Solange ein Pferd im Hof eines Trainers blieb, hatte der Trainer gute Aussichten, zu seinem Recht zu kommen, weil das Gesetz ihn unmißverständlich befugte, das Pferd zu verkaufen und die geschuldete Summe vom Erlös einzubehalten. War das Pferd erst mal weg, stand ein Gerichtsverfahren und eine sehr lange Wartezeit in Aussicht, und wenn der Besitzer bankrott ging, gab es keinen roten Heller.
Graves’ Pferde waren schlicht und einfach Bobbys Sicherheit.
Bobby kam schließlich allein mit einer ellenlangen Rechnung wieder, die drei Seiten umfaßte.
»Kontrollieren Sie«, sagte ich zu Graves, als er Bobby die Blätter aus der Hand riß.
Zornig las er die Rechnung von vorn bis hinten durch und fand nichts, was ihn noch weiter hätte ärgern können, bis er zum letzten aufgeführten Posten kam. Er stieß den Finger aufs Papier und hob erneut die Stimme.
»Zinsen? Ja Scheiße, was für Zinsen denn?«
»Ehm«, sagte Bobby, »für den Kredit, den ich aufnehmen mußte, weil Sie mich nicht bezahlt hatten.«
Ein plötzliches Schweigen entstand. Respektvoll, was mich anging. Ich hätte nicht gedacht, daß mein Schwager das Zeug dazu hatte.
Graves beherrschte auf einmal seinen Zorn, schürzte die Lippen, kniff die Augen zusammen und kramte in einer Innentasche nach seinem Scheckbuch. Sorgfältig, ohne jedes Anzeichen von Wut oder Hast, schrieb er einen Scheck, riß ihn heraus und gab ihn Bobby.
»Also«, sagte er zu mir. »Aus dem Weg.«
»Alles klar damit?« fragte ich Bobby.
»Ja«, sagte er, als wäre er überrascht. »Vollkommen.«
»Gut«, sagte ich. »Dann hol jetzt das andere Pferd von Mr. Graves aus dem Transporter.«
Kapitel 3
Wie bitte?« sagte Bobby erstaunt.
Ich bemerkte sanft: »Ein Scheck ist nur ein Stück Papier, bis er durch die Bank gegangen ist.«
»Das ist Verleumdung!« brauste Graves auf, und sein ganzer Zorn brach wieder durch.
»Es ist eine Feststellung«, sagte ich.
Bobby stopfte schnell den Scheck in seine Hosentasche, als fürchte er, Graves würde ihn ihm zu entreißen versuchen - kein unbegründeter Verdacht angesichts der Feindseligkeit, mit der er konfrontiert war.
»Sobald der Scheck eingelöst ist«, sagte ich zu Graves, »können Sie die Pferde abholen kommen. Donnerstag oder Freitag dürfte es soweit sein. Bis dahin wird Bobby sie umsonst halten, aber wenn Sie sie bis Samstag nicht entfernt haben, wird er wieder Trainingsgebühren berechnen.«
Bobbys Mund klappte ein wenig auf und entschlossen wieder zu, und er ging ohne weitere Umstände zu dem Pferdetransporter. Graves eilte ihm laut protestierend ein paar Schritte hinterher, drehte dann ab, kehrte schreiend zu mir zurück und hüpfte praktisch vor mir auf der Stelle.
»Ich werde dafür sorgen, daß den Stewards das zu Ohren kommt!«
»Äußerst unklug«, sagte ich.
»Ich lasse den Scheck sperren.«
»Wenn Sie das tun«, erwiderte ich ruhig, »wird Bobby Sie auf die Zahlungsverzugsliste bringen.«
Diese schrecklichste aller Drohungen beendete Graves’ Getobe auf wunderbare Weise. Wer wegen nichtbezahlter Trainingsgebühren auf die Schuldnerliste des JockeyClubs gesetzt wurde, war unehrenhaft von allen Rennplätzen ausgeschlossen, und seine Pferde ebenso. Eine solche Schmach wollte Mr. Graves sich wohl doch nicht aufladen.
»Ich vergesse das nicht«, versicherte er mir grimmig. »Sie werden bereuen, daß Sie sich mit mir angelegt haben, dafür sorge ich.«
Bobby hatte das erste Pferd von Graves inzwischen ausgeladen und führte es zu seinem Stall hinüber, während der Bursche und der Fahrer die Rampe schlossen und sie verriegelten.
