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In einem ihrer Hinterbeine riß der Fesselträger, und Allegheny lahmte in drei Schritten, verlor jeden Rhythmus; wie wenn beim Autofahren plötzlich ein Reifen platzt. Ich hielt sie an, sprang von ihrem Rücken herunter und führte sie ein paar Schritte, um sicherzugehen, daß sie keinen Knochen gebrochen hatte.

Nur die Sehne, dachte ich erleichtert. Schlimm genug, aber kein Todesurteil. Ein Pferd an den Schußbolzen eines Gerätes zum schmerzlosen Töten zu verlieren, das warf jeden tagelang aus dem Gleichgewicht. Wykeham hatte schon um tote Pferde geweint, ich ebenso und auch die Prinzessin. Manchmal konnte man nicht anders.

Der Tierarzt kam mit seinem Wagen herbeigeeilt, sah sie sich an und erklärte sie für gehfähig, also führte ich sie über die Bahn zurück, wobei ihr Kopf jedesmal nickte, wenn sie den verletzten Fuß auf den Boden setzte. Die Prinzessin und Danielle kamen besorgt hinunter zum Absattelplatz, und Dusty versicherte ihnen, der Chef werde das Tier sobald wie möglich behandeln lassen.

»Was halten Sie davon?« fragte mich die Prinzessin deprimiert, als Dusty und Alleghenys Pfleger die nickende Stute davonführten.

»Ich weiß nicht.«

»Doch. Sagen Sie’s mir.«

Die Augen der Prinzessin waren tiefblau. Ich sagte: »Sie wird mindestens ein Jahr vom Rennplatz sein.«

Sie seufzte. »Ja, wahrscheinlich.«

»Sie könnten sie zusammenflicken«, sagte ich, »und sie als Zuchtstute verkaufen. Sie hat gute Blutlinien. Im Frühling könnte sie schon tragen.«

»Oh!« Die Prinzessin wirkte erfreut. »Ich hänge an ihr, wissen Sie.«

»Ja, ich weiß.«

»So langsam verstehe ich«, sagte Danielle, »um was es beim Rennsport eigentlich geht.«

Da meine Nachbarin und der Jockeykollege aus Lambourn sich in der Frage des Koffers mit den Kleidern als zuverlässig erwiesen hatten, ging ich in einem salonfähigeren Aufzug hinauf in Lord Vaughnley s Loge. Offenbar hatte ich mir aber die windstille Pausenzeit ausgesucht, wo alle noch unten waren, um sich die Pferde für den letzten Lauf anzusehen oder zu wetten.

Oben stand nur eine einzige Person nervös neben dem zum Tee gedeckten Tisch, trat von einem Fuß auf den anderen, und ich erkannte überrascht, daß es Hugh Vaughnley war, Lord Vaughnleys Sohn.

»Tag«, sagte ich. »Noch keiner hier ... ich komme wieder.«

»Gehen Sie nicht.«

Seine Stimme war drängend. Ich schaute ihn neugierig an, dachte an den Familienkrach, der am vorigen Samstag so offensichtlich im Gange gewesen war, sah nichts als Sorge in dem normalerweise fröhlichen Gesicht. Er war viel dünner als sein Vater, mehr nach seiner Mutter in der Statur, hatte klare, ebenmäßige Züge, zwei entwaffnende Grübchen und noch etwas Kindhaftes in der Unentschlossenheit seines Mundes. Etwa neunzehn, dachte ich. Vielleicht zwanzig. Älter nicht.

»Ich ... ehm ...«, sagte er. »Bleiben Sie. Um ehrlich zu sein, ich möchte, daß jemand hier ist, wenn sie wiederkommen.«

»So?«

»Ehm ...«, sagte er. »Die wissen nicht, daß ich hier bin. Ich meine, Dad könnte wütend sein, und das kann er ja nicht vor fremden Leuten, nicht wahr? Deswegen bin ich zum Pferderennen gekommen. Also, ich weiß, daß Sie kein Fremder sind, aber Sie wissen schon, was ich meine.«

»Ihre Mutter freut sich doch bestimmt, Sie zu sehen.«

Er schluckte. »Ich hasse Zank mit ihnen. Ich verkrafte das nicht. Um ehrlich zu sein, Dad hat mich vor beinah einem Monat rausgeworfen. Er läßt mich bei Saul Bradley wohnen, und das halte ich nicht mehr lange aus, ich will nach Hause.«

»Er hat Sie rausgeworfen?« Ich muß mich so überrascht angehört haben, wie ich war. »Sie schienen immer so eine stabile Familie zu sein. Findet er, daß Sie auf eigenen Füßen stehen sollten? Irgend so etwas?«

»Nein. Ich wünschte, das wär’s. Ich habe was gemacht ... ich wußte nicht, daß er darüber so unheimlich böse sein würde ... wirklich nicht .«

Ich wollte nicht hören, was es war, ich hatte schon soviel anderes im Kopf.

