Unglaublich.
»An einer der Boxen, wo sie normalerweise drin sind«, sagte ich.
»Ja. Ich verstehe. Ja.« Er zögerte. »Was denn für ein Alarm? Ich habe keine Elektrogeräte hier. Wenn ich vor einem großen Rennen besonders strengen Schutz brauche, miete ich mir jemand mit einem Hund.«
Ich ließ in Gedanken rasch sein Haus und dessen Inhalt Revue passieren. Bratpfannendeckel? Backbleche? Irgend etwas zum Krachschlagen.
»Die Glocke«, sagte ich. »Deine alte Schulglocke.«
»Im Arbeitszimmer.« Er nickte. »Ich hole sie.«
Bobbys Arbeitszimmer enthielt ein paar Regale voll übersichtlich angeordneter Erinnerungen an sein tadelloses Vorleben: Kricketmützen, im Schulsport errungene Silberpokale, Mannschaftsfotos, einen Rugbyball ... und die Handglocke, die er als Aufsichtsschüler in seinem Internat lärmend geschwungen hatte, um die jüngeren Schüler ins Bett zu schicken. Bobby war einer von den standhaften Jungens gewesen, dank deren Teamgeist das britische Public-School-System funktioniert; daß er selbstzufrieden und etwas wichtigtuerisch daraus hervorgegangen war, lag wahrscheinlich daran, daß seine vielen guten Eigenschaften jedermann einschließlich ihm selbst offenbar waren.
»Bring einen Hammer mit«, sagte ich. »Und ein paar Krampen, wenn du hast. Sonst Nägel. Und eine reißfeste Schnur.«
»Gut.«
Er ging los und kam bald darauf wieder, in der einen Hand die Glocke, die er geräuschlos am Klöppel trug, und in der anderen einen Werkzeugkasten. Gemeinsam installierten wir die Glocke so nah wie möglich an Bobbys Haus und brachten sie so an, daß sie bei einem kräftigen Ruck an der Schnur, die um den Griff gebunden war, scheppernd heruntersegeln würde. Dann führten wir die Schnur durch eine lange Reihe von Krampen bis zu dem gewohnten Quartier eines der Pferde von Graves und befestigten das Ende außer Sicht an der Oberkante der geschlossenen Tür.
»Okay«, sagte ich. »Geh ins Haus. Ich öffne die Tür hier, und du siehst zu, ob du die Glocke hören kannst.«
Er nickte und ging, und nach einer längeren Pause machte ich die Stalltür auf. Die Glocke fiel mit zufriedenstellendem Radau, und als Bobby zurückkam, sagte er, sie würde die Toten aufwecken. Wir brachten sie wieder in ihre sturzgefährdete Position und gingen in seltener Einmütigkeit zusammen ins Haus.
Es hatte Fieldings und Allardecks länger im Rennsport gegeben, als irgend jemand sich erinnern konnte: zwei Familien mit einigem Land und einigem Geld und einem bitteren, anhaltenden Haß aufeinander.
Ein Fielding und ein Allardeck hatten mit Dolchen um die Gunst von König Charles dem Zweiten gekämpft, als dieser nicht in London, sondern in Newmarket Hof hielt und somit ausländische Gesandte zu einer beschwerlichen Kutschfahrt nach Nordosten zwang, wenn sie ihm Reverenz erweisen wollten.
Ein Allardeck hatte dreihundert Sovereigns in einem 2-Pferde-Rennen gesetzt, das auf Queen Annes eigener Rennbahn auf der Heide von Ascot stattfand, und sein Geld an einen Fielding verloren, der ermordet und ausgeraubt wurde, bevor er nach Hause kam.
In der Regentschaftszeit hatte ein Mr. Allardeck einen Mr. Fielding zu einem Querfeldeinrennen über furchterregende Sprünge herausgefordert, bei dem der Gewinner das Pferd des anderen erhalten sollte. Mr. Allardeck (der verlor) beschuldigte Mr. Fielding (den klaren Sieger), eine betrügerische Abkürzung genommen zu haben, und der Streit führte zu einem Pistolenduell im Morgengrauen, wo sie gezielt aufeinander schossen und beide an ihren Verletzungen starben.
Es hatte einen viktorianischen Herrenreiter namens Fielding gegeben, mit wildem Schnauzbart und noch wilderem Ruf, und einen Allardeck, der beim Start des Grand National betrunken vom Roß gefallen war. Fielding bezichtigte Allardeck, ein Feigling zu sein, Allardeck bezichtigte Fielding, seine (Allardecks) Schwester verführt zu haben. Beide Vorwürfe entsprachen der Wahrheit, und diese zwei regelten ihre Meinungsverschiedenheit mit bloßen Fäusten auf der Heide von Newmarket, wobei Fielding den (wiederum) betrunkenen und furchterfüllten Allardeck halbtot schlug.
