Pollgate hatte das Guineas gekannt. Mario gekannt. Gewußt, daß er für eine Stunde einen gesonderten Raum bekommen konnte. Solche Möglichkeiten kannte er mit Sicherheit.
Vielleicht hatte Lord Vaughnley den Sponsoren das Guineas vorgeschlagen. Vielleicht war das auch nicht nötig gewesen. Es gab oft Rennsportfeierlichkeiten im Guineas. Die Sponsoren konnten es ohne weiteres von sich aus gewählt haben, weil sie wußten, daß man dort die Filme zeigen konnte.
Nutzlose Gedanken. Wie immer es geplant worden war, es hatte geklappt.
Ich dachte auch über die Allianz zwischen Lord Vaughn-ley und Nestor Pollgate nach, Verleger zweier rivalisierender Zeitungen. Im Druck fuhren sie einander ständig an die Kehle, und privat handelten sie gemeinsam.
Verbündete, keine Freunde. Sie gingen nicht unbefangen miteinander um, wie es Freunde taten.
Am 1. Oktober hatte Lord Vaughnley den Brief der wohltätigen Organisation unterzeichnet, die Maynard für die Adelsverleihung vorschlug - ihn vielleicht beiläufig unterzeichnet, ohne den Mann gut zu kennen.
Später im Oktober hatte sein Sohn Hugh dann den Handel mit Maynard eingestanden, und Lord Vaughnley hatte empört versucht, Maynards Adelung zu hintertreiben, indem er Pollgate und seine Flag auf Zerstörungskurs brachte, denn das war eine Spezialität der Flag ... und Jay Erskine, der einmal für Lord Vaughnley gearbeitet hatte, saß in der Flag-Redaktion und war bekanntlich dem einen oder anderen illegalen Einsatz nicht abgeneigt.
Ich wußte nicht, wieso Lord Vaughnley sich an Pollgate gewandt, von ihm Hilfe erwartet hatte. Irgendwo zwischen ihnen gab es einen Grund. Ich glaubte nicht, daß ich eine Antwort bekommen würde, wenn ich fragte.
Lord Vaughnley, dachte ich, hätte der Stiftung sagen können, er wolle seine Empfehlung für Maynards Adelung zurücknehmen, doch dann hätten sie womöglich entgegnet: Tut uns sehr leid, Ihr Sohn war ein Narr, aber Maynard hat ihm geholfen. Als Zeitungsmann mochten Lord Vaughnley ein paar vernichtende Artikel sicherer erschienen sein - und außerdem befriedigender für den Rachedurst.
Davor allerdings war er es vermutlich auch gewesen, der zu den Produzenten von Handel heute gegangen war, der gesagt hatte, grabt aus, was ihr könnt, über Allardeck, ich bezahle es euch: Und der Regisseur selbst hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht, da er Rose Quince zufolge Geld dafür nahm, daß er seinen Opfern aus der Klemme half.
Die Handel-heute-Sendung über Maynard war als reine Sympathiewerbung ausgestrahlt worden, ganz entgegen dem Plan. Erst danach, dachte ich, hatte Lord Vaughnley sich an Pollgate gewandt.
Ich schloß die Augen und ließ mich treiben. Der Wagen summte. Sie hatten die Heizung an. Ich dachte an Pferde; ehrlicher als Menschen. Morgen sollte ich in Haydock an den Start. Gott sei Dank war der Rennbahnarzt nicht im Guineas gewesen.
Übernahmen, dachte ich unzusammenhängend. Ständig wehrt man Übernahmen ab.
Pollgate würde mir ein Grab schaufeln, wenn ich versagte.
Gegen Ende der Fahrt kehrten die geistigen und körperlichen Kräfte allmählich zurück, wie auflaufende Flut, und das war ein außerordentliches Gefühl. Ich hatte nicht geahnt, wieviel Kraft ich besaß, bis ich sie verloren hatte und ihre Wiederkehr erlebte. Ähnlich wie man die Schwere einer Krankheit erst erfaßte, wenn man wieder gesund war.
Ich streckte mich dankbar mit der neu geschöpften Energie in den Muskeln, atmete tief und sammelte mich. Auf irgendeine Weise spürte Pollgate, für den das Bewußtsein von Stärke normal sein mußte, das Aufladen meiner inneren Batterien und setzte sich gerader.
Erskine fuhr um fünf Minuten nach drei in Bobbys Stallhof ein, und obwohl das genau die Zeit für eine Ruhepause im Leben der Pferde war, schien alles voller Leute und Bewegung zu sein. Mit dem gewohnten Ruck brachte Erskine das Auto zum Stehen. Wir stiegen aus.
