Er sah verständnislos drein.
»Von ihr stammt der Beitrag im Towncrier«, sagte ich.
»Oh ... ja.«
»Achtet Ihre, ehm, gewisse Person«, fragte ich, »wirklich auf solche Zeitungstexte?«
»Oh, absolut. Zumal ihm die Artikel jeweils eigens ins Büro geliefert wurden, und zwar rot umrandet.«
»Das gibt’s doch nicht!«
Eric Olderjohn hob seine Augenbraue. »Sagt Ihnen das etwas?« fragte er.
Ich berichtete ihm von den Kaufleuten und den Besitzern, die ähnlich gekennzeichnete Exemplare erhalten hatten.
»Na, sehen Sie. Ein regelrechter Vernichtungsfeldzug. Nichts dem Zufall überlassen.«
»Sie erwähnten einen dritten Brief«, sagte ich. »Den entscheidenden.«
Er lugte vorsichtig in seinen Koffer und zog ihn hervor. »Der wird Sie vielleicht überraschen«, sagte er.
Der dritte Brief kam nicht von einem Geschäftsunternehmen, sondern von einer wohltätigen Einrichtung mit einer Liste von Förderern, die sich über die halbe linke Seite des Blattes erstreckte. Empfänger der Wohltätigkeit waren offenbar die notleidenden Angehörigen von toten oder invaliden Staatsangestellten. Witwen, Kinder, die Alten und die Kranken.
»Was verstehen Sie unter Staatsangestellten?« fragte ich.
»Den ganzen öffentlichen Dienst.«
Maynard Allardeck, berichtete der Brief, habe mehrere Jahre hindurch unermüdlich daran gearbeitet, die Lebensumstände derer zu verbessern, die ohne eigenes Verschulden in bittere Not geraten waren. Freigebig habe er Hilfe aus seinem Vermögen gespendet, darüber hinaus seine Zeit geopfert und bedürftigen Familien ein hohes Maß an fortdauernder, barmherziger Fürsorge zuteil werden lassen. Die wohltätige Einrichtung schrieb, sie würde sich selbst geehrt fühlen, wenn man eine ihrer stabilsten Säulen in den Adelsstand erhebe: den Mann, den sie einstimmig zu ihrem nächsten Vorsitzenden gewählt hatten, mit Amtsantritt am 2. Dezember des Jahres.
Der Brief war von nicht weniger als vier Vorstandsmitgliedern der Stiftung unterzeichnet: dem scheidenden Vorsitzenden, dem geschäftsführenden Direktor und zwei der obersten Schirmherren. Es war die vierte von diesen Unterschriften, die mich erstaunt den Kopf heben ließ.
»Nun?« fragte Eric Olderjohn, mich beobachtend.
»Das ist komisch«, sagte ich verblüfft.
»Ja, seltsam, finde ich auch.«
Er streckte die Hand nach den Briefen, nahm sie mir ab, verschloß sie wieder sicher in seinem Koffer. Ich saß da, während meine Gedanken sich überschlugen und unbe-zweifelte Annahmen zerrannen wie Wachs.
Traf es zu, hatte ich wissen wollen, daß Maynard Allardeck für die Adelsverleihung in Betracht gezogen wurde, und wenn ja, wer wußte davon?
Die Leute, die ihn vorgeschlagen hatten - sie wußten es.
Der Brief von der Stiftung, datiert vom 1. Oktober, war unterzeichnet von Lord Vaughnley.
Kapitel 16
Warum«, sagte ich, »hat Ihre gewisse Person Ihnen erlaubt, mir diese Briefe zu zeigen?«
»Ah.« Eric Olderjohn legte seine Finger zu einem Spitzgiebel zusammen und studierte sie eine Weile. »Warum glauben Sie wohl?«
»Er könnte es für möglich halten«, sagte ich, »daß ich ein paar stille Teiche aufrühre und ein paar halbklare Antworten bekomme, ohne daß er selbst eingreifen muß.«
Eric Olderjohn richtete sein Augenmerk von seinen Händen auf mein Gesicht. »So ungefähr«, sagte er. »Er hätte beispielsweise gern die Gewißheit, daß Maynard Allardeck nicht nur das Opfer einer Hetzkampagne ist. Er möchte ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ihn vielleicht beim nächsten Durchlauf wieder auf die Liste setzen, für einen Ritterschlag im Sommer.«
»Er möchte Beweise?« fragte ich.
