»Es freut mich ja so, daß Sie gekommen sind«, sagte sie und drückte mir die Hand.
»Ich mochte mir das nicht entgehen lassen.«
»Was machen die Pferde? Wie geht’s Icefall? Wie geht’s meiner armen Allegheny? Haben Sie gewußt, daß Lord Vaughnley hier ist?«
»Tatsächlich?«
Ich schaute mich um. Etwa dreißig Leute waren anwesend, mehr, als ich erwartet hatte. Vom anderen Ende des Saales her sah mich Lady Vaughnley und winkte.
»Der Towncrier hat sich mit den Icefall-Leuten zusammengetan«, sagte die Prinzessin. »Jetzt ist es eine Doppelparty.«
Die Icefall-Sponsoren kamen, um sie zu begrüßen. »Kommen Sie doch mit ... darf ich vorstellen .«
Lord Vaughnley nahte und sah freundlicher als freundlich drein.
»Meine Herrschaften«, sagte einer der Sponsoren laut, »wir gehen jetzt alle in einen anderen Raum, denn es gibt Filme von unseren zwei Rennen zu sehen, die beide unser hochverehrter Gast, Prinzessin Casilia, gewonnen hat.«
Es gab leichten Applaus, und alles bewegte sich zur Tür hin. Lord Vaughnley stand direkt neben mir. Die Prinzessin blickte sich um.
»Kommen Sie, Kit?«
»Gleich«, sagte Lord Vaughnley. »Möchte ihn nur etwas fragen.«
Die Prinzessin lächelte, nickte und ging weiter. Lord Vaughnley bugsierte alle hinaus, und als der Saal leer war, schloß er die Tür und stellte sich mit dem Rücken davor.
»Ich wollte mich mit Ihnen in Verbindung setzen«, sagte ich, aber ich glaube nicht, daß er es hörte. Er blickte zu einer zweiten Tür, in einer Seitenwand.
Die Tür ging auf, und zwei Leute kamen herein.
Nestor Pollgate.
Jay Erskine.
Pollgate sah befriedigt aus, und Jay Erskine grinste.
Kapitel 19
Sauber gemacht«, sagte Pollgate zu Lord Vaughnley.
»Es hat gut geklappt«, erwiderte er, wobei sein großer Kopf nickte. Er stand immer noch breit vor der Tür, und Jay Erskine stand mit verschränkten Armen vor den anderen.
Da waren Stühle und Tische rings an den grünen Wänden, auf den weißen Tafeltüchern Schüsseln mit Nüssen und Aschenbecher voller Zigarettenkippen. Überall Sektgläser, manche noch mit perlendem Inhalt. Es würden Kellner kommen, dachte ich, um den Abfall wegzuräumen.
»Wir sind ungestört«, erklärte Pollgate Lord Vaughnley. »Die Kein-Zutritt-Schilder hängen an beiden Türen, und Mario sagt, wir haben den Raum für eine Stunde.«
»Der Lunch wird vorher sein«, sagte Lord Vaughnley. »Die Filme dauern höchstens eine halbe Stunde.«
»Er geht nicht zum Lunch«, sagte Pollgate und meinte mich.
»Ehm nein, vielleicht nicht. Aber ich sollte dabeisein.«
Ich dachte dumpf: Kriegt mich erst mal.
Es hatte fünf Tage erfordert ... und die Prinzessin.
»Wir bekommen von Ihnen«, sagte Pollgate direkt zu mir, »die Abhöranlage und das Eigentum meiner Journalisten. Und damit hat sich der Fall.«
Die Macht dieses Mannes war derart, daß die Worte an sich schon eine Drohung darstellten. Was passieren würde,
wenn ich mich nicht fügte, blieb unerwähnt. Mein Gehorsam wurde vorausgesetzt; keine Diskussion.
Er ging zu Jay Erskine hinüber, zog einen flachen Kasten aus der Tasche und nahm Erskines Posten an der Tür ein.
Jay Erskines Grinsen wurde breiter und schiefer. Mich störten ungemein die kalten Augen, der hängende Schnurrbart, seine herzlose Feder und sein gewalttätiges Wesen, und am meisten störte mich die Botschaft in seiner höhnischen Grimasse.
Pollgate öffnete den Kasten und hielt ihn Jay Erskine hin, der daraus etwas hervorholte, das aussah wie die Fernbedienung für einen Fernseher. Er legte es in seiner Hand zurecht und ging in meine Richtung. Er kam ohne die Vorsicht, die man hätte erwarten können, nachdem ich ihn schon einmal quer durch ein Zimmer geschleudert hatte, und er hielt das Fernbedienungsding glatt zwischen die offenen Revers meiner Jacke, auf mein Hemd.
Ich spürte etwas wie einen Schlag, und im nächsten Moment lag ich flach auf dem Rücken am Boden, völlig desorientiert, im unklaren darüber, wo ich mich befand oder was passiert war.
