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Da ich Lord Vaughnley schon bei mehreren Rennsportfeierlichkeiten getroffen hatte, wo den Erfolgreichen (wie etwa Champion-Jockeys, führende Trainer, Besitzer-desJahres und so weiter) begehrte Auszeichnungen verliehen wurden, und da Hollys Kummer mich nicht losließ, fragte ich ihn, ob er wisse, wer für die >Intimen Details< in der Flag verantwortlich sei.

»Verantwortlich?« wiederholte er mit einem Anflug von selbstgerechtem Abscheu. »Unverantwortlich wohl eher.«

»Dann also unverantwortlich.«

»Warum denn?« fragte er.

»Das Blatt hat grundlos und ohne erkennbaren Sinn meinen Schwager angegriffen.«

»Hm«, sagte Lord Vaughnley. »Zu dumm. Aber, mein Lieber, sinnlose Angriffe liest die Öffentlichkeit gern. Destruktive Kritik erhöht die Auflagen, Lob und Anerkennung nicht. Mein Vater pflegte das zu sagen, und er lag selten falsch.«

»Und zum Teufel mit der Gerechtigkeit«, sagte ich.

»Wir leben in einer herzlosen Welt. So war es immer, so wird es immer sein. Christen, den Löwen zum Fraß -kommt, kauft euch die besten Plätze im Schatten! Ein blutiges Schauspiel ist euch gewiß! Die Leute kaufen Zeitungen, mein Lieber, um zu sehen, wie die Opfer in Stücke gerissen werden. Seien Sie dankbar, daß es körperlich unblutig ist; soweit sind wir immerhin gekommen.« Er lächelte, als spräche er mit einem Kind. »Intime Details, müssen Sie wissen, sind eine Gemeinschaftsanstrengung. Ein ganzer Haufen von Journalisten gräbt die Goldklumpen aus, und daneben gibt es ein Netz von Informanten in Krankenhäusern, Leichenhallen, Nachtclubs, Polizeiwachen und weniger ehrbaren Orten aller Art, die den Klatsch telefonisch durchgeben und dafür Lohn einstreichen. Beim Towncrier halten wir es auch so. Das tut jede Zeitung. Klatschspalten, mein Lieber, kämen sonst nicht zustande.«

»Ich wüßte gern, wo der Artikel über meinen Schwager herkommt. Wer da wem geflüstert hat, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und warum.«

»Hm.« Die grauen Augen blickten nachdenklich. »Der Chefredakteur der Flag ist Sam Leggatt. Selbstverständlich könnten Sie ihn fragen, aber auch wenn er es von seinem Stab erfährt, wird er es Ihnen nicht sagen. Da rennen Sie gegen eine Wand, mein Lieber.«

»Und Sie finden es richtig«, deutete ich seinen Tonfall. »Dichthalten, niemals Quellen preisgeben und was sonst dazugehört.«

»Wenn Ihr Schwager wirklich nachweisbar Schaden erlitten hat«, nickte er freundlich, »dann sollte er Sam Leg-gatt durch seinen Anwalt mitteilen lassen, daß ihm eine Anzeige wegen Verleumdung bevorsteht, wenn nicht sofort ein Widerruf und eine Entschuldigung veröffentlicht werden. Das zieht manchmal. Andernfalls könnte Ihr Schwager einen kleinen außergerichtlichen Vergleich erwirken. Aber raten Sie ihm davon ab, mein Lieber, sich auf eine richtiggehende Verleumdungsklage einzulassen. Die Flag hält sich Spitzenanwälte, und die kennen da nichts. Sie würden die harmlosesten Geheimnisse Ihres Schwagers ausbuddeln und bis zur Unkenntlichkeit verdrehen. Er würde sich wünschen, er hätte nie damit angefangen. Ein Rat unter Freunden, mein Lieber, glauben Sie mir.«

Ich erzählte ihm, daß der Beitrag, mit einem roten Rand versehen, durch Boten bei Geschäftsleuten abgeliefert worden war.

Lord Vaughnley krauste die Stirn. »Sagen Sie ihm, er soll den Informanten in seiner Umgebung suchen«, meinte er. »Klatschmeldungen entspringen oft nachbarlicher Bosheit. Ähnlich wie Gerüchte über Pfarrer und ihre Liebhaberinnen.« Er lächelte flüchtig. »Gute alte Bosheit. Was sollte die Zeitungsindustrie bloß ohne sie anfangen!«

»Welch ein Bekenntnis!« sagte ich frotzelnd.

