Sie legte mit einer Grimasse den Hörer auf. »Die sind gut eine Meile weg. Da könnten sie genausogut in Brooklyn sein.«
»Wer ist der Macher?« sagte ich.
»Ed Cervano. Ach so ... der Macher ist jede Person, die über Mikrofon in die Kamera spricht. Berichterstatter, Moderator, jeder.«
Sie blickte an den Überschriften auf der Wandtafel hinter ihrem Sessel entlang. »Slug. Das ist die Story, an der wir arbeiten. Ölbrand. Devil-Boy. Botschaft. Und so weiter.«
»Ja«, sagte ich.
»Ort, klar. Zeit, klar. Crew. Das ist die Kamera-Crew, die der Story zugeteilt ist, und der Macher. Format besagt, wie ausführlich wir eine Story behandeln. Programm bedeutet das Ganze, Kamera-Crew, Macher, Interviews, alles zusammen. Bildfang ist nur ein Kameramann, wobei der Kommentar später angehängt wird. Und so weiter.«
»Und Sie entscheiden, wer weswegen wohin geht?«
Sie nickte halb. »Der Büroleiter, die anderen Koordinatoren, die tagsüber arbeiten, und ich, ja.«
»Ein ziemlicher Job«, sagte ich.
Sie lächelte mit den Augen. »Wenn wir gut sind, steigen die Einschaltquoten der Gesellschaft. Wenn wir schlecht sind, werden wir gefeuert.«
»Nachrichten sind doch wohl Nachrichten«, sagte ich.
»Ach ja? Was wäre Ihnen denn lieber, ein Ölbrand aus einer Meile Entfernung, oder so, daß Sie meinen, die Flammen zu spüren?«
»Hm.«
Ihr Telefon klingelte. »Nachrichten«, sagte sie und lauschte.
»Hören Sie mal«, fuhr sie gereizt fort, »wenn er sich verspätet, sind das Nachrichten. Wenn ihm schlecht ist, sind das Nachrichten. Wenn er bei einer Galavorstellung nicht auf der Bühne erscheint, sind das Nachrichten. Bleibt bloß da, was auch immer passiert, das sind Nachrichten, okay? Filmt die abwandernde Prominenz, wenn alle Strik-ke reißen.« Sie legte den Hörer auf.
»Devil-Boy ist noch nicht im Theater eingetroffen, und er braucht gut eine Stunde zum Anziehen.«
»Die Freuden des ausbleibenden Ereignisses.«
»Ich möchte doch nicht, daß mich ein anderer Sender aussticht, oder?«
»Wo bekommen Sie Ihre Nachrichten denn überhaupt her?«
»Ach ... von den Presseagenturen, von Zeitungen, aus Polizeimeldungen, amtlichen Verlautbarungen und dergleichen.«
»Ich glaube, ich habe mir noch nie überlegt, wie die Nachrichten in den Kasten gelangen.«
»Zehn Sekunden davon können ein ganzer Tag Arbeit sein.«
Ihr Telefon klingelte wieder, und jetzt war der hubschrauberfliegende Ed Cervano am anderen Ende gelandet. Danielle bat ihn mit sanften Worten, sich eine Verbrennung ersten Grades zu holen, und nach ihrem Lächeln hatte es den Anschein, als sei er gewillt, ihr zuliebe ganz in Flammen aufzugehen.
»Ein goldiger Typ«, sagte sie, als sie den Hörer auflegte. »Und er schreibt wie ein Dichter.« Ihre Augen leuchteten von den Talenten des Machers, ihr Mund war süß vom Honig seiner Komplimente.
»Schreibt?« sagte ich.
»Schreibt, was er in den Nachrichten sagt. Alle unsere Berichterstatter schreiben ihre Sachen.«
Eine weitere Nachricht von der Galavorstellung kam durch: Devil-Boy war angeblich samt Hörnern und allem in einer glockenläutenden Ambulanz unterwegs zum Theater.
»Ist er krank?« fragte Danielle. »Wenn es Schau ist, seht zu, daß ihr’s einfangt.« Sie legte auf, zuckte resigniert die Achseln.
»Der hüftschlängelnde Satansbraten wird doppelt soviel Sendezeit bekommen wie der Ölbrand. Die wahre Hölle hat gegen die nachgemachte keine Chance. Möchten Sie die Schneideräume sehen?«
»Ja«, sagte ich und folgte ihr durch das große Büro und einen Korridor hinunter, während ich ihren hübschen Gang bewunderte und meine Hände gern tief in die Wolken ihres dunklen Haares gelegt hätte, sie gern geküßt hätte, am liebsten mit ihr ins Bett gegangen wäre.
