»Ja, in Ordnung.«
»Sie waren gut heute«, sagte er aufrichtig. »Ganz ausgezeichnet.«
»Danke.«
»Ja. Ehm. Dann gute Nacht, Paul.«
»Gute Nacht, Wykeham«, sagte ich.
Ich ging zurück zu Danielle, und wir unterhielten uns den ganzen Abend und aßen später im Restaurant, wo Kerzenlicht auf den Tischen funkelte und ein grüner Weinstock über die Decke wuchs; und in letzter Minute rief Rose Quince mich zurück.
»Ist schon nach elf«, sagte sie, »aber ich hab’s mal drauf ankommen lassen.«
»Sie sind ein Schatz.«
»Und ob. Was gibt es so Dringendes, Sportsfreund?«
»Hm«, sagte ich. »Können Sie mit dem Namen Saul Bradfield oder Saul Bradley ... so in der Art ... etwas anfangen?« »Saul Bradley? Klar kann ich. Was ist denn so dringend mit ihm?«
»Wer ist er?«
»Er war leitender Sportredakteur beim Towncrier. Letztes Jahr ist er zurückgetreten ... Jedermanns Vaterfigur, ein alter Freund von Bill.«
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Du lieber Himmel. Lassen Sie mich überlegen. Warum suchen Sie ihn?«
»Im größeren Zusammenhang mit der Vernichtung unseres Freundes von den Bändern.«
»Oh. Na ja, mal sehen. Er ist umgezogen. Er sagte, er wolle mit seiner Frau am Meer leben. Ich hätte ja angenommen, daß er da aushakt, aber die Geschmäcker sind verschieden. Worthing oder so was in der Richtung. Nein. Selsey.« Ihre Stimme wurde fester. »Ich erinnere mich -Selsey in Sussex.«
»Phantastisch«, sagte ich. »Und Lord Vaughnley? Wo wohnt der?«
»Vorwiegend am Regent’s Park, in einer von den Nash-Terrassen. Sie haben auch ein Haus in Kent, bei Seven-oaks.«
»Könnten Sie mir das genau sagen?« fragte ich. »Ich meine ... ich würde ihm gern schreiben, um mich für die Towncrier-Trophäe zu bedanken und überhaupt für seine Unterstützung.«
»Klar«, sagte sie leichthin und gab mir seine beiden Adressen einschließlich der Postleitzahlen, sogar die Telefonnummern fügte sie noch hinzu. »Die brauchen Sie vielleicht, sie sind nicht verzeichnet.«
»Ich stehe wieder in Ihrer Schuld«, sagte ich, als ich das alles aufschrieb.
»Tief, tief, Sportsfreund.«
Ich legte im reulosen Bewußtsein meiner Hinterlist den Hörer auf und holte Danielle, um sie nach Hause zu fahren. Es war mehr oder weniger Mitternacht, als ich am Eaton Square anhielt, und ich hätte sie zwar lieber woanders hingebracht, aber so war es am besten.
»Danke«, sagte sie, »für einen tollen Tag.«
»Was ist mit morgen?«
»Okay.«
»Ich weiß nicht, um welche Zeit«, sagte ich. »Ich muß erst noch was erledigen.«
»Ruf mich an.«
»Ja.«
Wir saßen im Auto und schauten einander an, als hätten wir das nicht schon seit Stunden getan. Ich kenne sie seit Dienstag, dachte ich. In fünf Tagen hatte sie Wurzeln in meinem Leben gefaßt. Ich küßte sie mit viel mehr Hunger als vorher, was sie nicht zu beunruhigen schien, und ich dachte, nicht mehr lange, nicht mehr lange ... aber noch nicht. Wenn es richtig war, nicht vorher.
Wir sagten uns wieder auf dem Gehsteig gute Nacht, und ich sah zu, wie sie mit ihrem Geschenk ins Haus ging und winkte, als sie die Tür schloß. Prinzessin Casilia, dachte ich, Sie sind ein schwerer Hemmschuh, aber ich habe versprochen, Ihre Nichte heimzubringen, und da ist sie; und ich weiß noch nicht einmal, was Danielle möchte, ich kann ihre Gedanken nicht lesen, und in Worten hat sie’s mir nicht gesagt, und morgen ... morgen frage ich vielleicht.
Früh am nächsten Tag fuhr ich nach Selsey an der Südküste und schlug Saul Bradley im örtlichen Telefonbuch nach, wo er mitsamt Adresse angegeben war, 15 Sea View Lane.
Sein Haus hatte zwei Stockwerke und sah eher nach Vorstadt als nach Küste aus mit seinen imitierten Tudor-balken an den cremefarben verputzten Giebeln. Die imitierte Tudortür wurde, als ich klingelte, von einer grauhaarigen, bebrillten, mütterlichen Frau in einem geblümten Overall geöffnet, und ich konnte gebratenen Speck riechen.
