»Die Berichte der Eingeborenen, überwuchert von jahrhundertealten Legenden, sind wahrscheinlich übertrieben. Aber die Platinfunde auf einer Insel, deren Fels sonst kein Platin enthält, waren und bleiben eine höchst reale Tatsache.« Das alles geschah um 1939.
Ich glaube nicht an die Metall- oder gar Platinsärge. Sechs- oder achteckige Basaltpfeiler, von Muscheln und Korallen überwuchert, lassen sich unter Wasser leicht mit der Form von Särgen verwechseln. Särge hin, Särge her. Tatsache bleibt, daß Japan seit seiner Mandatsherrschaft ab 1919 von Ponape aus Platin exportierte. Woher stammten diese Platinmengen? Mögen die Särge eine Täuschung gewesen sein, überzeugen mich doch die Taucherberichte von Häusern, Straßen und Steingewölben auf dem Meeresgrund, denn diese Bauten sieht man im klaren Wasser auf den Inselrand »zuwachsen« und erkennt deutlich, wie sie zum angeblichen Brunnen hin führen. Hier war, meine ich, mit großer Wahrscheinlichkeit der Einstieg in ein die Insel beherrschendes Tunnelsystem. Und: nan madol hat nichts Gemeinsames mit dem sagenhaften Atlantis, das - nach Plato - 9000 v. d. Z. im Meer versank. Hier liegen die überirdischen Bauten dort, wo sie vor Urzeiten angelegt wurden, und ihre Fortsetzungen unter Wasser sind planmäßige Anlagen, die im Zuge der Bauarbeiten von nan madol entstanden. Hier gibt es Relikte wunderbarer Bauten, aber hier gibt es keine Wunder. Was berichten die überlieferten Legenden über die mysteriösen Ruinen von nan madol?
Die auf ponape lebenden Forscher k. masao hadley, pensile Lawrence und Carole jencks haben Material gesammelt, ohne dem Inhalt eine mögliche Auslegung zu geben.
Der Hauptbau wird in der Legende als »Tempel der heiligen Taube« geführt. Noch vor drei Jahrhunderten wäre der Taubengott und Oberpriester nanusunsap in einem Boot durch die Kanäle gerudert und ihm gegenüber habe stets eine Taube gesessen, der er ohne Unterlaß in die Augen habe schauen müssen: habe die Taube geblinzelt - und Tauben tun das ständig! — hätte der arme Oberpriester zurückblinzeln müssen. Eine drollige Vorstellung.
Ursprünglich jedoch, melden die Legenden, wäre nicht die Taube das Symbol der Gottheit von nan madol gewesen, sondern ein feuerspeiender Drache.. Um diesen ehemals heimischen Drachen ranken sich denn auch die Berichte von der Entstehungsgeschichte der Insel und der Bauten. Die Mutter des Drachen habe durch ihr gewaltiges Schnauben die Kanäle ausgehoben und auf diese Weise die Inselchen entstehen lassen — der Drache hätte einen Zauberer als Adjutanten gehabt, und dieser Drachen-Zauberer hätte einen Vers gewußt, mit dem er, dank der Kraft des Zauberspruches, die Basaltklötze von der großen Nachbarinsel herüberfliegen lassen konnte, um sie dann - mit einem anderen Vers - ohne einen Handgriff der Bewohner auf nan madol aufzuschichten.
Amüsiert habe ich mich über eine Interpretation der DrachenLegende. Der Drache, sagen die Archäologen, sei eigentlich kein Drache, vielmehr ein Krokodil gewesen, das sich nach nan madol verirrt und dort erhebliche Unruhe gestiftet habe. Krokodile gibt es in der Südsee etwa 3000 Meilen von der Insel entfernt. Mag sich irgendwann ein Krokodil verirrt haben — warum nicht? -dann gibt das immer noch keinen Grund dafür, daß eine einzige Panzerechse in die Legende einging, nicht aber die ungleich eindrucksvollere Entstehung der Bauten von nan madol! Ein Krokodil hinterläßt Spuren in der Volkslegende — Bauten aber, deren Rudimente heute noch staunenswert und unerklärbar sind, finden in den Legenden keine Beachtung? Das Krokodil baute doch wohl keine Terrassen, Häuser, Tunnels. Oder? Selbstverständlich gibt es viel, viel mehr Legenden über nan madol als die von der Taube und vom Drachen. Der deutsche Ethnologe paul hambruch gab im zweiten Band seiner »Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908 bis 1910« (Berlin 1936) eine gründliche Übersicht über Sagen, Mythen und Legenden der Karolinen. Das »Di-strict-Economic-Development-Office« in ponape verkauft Touristen eine Broschüre mit Daten der Geschichte und Legenden für einen Dollar. Wenn ich hier vorerst nur die DrachenLegende vorlege, hat das gute Gründe.