»Drogen?« fragte ich teilnahmslos.

»Was?«

»Haben Sie Drogen genommen?«

An seinem Gesicht sah ich, daß es das nicht war. Die Vermutung verblüffte ihn einfach.

»Ich meine«, sagte er traurig, »er hielt doch so viel von ihm. Das sagte er. Also, ich dachte, er fände ihn in Ordnung.« »Wen?« sagte ich.

Er schaute mir jedoch über die Schulter und antwortete nicht, und eine neue Welle nervöser Angst löschte alles andere aus.

Ich drehte mich um. Lord und Lady Vaughnley waren vom Gang her durch die Tür gekommen und näherten sich uns. Ich sah ihre Mienen ganz deutlich, als sie ihren Sohn erblickten. Lady Vaughnleys Gesicht erhellte sich in einem spontanen, unkomplizierten Lächeln.

Lord Vaughnley blickte von seinem Sohn zu mir, und seine Reaktion war nicht Vergebung. Gleichgültigkeit, Gereiztheit oder etwa Zorn.

Es war Bestürzung. Es war Entsetzen.

Kapitel 17

Er fand einigermaßen rasch die Fassung wieder. Lady Vaughnley schloß Hugh in die Arme und drückte ihn, und ihr Mann sah sich das ungehalten mit steinerner Miene an. Andere Gäste kamen gutgelaunt zurück in die Loge, und Hugh hatte insoweit recht, als sein Vater nicht bereit war, sich mit ihm in der Öffentlichkeit zu streiten.

Lord Vaughnley beschäftigte sich vielmehr intensiv mit mir, brachte Tee unter die Leute und stellte sicher, daß ich nicht weiter mit seinem Sohn sprach. Es schien ihm zu entgehen, daß seine erste Reaktion und sein jetziges Verhalten mir sehr viel mehr verrieten, als er wahrscheinlich wollte.

»Das hätten wir«, sagte er herzlich, als er eine Kellnerin anschleifte, die mir eine Tasse gab. »Milch? Zucker? Nein? Prinzessin Casilias Stute ist doch in Ordnung, ja? So traurig, wenn ein Pferd im Rennen zusammenbricht. Sandwich?«

Ich sagte, die Stute werde keine Rennen mehr laufen, und lehnte das Sandwich dankend ab.

»Hugh hat Sie mit seinen Problemen belästigt, wie?« sagte er.

»Nicht direkt.«

»Was hat er gesagt?«

Ich blickte in die grauen Augen, aus denen die Freundlichkeit durch Wachsamkeit verdrängt worden war.

»Er sagte, er habe sich mit Ihnen gezankt und wolle sich wieder vertragen.«

»Pfff.« Ein unversöhnlicher Laut aus zusammengepreßtem Mund. »Aber er ist Ihnen nicht lästig gefallen?«

»Nein.«

»Gut. Gut. Dann wollen Sie bestimmt mit Prinzessin Casilia sprechen, hm? Geben Sie mir ruhig Ihre Tasse. Nett, daß Sie heraufgekommen sind. Tja. Dann mal ab mit Ihnen. Man kann sie ja schlecht warten lassen.«

Ohne unverschämt zu sein, hätte ich nicht bleiben können, und mit Unverschämtheit war meiner Ansicht nach an diesem Punkt nichts zu erreichen. Gehorsam ging ich zur dichtbevölkerten Loge der Prinzessin hinüber, trank weiteren Tee, lenkte meinen Magen von einem weiteren Sandwich ab und bemühte mich, nicht allzuviel auf Danielle zu schauen.

»Sie sind zerstreut«, bemerkte die Prinzessin. »Sie sind gar nicht hier.«

»Ich dachte an Lord Vaughnley ... ich komme gerade von seiner Loge.«

»Solch ein netter Mann.«

»Mm.«

»Und was haben Sie mit Danielle für heute abend geplant?«

Ich sperrte die Gedanken an das, was ich gern wollte, aus. Wenn ich die Gedanken der Prinzessin lesen konnte, so konnte sie gelegentlich auch meine lesen.

»Ich nehme an, wir werden uns unterhalten, zusammen essen, und dann bringe ich sie nach Hause.«

Sie tätschelte mir den Arm. Sie zog mich ins Gespräch mit ihren Gästen, und ich arbeitete mich zu Danielle durch, indem ich Höflichkeit verstreute wie Konfetti.