»Dann mal tschüs, Mr. Graves«, sagte ich. »Kommen Sie tagsüber wieder, und rufen Sie vorher an.«
Er warf mir einen stieren Blick zu und zog dann plötzlich die gleiche Nummer ab wie vorher - spitzte den Mund, kniff die Augen zusammen und unterdrückte abrupt seine Wut. Beim ersten Mal, als ich ihn ohne weitere Mätzchen den Scheck ausstellen sah, hatte ich durchschaut, daß er sich mit der Absicht trug, seiner Bank zu sagen, sie solle ihn nicht einlösen.
Jetzt sah es ganz so aus, als hätte er etwas anderes im Sinn. Die Frage war nur, was.
Ich beobachtete ihn, als er schweigend zu dem Transporter hinüberging, mit ungeduldiger Hand dem Burschen und dem Fahrer winkte und sie einstiegen hieß. Er selbst kletterte unbeholfen als letzter in die Fahrerkabine und schlug die Tür zu.
Der Motor sprang an. Das schwere Fahrzeug erbebte und rollte langsam aus dem Hof, wobei Graves unverwandt geradeaus schaute, als trüge er Scheuklappen.
Ich löste mich von der Stalltür und ging zu Bobby.
»Danke«, sagte er.
»Keine Ursache.«
Er blickte sich um. »Alles ruhig. Gehen wir rein. Es ist kalt.«
»Mm.«
Wir gingen zwei Schritte, und ich hielt an.
»Was ist?« fragte Bobby, sich umdrehend.
»Graves«, sagte ich. »Er ist zu friedlich weg.«
»Etwas anderes blieb ihm kaum übrig.«
»Er hätte weiterschreien und fuchteln und noch ein paar Drohungen nachschieben können.«
»Ich weiß nicht, worüber du dich aufregst. Wir haben seinen Scheck, und wir haben seine Pferde ... ehm, dank deiner Hilfe.«
Seine Pferde.
Die Luft in meinen Lungen entwich mit einem Stoß und löste sich als Dunst am Abendhimmel auf.
»Bobby«, sagte ich, »hast du irgendwelche leerstehenden Boxen?«
»Ja, im Stutenhof sind einige.« Er war verwirrt. »Warum?«
»Wir könnten doch Graves’ Pferde da unterbringen, findest du nicht?«
»Du meinst . er kommt vielleicht wieder?« Bobby schüttelte den Kopf. »Ich würde ihn hören. Vorhin hab’ ich ihn ja auch gehört, obwohl ich zugeben muß, daß
Glück dabei war, denn wir hätten auf einer Party sein sollen, aber die Lust war uns vergangen.«
»Kann Graves gewußt haben, daß ihr weg wolltet?« fragte ich.
Er sah verblüfft drein. »Das ist möglich. Die Einladung liegt auf dem Kaminsims im Wohnzimmer. Er kam letzten Sonntag auf ein Glas vorbei. Jedenfalls würde ich es hören, wenn noch mal ein Pferdetransporter kommt. Ist ja laut genug.«
»Und wenn er um drei Uhr früh auf dem Grasstreifen hinter eurem Tor parkt und die Pferde in Hufschuhen rausführt, um ihre Schritte zu dämpfen?«
Bobby machte ein ratloses Gesicht. »So weit würde er doch nicht gehen. So weit nicht. Oder?«
»Irgend etwas hat er vor. Das war ihm anzusehen.«
»Na schön«, sagte Bobby. »Wir quartieren sie um.«
Auf dem Rückweg zu dem Pferd, das ich bewacht hatte, sann ich darüber nach, daß Bobby ungemein zugänglich für Ratschläge war. Normalerweise faßte er jeden Vorschlag von mir als Kritik an seiner Person auf und wehrte ihn ab, indem er zwanzig Gründe fand, ihn nicht zu beherzigen - oder zumindest erst, wenn ich außer Sicht war und davon nichts mitbekam. Heute abend lag die Sache anders. Bobby mußte wirklich sehr besorgt sein.
Wir schafften Graves’ Pferde in Bobbys zweiten Stalltrakt hinter dem großen Viereckhof und brachten sie dort in zwei freien Boxen unter, die zufällig nicht nebeneinander lagen. Um so besser.
»Erkennt Graves seine Pferde auf Anhieb?« fragte ich Bobby; und das war keineswegs eine dumme Frage, denn viele Besitzer konnten es nicht.
»Ich weiß nicht«, meinte er zweifelnd. »Das kam nie zur Sprache.« »Mit anderen Worten«, sagte ich, »er erkennt sie immer daran, daß sie dort sind, wo er sie zu sehen erwartet?«
»Ja. Ich denke schon. Aber sicher ist das nicht. Er kennt sie vielleicht besser, als ich annehme.«
»Na ... wir wär’s dann, wenn wir eine Art Alarmvorrichtung anbringen?«
Bobby sagte nicht, auf keinen Fall, das sei nicht nötig, er sagte: »Wo?«