur, weil er sich hin und wieder beklagte, die Regierungsgeschäfte hielten ihn davon ab, seinen Augapfel rennen zu sehen.
Ich fragte ihn spontan, ob ich ihn ein paar Minuten sprechen könne, nachdem ich mich zurückgewogen und für das nächste Rennen umgezogen hätte. Er sagte so ziemlich nach Vaughnley-Art liebenswürdig »Jederzeit« und wartete auch wie versprochen, als ich herauskam.
Wir unterhielten uns ein wenig über seinen Sieg, der noch ganz seine Gedanken einnahm, und dann fragte er, was ich wünschte. Ich hätte gern Antwort auf einige Fragen, sagte ich, aber ich wüßte nicht recht, ob er sie mir geben könne oder geben würde.