Zur Zeit König Edwards waren die beiden Familien ausweglos in ihre Erbfeindschaft verstrickt und warfen einander alles an den Kopf, was gerade greifbar war. Ein besonders aggressiver Fielding kaufte vorsätzlich ein Grundstück neben den Allardecks, um sie zu reizen, und erbitterte Grenzstreitigkeiten führten zu Zusammenstößen mit Flinten und (etwas harmloser) zu gerichtlichen Verfügungen.
Bobbys Urgroßvater zündete Urgroßvater Fieldings Scheune an (von Urgroßvater Fielding dahin gebaut, wo sie den Allardecks am meisten die Aussicht verdarb), nur um eine Woche später sein liebstes Jagdpferd erschossen auf der Weide zu finden.
Bobbys Großvater und Großvater Fielding waren ganz natürlich zu gegenseitigem Haß erzogen worden, und in ihrem Fall gipfelte die Fehde später in einem erbitterten beruflichen Konkurrenzkampf, da sie beide (als zweite Söhne mit geringer Aussicht auf das Erbe des Familienbesitzes) beschlossen hatten, sich als Trainer niederzulassen. Beide kauften Rennställe in Newmarket und bezahlten ihre Pfleger dafür, daß sie beim anderen spionierten und über ihn berichteten. Sie triumphierten frech, wenn ihre Pferde siegten, und schäumten vor Wut, wenn die des anderen an die Spitze kamen, und falls sie im selben Rennen Erster und Zweiter wurden, war es fast eine Selbstverständlichkeit, daß sie gegeneinander Protest einlegten.
Holly und ich, aufgezogen in Großvater Fieldings stürmischem Haushalt, wurden dementsprechend eingeschworen auf die Losung, daß sämtliche Allardecks niederträchtige Irre seien, die ignoriert werden müßten, wann immer man ihnen auf der Hauptstraße von Newmarket begegnete.
Bobby und ich wären, da man uns von Geburt an auf gegenseitige Verachtung getrimmt hatte, wohl auch auf Faust und Feuersbrunst verfallen, wenn es nicht so gekommen wäre, daß mein Vater starb und Bobbys Vater mit seiner Familie Newmarket verließ, um Grundbesitz und Kapital zu übernehmen. Nicht, daß Bobbys Vater Maynard auch nur die Erwähnung des Namens Fielding hätte ertragen können. Der Grund, weshalb er nicht mit Bobby sprach (wie die >Intimen Details< zutreffend berichteten), war der, daß es Bobby Allardeck trotz angedrohter Enterbung gewagt hatte, sich über den Zorn seines Vaters hinwegzusetzen und mit Holly Fielding vor den Traualtar zu treten.
Als Holly dreizehn war, war ihre einzige, alleinige Heldin die Julia aus Romeo und Julia gewesen. Sie lernte fast das ganze Stück auswendig, besonders aber den Part von Julia, und geriet hoffnungslos ins Schwärmen über das tote junge Liebespaar, das die befeindeten Familien Montague und Capulet zusammenbrachte. Bobby Allardeck, so nahm ich an, war ihr Romeo, und sie war stark dazu prädestiniert gewesen, sich in ihn zu verlieben, selbst wenn er nicht so groß, blond und gutaussehend gewesen wäre.
Sie trafen sich zufällig (oder hatte sie ihn eigens aufgespürt?) in London, nachdem sie sich mehrere Jahre nicht gesehen hatten, und waren innerhalb eines Monats unzertrennlich. Die Heirat hatte ihren geheimen Zweck bis zu dem Grad erfüllt, daß Bobby und ich jetzt fast immer höflich zueinander waren und daß unsere Kinder, falls wir welche bekamen, Freunde werden könnten.
Bobby und Holly waren nach Newmarket zurückgegangen, wo Bobby hoffte, als Trainer den Rennstall seines inzwischen erkrankten Großvaters zu übernehmen, doch der zänkische alte Mann, der seinen Enkel als Verräter der Familie bezeichnete, hatte ihm den vollen Marktwert für das Anwesen abverlangt und war dann gestorben, ohne ihm einen Penny zu hinterlassen.
Bobbys derzeitige Geldsorgen waren nicht unkompliziert. Sein Haus und Hof, das heißt der kleine Teil davon, der nicht hypothekarisch belastet war, wurde selbstverständlich von der Bank als Sicherheit für die Kurzdarlehen beansprucht, die sie ihm für den Jährlingskauf gewährt hatte. Wenn die Bank die Darlehen einforderte, saßen er und Holly ohne Lebensunterhalt auf der Straße und sahen einer äußerst düsteren Zukunft entgegen.