»Hugh?« sagte sie als Antwort auf meine Frage. »Ja, der ist noch hier, aber er ist noch im Bett. Sie wissen, wie Jungs sind.«
»Ich werde warten«, sagte ich.
Sie sah unsicher drein.
»Ich möchte ihn wirklich gern sprechen«, sagte ich.
»Kommen Sie besser rein«, sagte sie. »Ich frage mal meinen Mann. Ich glaube, der rasiert sich gerade, aber er wird bald runterkommen.«
Sie führte mich durch den Hausflur in eine ziemlich kleine Küche ganz aus gelben und weißen Kacheln, mit einfallendem Sonnenlicht.
»Ein Bekannter von Hugh?« sagte sie.
»Ja ... Ich habe mich gestern mit ihm unterhalten.«
Sie schüttelte bekümmert den Kopf. »Es ist alles so verfahren. Er hätte nicht zum Pferderennen gehen sollen. Er war unglücklicher denn je, als er wiederkam.«
»Ich werde mein Bestes tun«, sagte ich, »um das zu ändern.«
Sie widmete sich dem Frühstück, das sie in der Pfanne briet, wendete den Speck mit einem Holzlöffel. »Sagten Sie, Sie heißen Fielding?« Sie drehte sich vom Herd herum, den Löffel in der Luft, die Bewegung erstarrt. »Kit Fielding? Der Jockey?«
»Ja.«
Sie wußte nicht recht weiter, was nur verständlich war. Sie sagte unsicher: »Ich gieße einen Tee auf«, und ich sagte, ich würde warten, bis ich ihren Mann und Hugh gesprochen hätte.
Ihr Mann kam neugierig in die Küche, als er meine Stimme hörte, und erkannte mich auf einen Blick. Bei einem Sportredakteur lag das nahe. Bunty Irelands früherer Chef war wohlbeleibt, mit einer Glatze, klugen Augen und einer wie vom Bier sonor gewordenen Stimme.
Meine Anwesenheit verblüffte ihn ebenso wie seine Frau.
»Sie möchten Hugh helfen? Das geht sicher in Ordnung. Bill Vaughnley hat vor einigen Tagen lobend von Ihnen gesprochen. Ich hole Hugh mal aus den Federn. Morgens ist nichts los mit ihm. Möchten Sie frühstücken?«
Ich zögerte.
»Das alte Lied, ja?« Er kicherte. »Ihr kommt um vor Hunger und wagt doch kein Gramm zuzunehmen.«
Er ging nach oben und kam bald darauf wieder, und etwas später folgte ihm Hugh mit zerzausten Haaren, in Jeans und T-Shirt, die Augen verquollen vom Schlaf.
»Hallo«, sagte er verdutzt. »Wie haben Sie mich gefunden?«
»Sie sagten mir doch, wo Sie wohnen.«
»So? Ja, wahrscheinlich. Ehm ... tut mir leid und alles, aber was wollen Sie?«
Ich wollte, sagte ich, mit ihm rausfahren, um einiges zu besprechen und zu sehen, wie ihm geholfen werden könne, und ohne weiteres Zureden kam er mit.
Er schien sich nicht darüber klar zu sein, wie sein Vater am Vortag dafür gesorgt hatte, daß er nicht weiter mit mir sprach. Es war zu raffiniert gemacht, als daß er es, besonders in seiner Angst, hätte merken können.
»Ihr Vater hat Sie wieder hergeschickt«, sagte ich, als wir die Sea View Lane entlangfuhren. »Wollte er Sie nicht nach Hause lassen?«
»Es ist so ungerecht.« In seiner Stimme lag Selbstmitleid, aber auch Billigung. Das Exil war verdient, dachte ich, und Hugh wußte es.
»Erzählen Sie mal«, sagte ich.
»Na ja, Sie kennen ihn. Es ist Ihr Schwiegervater. Ich meine, Quatsch, es ist der Schwiegervater Ihrer Schwester.«
Ich holte tief Luft. »Maynard Allardeck.«
»Ja. Durch ihn ist das alles gekommen. Ich würde ihn umbringen, wenn ich könnte.«
Ich warf einen Blick auf das gutaussehende, unreife Gesicht, auf die Grübchen. Schon das Wort »umbringen« klang merkwürdig aus diesem Mund.
»Ich meine«, sagte er bedrückt, »er ist Mitglied vom Jockey-Club. Angesehen. Ich dachte, er sei in Ordnung. Ich meine, er und Dad sind Schirmherren der gleichen Stiftung. Wie konnte ich das ahnen? Wie konnte ich?«
»Sie konnten nicht«, sagte ich. »Was ist passiert?«
»Er hat mich mit seinem Buchmacher bekannt gemacht.«