»Sie nahmen an«, sagte ich statt dessen, »daß ein Seitenhieb gegen Maynard am wirkungsvollsten wäre, und Sie entschlossen sich, ihn auf dem Umweg über seinen Sohn anzugreifen. Sie haben keinen Gedanken an das Unheil verschwendet, das Sie über den Sohn brachten. Sie haben ihn benutzt. Für diesen Mißbrauch sollten Sie ihn entschädigen.« »Nein«, sagte Pollgate.
»Wir geben nichts zu«, sagte der Anwalt. Ein geradezu klassisches Anwaltswort. Schuldig mögen wir ja sein, aber sagen werden wir das nie. Er fuhr fort: »Wenn Sie weiterhin versuchen, durch Drohungen Geld zu erpressen, wird die Daily Flag Sie strafrechtlich belangen.«
Ich horchte nicht so sehr auf die Worte wie auf die Stimme; wußte, ich hatte sie vor kurzem irgendwo gehört, sondierte den eigentümlich hohen Klang, die Schärfe der Konsonanten und die fehlende Überzeugung, daß ich mit Intelligenz begabt sein könnte.
»Wohnen Sie in Hampstead?« sagte ich nachdenklich.
»Was hat denn das hiermit zu tun?« fuhr Pollgate kalt dazwischen.
»Dreitausend vorher, zehn hinterher.«
»Sie reden wirres Zeug«, sagte Pollgate.
Ich schüttelte den Kopf. David Morse sah aus, als hätte er auf eine Wespe gebissen.
»Sie waren ungeschickt«, sagte ich zu ihm. »Sie haben keine Ahnung, wie man’s anfängt, einen Jockey zu bestechen.«
»Wie fängt man es an?« fragte Sam Leggatt.
Ich lächelte fast. »Mit dem Namen des Pferdes.«
»Sie geben also zu, daß Sie Schmiergelder nehmen«, floh Morse nach vorn.
»Nein, tu ich nicht, aber man hat’s mir hin und wieder vorgeschlagen, und bei Ihnen hörte es sich nicht richtig an. Außerdem haben Sie Ihr Angebot auf Band aufgenommen. Ich hörte Sie das Gerät einschalten. Ein echter Bestecher würde das nicht tun.«
»Ich hatte zur Vorsicht gemahnt«, bemerkte Sam Leg-gatt mild.
»Sie können nichts von alledem beweisen«, sagte Pollgate mit Entschiedenheit.
»Mein Banker hält einen Wechsel über 3000 Pfund in den Händen, ausgestellt in London. Er hat vor, sich für mich nach seiner Herkunft zu erkundigen.«
»Verlorene Liebesmühe«, versicherte Pollgate.
»Dann tut er vielleicht das, worum ich ihn zuerst gebeten habe, und zerreißt ihn.«
Ein kurzes, völliges Schweigen trat ein. Wenn sie den Wechsel zurückverlangten, würden sie zugeben, daß er von ihnen kam, und wenn nicht, würde ihr gescheiter Plan sie um das Geld bringen.
»Oder er könnte auf Bobby Allardeck umgeschrieben werden, als erste kleine Rate auf die Entschädigung.«
»Sonst geht’s Ihnen noch gut?« sagte Pollgate schroff. »Geben Sie sofort das Eigentum unserer Journalisten heraus. Es gibt keine Entschädigung, ist das klar? Nicht einen Penny. Ich verspreche Ihnen, daß Sie sich noch wünschen werden, Sie hätten das nie zu erzwingen versucht.«
Unter dem zivilisierten Anzug spannte er die Schultern, ließ sie kreisen als körperliches Zeichen eines bevorstehenden Angriffs, buchstäbliches Muskelspiel vor einem Ausbruch geistiger Aggression. Ich erblickte in seinem Gesicht die ganze Brutalität seiner Zeitung und auch die Überheblichkeit uneingeschränkter Macht. Allzu lange, dachte ich, durfte ihm niemand trotzen, und mich hatte er nicht als Ausnahme vorgesehen.
»Wenn Sie uns Ärger vor Gericht machen«, sagte er grimmig, »erledige ich Sie. Das ist mein voller Ernst. Ich werde dafür sorgen, daß man Sie selbst eines Verbrechens anklagt, das Ihnen zuwider ist, und ich werde Sie verurteilen und hinter Gitter bringen lassen, und ich verspreche
Ihnen, Sie werden verachtet und verspottet, mit Pauken und Trompeten untergehen.«
Die letzten Worte waren stechend scharf, die erklärte Absicht vibrierend real.
Leggatt und Morse wirkten beide ungerührt, und ich hätte gern gewußt, was sie ihrerseits von meinem Gesicht ablesen konnten. Keine Furcht zeigen ... heiliger Strohsack.