Ich tue es nicht, weil ich hier einen einmaligen Taufpaten und Kronzeugen für mein Götter-Konzept gefunden habe.
Auf allen Südsee-Inseln, die Ruinen alter Bauten vorweisen und ihre Vergangenheit in Mythen belegen können, gibt es die wilde Behauptung, große Steine seien durch die Luft an ihren Bestimmungsort geflogen. Das prominenteste, weil weltbekannte Muster dieser Legenden-Aussage ist die osterinsel. In ihren Mythen tragen die RAPANUI-Leute über alle Zeiten weg das »Wissen«, wonach die etwa 200 Riesenstatuen rund um die Inselküste »aus der Luft« und »von selbst« in ihre Positionen gegangen seien.
Die Drachen-und-Tauben-Legenden gibt es überall, freilich in verschiedenen Fassungen. In der Fülle des weiteren Legendenstoffes dominieren kriegerische Ereignisse, Abfolgen ehemals herrschender Königsgeschlechter, Hochzeiten und Morde wie auch verifizierbare historische Fakten jüngeren Datums. Dieser umfängliche Teil der Legenden geht von Tatsachen aus, er hat einen realen Kern. Das scheint mir nur logisch, denn auch die kühnste Phantasie braucht Anlässe, quasi Startrampen für kühne Gedanken. Menschliche Phantasie lehnt sich selbst dann, wenn es sich um scheinbare Utopie handelt, an Erlebtes oder mindestens im jeweiligen Stadium Denkbares an. Nun sind Drachen ein globales Element in Mythen und Legenden. Die frühesten Sagen der Chinesen kennen sie wie sie bei den Mayas ihren selbstverständlichen Platz haben. Diese feuerspeienden Ungeheuer sind jedem alten Volk der Südseegemeinschaft vertraut, gelegentlich auch als lärmende, fliegende Schlangen. Alle aber beherrschen die fabelhafte Kunst, größte und schwerste Gegenstände über weite Entfernungen in vorbestimmter ordnung an den Platz X befördern zu können. Welcher Baumeister unserer Tage möchte nicht gern Drache mit solchen Fähigkeiten sein?
Die phantasiebegabten Urväter erbauten nan madol. Nicht an einem Tag. Unter freundlicher Assistenz eines Mathematikers errechnete ich, daß dafür annähernd 300 Jahre notwendig waren. Über viele Generationen hin wurde mit Blut, Schweiß und Tränen geschuftet. Warum hat sich diese enorme Leistung der Insulaner nicht in der belegten Historie niedergeschlagen, markant eingezeichnet, wenn sie - wie die Archäologen behaupten - erst vor 500 Jahren erbracht wurde? Der »Beweis« für diese junge Datierung ist sehr, sehr mager: Vor sechs Jahren wurde unter einem Basaltblock beim »Brunnen« ein Holzkohlenrest gefunden. Es wurde eine Zeitbestimmung nach der C-14-Methode vorgenommen, die ergab eine Datierung um 1300 n. d. Z.
Abgesehen von der - inzwischen vielfach attestierten -Ungenauigkeit der C-14-Methode, die ein konstantes Verhältnis des radioaktiven Isotops des Kohlenstoffs (C) mit dem Atomgewicht 14 in der Atmosphäre voraussetzt, ist es viel eher möglich, ja, sogar wahrscheinlich, daß Nachfahren auf den längst vorhandenen Basaltbauten ein Feuerchen anzündeten. Das sind doch keine ernstzunehmenden Feststellungen, das sind Tricks, die bluffen sollen, wenn man nicht weiter weiß ... Polynesien (griechisch: Vielinselland), die Inselgruppen des östlichen ozeaniens, liegen in dem großen Dreieck zwischen Hawaii, den Osterinseln und Neuseeland. Die Ureinwohner aller polynesischen Inseln auf 43 700 qkm Festland haben Sagen und Legenden gemeinsam, sie haben gemeinsame Sprachstämme und - mit nur geringen Varianten - ein gemeinsames Äußeres. Und gemeinsame Götter!