»Können Sie die liefern?«
»Ja, ich glaube.«
»Was gedenken Sie zu tun«, fragte er mit trockenem Humor, »wenn Sie das Rennreiten aufgeben müssen?«
»Mich ins Meer stürzen, wie es aussieht.«
Ich stand auf, und er ebenfalls. Ich dankte ihm herzlich für die Mühe, die er auf sich genommen hatte. Er sagte, ich würde hoffentlich beim nächsten Mal wieder auf seinem Pferd gewinnen. Tu’ mein Bestes, antwortete ich und
warf einen letzten anerkennenden Blick auf seine Wohnzimmerlaube, bevor ich zurück zum Hotel ging.
Lord Vaughnley, dachte ich.
Am 1. Oktober hatte er Maynard für die Adelsverleihung empfohlen. Gegen Ende Oktober oder Anfang November war Bobbys Telefonleitung angezapft worden.
Die Abhöranlage von Jay Erskine installiert, der zwei Wochen lang lauschte und dann die Artikel in der Flag schrieb.
Jay Erskine hatte früher für Lord Vaughnley gearbeitet, als Gerichtsreporter beim Towncrier.
Wenn Lord Vaughnley aber Jay Erskine auf Maynard Allardeck angesetzt hatte, warum war Nestor Pollgate dann so aggressiv?
Weil er kein Entschädigung zahlen oder nicht zugeben wollte, daß seine Zeitung unrecht getan hatte.
Nun ... vielleicht.
Ich bewegte mich im Kreis und kam immer wieder auf die zentrale und unerwartete Frage zurück: War es wirklich Lord Vaughnley, der die Angriffe veranlaßt hatte, und wenn ja, warum?
Von meinem Hotelzimmer aus rief ich Rose Quince privat an und erwischte sie wiederum kurz nachdem sie heimgekommen war.
»Bill?« sagte sie. »Staatsangestelltenhilfe? Oh, sicher, er ist Schirmherr von einer Menge Geschichten. Alles mögliche. So verliert er den Kontakt nicht, sagt er.«
»Mm«, sagte ich. »Als Sie den Artikel über Maynard schrieben - hat er das angeregt?«
»Wer? Bill? Ja, klar. Er legte mir die Ausschnitte aus der Flag auf den Tisch und meinte, das wär’ doch was für mich. Ich mag ihn zwar schon ewig kennen, aber er ist und bleibt der Boss. Wenn er etwas geschrieben haben will, wird es geschrieben. Martin, unser großer weißer Häuptling, gibt da immer seinen Segen.«
»Und, ehm, wie sind Sie auf das Handel-heute-Interview gekommen? Ich meine, haben Sie die Sendung gesehen, als sie ausgestrahlt wurde?«
»Du liebe Zeit. Selbstverständlich nicht.« Sie hielt inne. »Bill empfahl mir, mich an die Fernsehanstalt zu wenden und um eine private Vorführung zu bitten.«
»Was Sie getan haben.«
»Ja, natürlich. Hören Sie«, fuhr sie auf, »was soll denn das? Bill schlägt mir oft Themen vor. Da ist nichts dabei.«
»Nein«, sagte ich. »Schlafen Sie schön, Rose.«
»Ihnen auch eine gute Nacht.«
Ich schlief lang und tief, und früh am Morgen nahm ich die Videokamera und fuhr über das flache Land unmittelbar nördlich der Themsemündung nach Purfleet. Der Regen vom Vortag hatte sich verzogen, den Himmel fahl und leer zurückgelassen, und Möwen kreisten hoch über dem Niedrigwasser.
Ich fragte an etwa zwanzig Stellen, im Postamt und in Läden, bevor ich irgend jemand fand, der von Purfleet Electronics gehört hatte, wurde endlich aber zu jemand geschickt, der dort angestellt gewesen war.
»Sie brauchen George Tarker ... dem hat es gehört«, sagte er.
Nach einigen weiteren Hinweisen von hilfsbereiten Einwohnern hielt ich schließlich an einem heruntergekommenen alten Bootsschuppen, den ein optimistisches Schild schmückte mit der Aufschrift: »George Tarker flickt alles.«
Wenn man ausstieg und über den langen Vorhof ging, konnte man sehen, daß das Schild früher eine untere Hälfte gehabt hatte, die gegen die Wand gestellt war und lautete: »an Boot und Schiff«.
Mit dem lausigen Gefühl, völlig verkehrt gelandet zu sein, drückte ich die klapprige Tür auf und trat geradewegs in das unordentlichste Büro der Welt, einen Raum, wo jede Ablage und jedes Bord mit nicht identifizierbaren Haufen von Schiffszubehör fortgeschrittenen Alters bedeckt war und wo jedes Fleckchen Wand von bejahrten Kalendern, Plakaten, Rechnungen und Bedienungsanleitungen vereinnahmt wurde, die nicht mit Reißzwecken, sondern mit Nägeln befestigt waren.