Sie sagte: »Ich zeige Ihnen erst das Studio, das ist interessanter« und schwenkte in einen Seitengang, zu einer Tür mit der warnenden Aufschrift: »Bei Rotlicht nicht eintreten.« Kein rotes Licht brannte. Wir gingen hinein. Der Raum war mittelgroß, karg ausgestattet mit ein paar Armsesseln, einem Couchtisch, einer Fernsehkamera, einem Monitor, einem Teleprompter und einer Kaffeemaschine mit Pappbechern. Die einzige Überraschung, die es hier gab, war das Fenster, durch das man einen Abschnitt der Themse mit der lichterglänzenden, belebten Hammersmith Bridge sehen konnte.
»Hier drin vor dem Fenster machen wir LiveInterviews«, sagte Danielle. »Hauptsächlich Politiker, aber auch Schauspieler, Autoren, Sportler, wer immer in den Nachrichten ist. Rote Busse fahren im Hintergrund über die Brücke. Es ist eindrucksvoll.«
»Bestimmt«, sagte ich.
Sie warf mir einen raschen Blick zu. »Langweile ich Sie?«
»Überhaupt nicht.«
Sie trug rosaroten Lippenstift und hatte Augenbrauen wie Flügel. Dunkle, lächelnde Augen, cremefarbene Haut, ein langer Hals über verhüllten Brüsten wie Äpfel an einem schlanken Stamm ... Um Himmels willen, Kit, dachte ich, reiß dich los davon und stell ein paar vernünftige Fragen.
»Wie kommt Ihr Material von hier nach Amerika?« sagte ich.
»Von dort aus.« Sie ging zu einer geschlossenen Tür auf der Seite und öffnete sie. Dahinter lag ein zweiter, viel kleinerer Raum, schwach beleuchtet und warm, in dem Maschinenbänke leise summten.
»Das ist der Übertragungsraum«, sagte sie. »Alles geht von hier aus über Satellit, aber fragen Sie mich bitte nicht, wie. Wir haben einen Mann mit gehetztem Gesichtsausdruck, der die Knöpfe bedient, und wir überlassen das ihm.«
Sie schloß die Tür des Übertragungsraums, und wir gingen durch das Studio hinaus auf den Gang und zu den Schneideräumen, von denen es insgesamt drei gab.
»Okay«, sie knipste eine Lampe an, und vor uns lag ein kleiner Bereich mit einer Wand aus drei Bildschirmen, mehreren Videorecordern und Kassettenständern. »Wir benutzen das hier immer noch, obwohl ich höre, daß ein ganzer Haufen neue Technik um die Ecke wartet. Unsere Jungs mögen diese Apparate, also denke ich, daß sie uns noch eine Weile erhalten bleiben.«
»Wie funktioniert das Ganze?« frage ich.
»Sie lassen das ungeschnittene Band über den linken Schirm laufen und picken die besten Stücke heraus, dann zeichnen Sie die auf dem zweiten Band auf, das auf dem zweiten Schirm erscheint. Sie können das Ganze hin und her wandern lassen, bis es gut aussieht und Sie ein gutes Gefühl haben. So übertragen wir’s dann, aber New York kürzt häufig, je nachdem, wieviel sie sonst noch unterbringen müssen.«
»Können Sie die Geräte selbst bedienen?« fragte ich.
»Bei mir geht’s langsam. Wenn Sie da wirklich Bescheid wissen wollen, können Sie nachher Joe zusehen, wenn wir die Bänder von dem Ölbrand und von Devil-Boy kriegen -er ist einer der besten.«
»Großartig«, sagte ich.
»Es erstaunt mich, daß Sie so interessiert sind.«
»Tja, ich habe einige Bänder, die ich selbst bearbeiten möchte. Da wär’s ganz gut, das zu lernen.«
»Sind Sie deswegen so früh hierhergekommen?« Sie klang, als könnte ich ja sagen, ohne sie im mindesten zu kränken.
Ich sagte: »Teilweise. Hauptsächlich, um Sie zu sehen ... und was Sie tun.«
Sie war nahe genug, um sie in die Arme zu nehmen, und ich hatte überhaupt keinen Einblick in das, was sie dachte. Eine Ziegelwand zwischen zwei Seelen. Beunruhigend.
Sie sah mir mit einem nichts als freundlichen Ausdruck ins Gesicht, und sicher war ich mir nur darin, daß sie über ein wenig ungehemmte Liebe an Ort und Stelle nicht so dachte wie ich.
Sie fragte, ob ich gern die Bibliothek sehen würde, und ich sagte ja, bitte. Es stellte sich heraus, daß die Bibliothek nicht aus Büchern, sondern aus unzähligen Reihen bespielter Bänder bestand: alte Jahrgänge von Nachrichtenmeldungen, vergessen, aber im Dunkel schlummernd wie Bomben, unleugbare Aufzeichnungen von Gesagtem.
»Vorwiegend für Nachrufe verwendet«, sagte Danielle. »Wiederaufbereitete Skandale. Dergleichen mehr.«