Er würde es bestimmt nicht tun, dachte ich wirr. Die Drohung sollte sicher nur abschrecken. Ein Mann in seiner Position würde doch nicht den eigenen Status aufs Spiel setzen, um einen Gegner mit falschen Anschuldigungen ins Gefängnis zu bringen, der keine Existenzgefahr für seine Zeitung oder für ihn selbst darstellte, der keinen geschäftlichen Einfluß besaß.
Dennoch sah es übel aus. Jockeys waren immer anfällig für den Vorwurf der Unehrlichkeit, und es gehörte wenig dazu, eine zynische Öffentlichkeit in ihrem Zynismus zu bestätigen. Im Zweifelsfall lag Schuld vor. Er konnte sich mehr Mühe geben und auf raffiniertere Weise versuchen, mir Bestechungsgelder anzuhängen und bestimmt auch Schlimmeres. Was seine Zeitung an anderen ausprobiert hatte, konnte sie gründlicher noch einmal tun. Ein Verbrechen, das mir zuwider wäre.
Ich fand zunächst keine Worte, um ihm zu antworten, und während ich dastand, dehnte sich die Stille, bis der Summer an der Tür wütend losschnarrte und Morse zusammenschrak.
Sam Leggatt knipste einen Schalter an. »Wer ist da?« sagte er.
»Erskine.«
Leggatt blickte zu Pollgate, der nickte. Leggatt drückte auf den Türöffner, und leise kam der Mann, den ich von der Leiter geschüttelt hatte, herein.
Er hatte etwa meine Größe, war angehend kahl, mit rötlichen Haaren, herabhängendem Schnurrbart und frostig ernsten Augen. Er nickte dem Triumvirat zu, als hätte er vorher schon mit ihnen gesprochen, und wandte sich dann direkt an mich, das Kinn eingezogen, den Bauch vorgestreckt, ein Mann, der ein zerstörtes Leben hinter sich hatte und im Augenblick voller Rachegefühl war.
»Sie geben mir mein Zeug«, sagte er. Keine Frage, keine Feststellung; mehr eine Drohung.
»Eventuell«, sagte ich.
Auf der anderen Seite von Leggatts Schreibtisch trat eine gewisse Starre, eine Versteifung ein. Ich schaute in Pollgates Gewittermiene und erkannte, daß ich ihm praktisch, ohne es zu wollen, mit diesem einen Wort gesagt hatte, daß seine Drohung, sein Versprechen nicht unmittelbar gewirkt hatten.
»Er gehört dir, Jay«, sagte er heiser.
Mir blieb keine Zeit, zu überlegen, was er meinte. Jay Erskine ergriff mein rechtes Handgelenk und drehte mir mit einer Kraft und Schnelligkeit, die Übung verrieten, den Arm auf den Rücken. Ich hatte mit ihm in Bobbys Garten so ziemlich dasselbe gemacht, sein Gesicht in den Matsch gedrückt, und mit der Befriedigung dessen, der eine Rechnung begleicht, fauchte er mir ins Ohr: »Wo sind meine Sachen? Heraus damit, oder ich breche Ihnen die Schulter derart, daß Sie bis zum Jüngsten Tag kein Rennen mehr reiten.«
Seine Entschlossenheit schmerzte. Ich warf einen Blick auf die Gesichter der drei Zuschauenden. Keine Überraschung, nicht einmal bei dem Anwalt. War das hier, überlegte ich flüchtig, ein normaler Ablauf in der Redaktion der Daily Flag?
»Heraus damit«, sagte Erskine, mich schubsend.
Ich machte einen jähen halben Schritt nach hinten, rannte in ihn hinein. Ging in die Hocke, den Kopf fast am Boden, streckte dann die Beine mit einem heftigen Ruck und warf Jay Erskine über die Schulter nach vorn, so daß er mein Handgelenk fahren ließ und der Länge nach durch die Luft segelte. Er landete krachend in einer Topfpalme an der gegenüberliegenden Wand, während ich meinen Purzelbaum vollendete und aufrecht auf die Füße kam. Das Manöver war in kaum einer Sekunde durchgeführt; das verblüffte Schweigen hinterher dauerte mindestens doppelt so lange.
Jay Erskine riß sich wütend ein Blatt aus dem Mund, versuchte ebenso mühsam wie kampflustig, sich aufzurappeln, scharrte förmlich den Teppich wie ein Stier vorm nächsten Angriff.
»Das reicht«, sagte ich. »Das reicht jetzt aber wirklich.«
Ich sah Nestor Pollgate ins Gesicht. »Entschädigung«, sagte ich. »Noch einer von Ihren Bankwechseln. Einhunderttausend Pfund. Morgen. Bobby Allardeck kommt zum Pferderennen nach Ascot. Da können Sie sie ihm geben. Es dürfte Sie etwa genausoviel kosten, ein Verbrechen zu fabrizieren, das ich nicht begangen habe, und mich dafür verurteilen zu lassen. Sparen Sie sich halt die Mühe.«