»Wir schreien nach Frieden, Ehrlichkeit, Harmonie, Gemeinsinn und nach gleichem Recht für alle«, erwiderte er. »Ich versichere Ihnen, daß wir das tun, mein Lieber.«

»Ja«, sagte ich. »Ich weiß.«

Die Prinzessin berührte Lord Vaughnley am Arm und lud ihn ein, hinaus auf den Balkon zu gehen, um sich das letzte Rennen anzusehen. Er fand es jedoch an der Zeit, zu den Gästen des Towncrier zurückzukehren, die er vorübergehend in einem Sponsorensaal allein gelassen hatte, und zusammen mit seiner Frau verabschiedete er sich.

»Nun, Kit«, sagte die Prinzessin, »da jetzt alle draußen sind und sich das Rennen ansehen, erzählen Sie mir mal von North Face.«

Wir setzten uns wie so oft in zwei Sessel, und ich berichtete vorbehaltlos, was zwischen ihrem Pferd und mir abgelaufen war.

»Ich wünschte«, sagte sie nachdenklich am Schluß, »ich hätte Ihr Gefühl dafür, was Pferde denken. Ich habe es sogar schon damit versucht, daß ich meinen Kopf an ihren hielt«, sie lächelte beinah verlegen, »aber nichts tut sich. Zu mir dringt überhaupt nichts durch. Also, wie stellen Sie das an?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich. »Jedenfalls glaube ich nicht, daß es von Kopf zu Kopf geht. Anscheinend wird es mir bewußt, wenn ich sie reite. Es kommt nicht in Worten, überhaupt nicht. Es ist einfach da. Es kommt von allein. Das geht vielen Reitern so. Pferde sind telepathische Wesen.«

Sie legte den Kopf schräg und sah mich an. »Aber Sie, Kit, Sie lesen die Gedanken von Menschen genau wie die von Pferden. Schon oft haben Sie auf eine Frage geantwortet, die ich Ihnen gerade in dem Moment stellen wollte. Ziemlich beunruhigend. Wie machen Sie das?«

Ich war verblüfft. »Ich weiß nicht, wie.«

»Aber Sie wissen, daß Sie’s tun?«

»Na ja ... früher wohl. Meine Zwillingsschwester Holly und ich hatten eine Zeit, wo wir untereinander telepathisch waren. Fast wie eine besondere Form des Redens. Aber in den letzten Jahren sind wir da herausgewachsen.«

»Schade«, sagte sie. »So eine interessante Begabung.«

»Logisch betrachtet, kann es sie nicht geben.«

»Es gibt sie aber.« Sie tätschelte meine Hand. »Schönen Dank für heute, auch wenn mir wegen Ihnen und North Face bald das Herz stehengeblieben wäre.«

Sie erhob sich ohne Hast, seit früher Zeit geübt darin, ein Gespräch taktvoll zu beenden, wann sie es wollte, und ich stand ebenfalls auf und dankte ihr höflich für den Tee. Sie lächelte durch ihre Wimpern, wie sie es oft in Gesellschaft tat; nicht aus Koketterie, sondern, wie mir schien, um ihre Gefühle für sich zu behalten.

Sie hatte einen Mann, zu dem sie täglich nach Hause fuhr: Monsieur Roland de Brescou, ein Franzose von adliger Herkunft, immensem Reichtum und fortgeschrittenem Alter. Ich kannte ihn von zwei Begegnungen als eine weißhaarige Gestalt im Rollstuhl mit autokratischer Nase und geringem Mitteilungsbedürfnis. Hin und wieder erkundigte ich mich nach seinem Befinden; die Prinzessin antwortete stets, es gehe ihm gut. Aus ihrem Tonfall oder ihrem Verhalten ließ sich unmöglich entnehmen, was sie für ihn empfand: Liebe, Sorge, Enttäuschung, Ungeduld, Freude . nichts kam zum Vorschein.

»Wir starten in Devon und Exeter, nicht wahr?« sagte sie.

»Ja, Prinzessin. Bernina und Icicle.«

»Gut. Dann sehen wir uns dort am Dienstag.«

Ich gab ihr die Hand. Manchmal, nach einem Sieg wie dem heutigen, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, einen

Abschiedskuß auf ihre Porzellanwange zu drücken. Ich mochte sie sehr. Sie würde das vielleicht aber als eine ganz empörende Grenzüberschreitung ansehen und mich entlassen, darum deutete ich ihrer beherrschten Art entsprechend nur eine Verbeugung an und ging.

»Du hast verdammt lang gebraucht«, beklagte sich Holly. »Die Frau behandelt dich wie einen Schoßhund. Es ist ekelhaft.«

»Klar ... na ja ... hier bin ich.«

Sie hatte stehend vor dem Waageraum im kalten Wind auf mich gewartet, nicht gemütlich auf einem Stuhl in der Bar. Der dreifache Gin war ohnehin ein Scherz gewesen, da sie selten Alkohol trank, aber daß sie sich noch nicht einmal hinsetzen konnte, verriet den Grad ihrer Unruhe.