Jay Erskine und Lord Vaughnley bückten sich, nahmen meine Arme, halfen mir hoch und setzten mich auf einen Stuhl. Der Stuhl hatte Armlehnen. Ich hielt mich daran fest. Ich fühlte mich benommen und begriff nicht, warum.
Jay Erskine lächelte eklig und setzte den schwarzen Gegenstand wieder auf mein Hemd.
Der Schlag kam diesmal zugleich mit einem Brennen. Und so rasch. Keine Zeit zum Atemholen.
Ich wäre aus dem Stuhl geflogen, hätten sie mich nicht darauf festgehalten. Mein Verstand war sofort in alle Winde verstreut. Meine Muskeln arbeiteten nicht. Ich war mir nicht sicher, wer ich war und wo ich war, noch kümmerte es mich. Zeit verging. Zeit war relativ. Jedenfalls vergingen Minuten. Nicht gerade schnell.
Der Nebel in meinem Hirn lichtete sich allmählich so weit, daß ich wußte, ich saß auf einem Stuhl, und daß ich wußte, die Leute um mich herum waren Nestor Pollgate, Lord Vaughnley und Jay Erskine.
»Gut«, sagte Pollgate. »Können Sie mich hören?«
Ich sagte nach einer Pause: »Ja.« Es klang nicht nach meiner Stimme. Mehr wie ein Krächzen.
»Sie geben uns die Lauschanlage«, sagte er. »Und die anderen Sachen.«
Irgendeine Art von Strom, dachte ich undeutlich. Die Schläge waren Stromstöße. Wie wenn man einen kalten Türknauf aus Metall anfaßt, nachdem man über einen Nylonteppich gegangen ist, aber ungeheuer verstärkt.
»Haben Sie verstanden?«
Ich antwortete nicht. Ich hatte verstanden, aber ich wußte nicht, ob ich ihm die Sachen geben würde.
»Wo sind sie?« sagte er.
Zum Teufel damit, dachte ich.
»Wo sind sie?«
Schweigen.
Ich sah noch nicht einmal, wie Jay Erskine zum dritten Mal die Hand gegen mich hob. Ich verspürte einen gewaltigen, brennenden Ruck und schoß ins All, trieb mehrere Jahrtausende in einem richtungslosen Zwischenreich, dem Alltagsbewußtsein enthoben, lebte wie im Traumzustand, willenlos schwebend. Ich konnte sie irgendwie sehen, aber ich wußte nicht, wer sie waren. Ich wußte gar nichts. Ich existierte. Ich hatte keine Form.
Was immer getan würde, ganz gleich, wohin sie mich bringen würden, welches abscheuliche Verbrechen sie mir auch anhängen mochten, ich konnte keinen Widerstand leisten.
Langsam kam das Denken zurück. Irgendwo waren Verbrennungen, schmerzhaft. Ich hörte die Stimme von Lord Vaughnley etwas sagen und Pollgate antworten: »Fünftausend Volt.«
»Er ist wach«, sagte Erskine.
Lord Vaughnley beugte sich über mich, sein Gesicht nah und besorgt. »Ist er auch bestimmt in Ordnung?«
»Ja«, sagte Pollgate. »Das gibt keine bleibenden Schäden.«
Schönen Dank dafür, dachte ich sarkastisch. Mir war schwindlig und übel. Schon gut, daß ich wegen der Aussicht auf den Lunch das Frühstück ausgelassen hatte.
Pollgate sah auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. »Er war zwölf Minuten weg. Ein 3-Sekunden-Schock ist zuviel. Die zwei Sekunden sind besser, aber es dauert zu lang. Schon zwanzig Minuten.« Er starrte böse auf mich herunter. »Mehr Zeit kann ich nicht verplempern. Sie geben mir jetzt sofort die Sachen.«
Jetzt war er es, der das elektrische Gerät hielt, nicht Erskine.
Ich dachte, ich könnte sprechen. Versuchte es. Irgend etwas kam auch: das gleiche Gekrächz. Ich sagte: »Das dauert ... Tage.«
Es war kein Heroismus. Ich dachte nebelhaft, wenn sie mir abkauften, daß es Tage dauerte, würden sie ihre Bemühungen an Ort und Stelle aufgeben. Mit meiner Logik war es in dem Moment nicht weit her.
Pollgate trat auf Reichweite an mich heran und ließ mich die 5000 Volt von nahem besehen.
»Betäubungsgerät«, sagte er.
Zwei flache Metallspitzen ragten fünf Zentimeter voneinander entfernt aus dem flachen Plastikgehäuse hervor. Er drückte auf irgendeine Taste, und zwischen den Spitzen zündete ein elektrischer Funke, lang wie ein Daumen, leuchtend blau, dick und knisternd.