Holly sah gerade zerstreut in unsere Richtung, und neben drei oder vier Wagen stand da ein Pferdehänger mit heruntergelassener Rampe, und Pfleger zogen mit Halftern herum.
Da war außerdem, zu meiner ungläubigen Überraschung, Jermyn Graves.
Holly kam zu mir herübergelaufen und sagte: »Tu was, das ist ein Verrückter, und Bobby ist mit Maynard im Haus. Der kam schon früher, und sie haben sich angebrüllt, da mag ich nicht reingehen, und Gott sei Dank, daß du hier bist, Mensch, so ein Affentheater.«
Jermyn Graves sah mich und kam Holly hinterher. Seine Blicke schweiften über Pollgate, Jay Erskine und Lord Vaughnley, und er sagte streitlustig: »Wen haben wir denn da Schönes? Hören Sie gut zu, Fielding, mir langt’s mit Ihren Mätzchen, ich bin gekommen, um meine Pferde zu holen.«
Ich legte den Arm um Holly. »Ist sein Scheck durch?« fragte ich sie.
»Verdammt noch mal, ja«, sagte Graves.
Holly nickte. »Der Futterhändler gab uns Bescheid. Der Scheck ist gestern eingelöst worden. Er hat sein Geld.« »Um was geht es hier eigentlich?« sagte Pollgate mit schwerer Stimme.
»Halten Sie sich da raus«, sagte Graves barsch. »Ich rede mit Ihnen, Fielding. Geben Sie mir meine verdammten Pferde, sonst schicke ich Ihnen die Polizei auf den Hals.«
»Beruhigen Sie sich, Mr. Graves«, sagte ich. »Sie sollen Ihre Pferde bekommen.«
»Sie sind nicht in ihren Boxen.« Aus seinen Augen funkelte der ganze alte Zorn; und mir kam der Gedanke, daß seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber Pollgate grandios war. Vielleicht mußte man wissen, vor wem man Angst haben sollte, bevor man sie hatte.
»Mr. Graves«, sagte ich im Plauderton zu den beiden Verlegern und dem Journalisten, »zieht wegen dem, was er in den Intimen Details gelesen hat, seine Pferde ab. Sie sehen hier die Macht der Presse in Aktion.«
»Halten Sie’s Maul, und geben Sie meine Pferde raus«, sagte Graves.
»Ja, ist gut. Ihre Pfleger laufen in die verkehrte Richtung.«
»Jasper«, brüllte Graves, »komm her.«
Der glücklose Neffe näherte sich und schaute mich argwöhnisch an.
»Komm«, ich zeigte mit dem Kopf. »Sie sind hinten.«
Jay Erskine hätte mich zurückgehalten, aber Pollgate trat dazwischen. Ich ging mit Jasper auf den anderen Hof und zeigte ihm die Boxen, in denen Graves’ Pferde waren. »Tut mir furchtbar leid«, sagte Jasper.
»Keine Ursache«, sagte ich, und ich dachte bei mir, daß wir ohne ihn und seinen Onkel die Glocke nicht angebracht hätten und ohne die Glocke nicht Jay Erskine auf der Leiter ertappt hätten, und im großen und ganzen war ich der Familie Graves ziemlich dankbar.
Ich ging mit Jasper, der das erste Pferd hinter mir herführte, zurück, und da standen sie noch alle fast an den gleichen Stellen, während Jermyn Graves immer noch maulte, er habe eben kein Vertrauen, wenn der Trainer seine Rechnungen nicht zahlen könne.
»Bobby ist ohne Sie besser dran, Mr. Graves«, sagte ich. »Laden Sie Ihre Pferde ein, und verschwinden Sie.«
Ihn rührte fast der Schlag. Er klappte einige Male den Mund auf und zu und ging schließlich zu dem Hänger hinüber, um sein Mütchen an dem glücklosen Jasper zu kühlen.
»Gott sei es gedankt«, sagte Holly. »Ich kann ihn nicht ausstehen. Was bin ich froh, daß du hier bist. War es schön bei deinem Lunch?«
»Elektrisierend«, sagte ich.
Sie hörten es alle und blickten mich scharf an.
Lord Vaughnley sagte verblüfft: »Wie können Sie noch Witze machen .«
»Zum Teufel«, sagte ich. »Ich bin hier. Ich lebe noch.«
Holly blickte von einem zum anderen, spürte irgend etwas Starkes, verstand es nicht genau. »Ist was passiert?« fragte sie, mein Gesicht absuchend.
Ich nickte ganz kurz. »Ich bin in Ordnung.«
Sie sagte zu Lord Vaughnley: »Er setzt an den meisten Tagen der Woche sein Leben aufs Spiel. Sie können ihm nicht viel Angst einjagen.«