Die Mehrzahl der Polynesien-Spezialisten, Archäologen, Anthropologen und Altphilologen, sind sich darin einig, daß Kultur und Sprache von Ostpolynesien aus verbreitet wurden. Dieser Version folgend, ging der Kultur-und Sprachenexport von der Gruppe der neun cooK-Inseln und ihren vielen Atollen aus, von der großen Insel Tahiti (1042 qkm) wie von der Gruppe der tuamotu-Inseln mit ihren etwa 80 Atollen aus, aber auch von den MARQUESA-Inseln und den MANGAREWA-Inseln. Ich wage nicht, diese wissenschaftlichen Resultate zu bekritteln, aber ich habe Fragen vorzubringen. Wie haben die Ostpolynesier beim Kulturexport die gewaltigen Distanzen zwischen den Inseln zurückgelegt? Da gibt es die Theorie, sie hätten sich mit ihren Kanus in die Strömungen des Meeres eingeschleust und dann treiben lassen. Treiben — wohin?
Seit einem halben Jahrhundert weiß man aus der Erforschung der Meeresströmungen sehr genau, in welchen Richtungen sich die großen, kräftigen Strömungen bewegen, welche Küsten sie berühren. So beweist die Karte der Meeresströmungen schlüssig, daß die ostpolynesi-schen Exporteure Neuseeland, die größte Insel im südlichen Pazifik, mit ihren primitiven Kanus gegen die Strömung hätten erreichen müssen.
Eine beliebte Erklärung für den kompaß- und motorlosen Verkehr ist die, daß die Seefahrer zwischen ostpolynesien und Neuseeland solange in Nord- oder Südrichtung fuhren, bis sie sich östlich oder westlich von ihrem Ziel befanden: dann fädelten sich die cleveren Burschen haarscharf in die Strömungen ein. Ja, wenn die Urpolynesier moderne maritime Kenntnisse und technische Hilfen gehabt hätten! Was wußten sie denn von dem auf Punkt richtigen Breitengrad, von dem ab sie nach ost oder West abbiegen mußten? Und woher kannten sie ihr Ziel? Wußten sie, daß und wo es andere Inseln gab?
Wer unterstellt, die Urpolynesier hätten sich exakt der Strömungen bedient — die gegen ihre Expeditionsrich-tungen verliefen! - der muß bereit sein, anzuerkennen, daß ihnen Kenntnisse der Meeresströmungen geläufig waren. Falls Wissenschaftler bereit sind, diese notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Navigation zwischen den Inseln zu akzeptieren, dann will ich mich gern der Strömungstheorie anschließen, muß aber zugleich die Frage stellen dürfen, woher sie dieses Wissen hatten.
Es geht um den Kulturexport von ost nach West über riesige Distanzen, die ich hier nach Angaben der internationalen Luftfahrtgesellschaften benenne:
Osterinsel-Tahiti = 3700 km
Tahiti-Fidschi = 4300 km
Fidschi-Australien = 3000 km
Kalifornien-Hawaii = 4000 km Hawaii-Marshallinseln = 3800 km
Hätte trotzdem der Zufall ein Floß oder ein Kanu an der Küste einer bis dato unbekannten Insel landen lassen, dann hätten die kühnen Seefahrer (gegen die Strömung!) nie wieder Verbindung mit ihrer alten Heimat bekommen, sie hätten nicht mal Kunde dorthin gelangen lassen können: »Land über!« Die tollkühnen Aquanauten hätten sich von der zufällig angelandeten Insel aus -wären sie noch mal in See gestochen — immer weiter vom Heimathafen entfernt. Die Heimkehr hätten die stärksten Männer in den Kanus nicht geschafft. Sie vollbrachten allerdings, der Wissenschaft zufolge, eine andere erstaunliche Leistung: sie hatten zwar keine Frauen mit von der Partie, versorgten die Inselchen aber nicht nur mit Kultur, sie zeugten auch Kinder, die sich dann fleißig vermehrten. Wie sie das wohl gemacht haben? Die ostpolynesier haben nach den Sternen navigiert! »Wenn das >Kreuz des Südens< im Herbst um Mitternacht am Horizont steht, müssen wir links steuern, um Bora-Bora zu erreichen.«
Woher wußten die Kulturbringer, wo Bora-Bora liegt? War irgendwer vor ihnen auf den vielen hundert Inseln? Auf welche Weise bekamen die »Entdecker« von der Heimatinsel Meldungen, die zu solcher Positionsbestimmung nötig waren?
Heute weiß der Seemann (im Gegensatz zum vorgeschichtlichen Entdecker), daß sein Ziel existiert, wo es liegt und auf welcher Route er es findet. Den Urpolynesiern fehlten alle notwendigen Kenntnisse. Wenn sie eine Insel erreichten, legte sie ihnen ein glücklicher Zufall in den Weg.
Die intelligenten und kunstfertigen Ureinwohner Neuseelands, die maori, kennen eine Sage, die zum Nachdenken anregt.
Danach gab es in frühen Zeiten den König KUPE, der in Begleitung zweier Töchter und zweier Vögel offenbar eine Art von wissenschaftlicher Expedition unternommen hat. KUPE entdeckte die ostküste Neuseelands, ging an Land und schickte die beiden Vögel zur Erkundung aus. Der eine Vogel bekam den Auftrag, das Gefälle der Flüsse und die Meeresströmungen zu messen -der andere mußte Beeren und Pflanzen auf ihre Genießbarkeit hin analysieren. Der erste Vogel brach sich beim Messen eines Wasserfalls die Flügel - lahm, wie er war, konnte er nicht mehr fliegen. Der zweite Vogel, berichtet die MAORI-Sage, habe eine so köstliche Beerenart gefunden, daß er es vorzog, den Rest seines Lebens im Wald zu verbringen: kupe sah ihn nicht wieder. Deshalb, heißt es, habe König KUPE mit seinen Töchtern nicht in die Heimat zurückkehren können. Warum eigentlich nicht?
Der König besaß doch noch sein Kanu, mit dem er die Expedition antrat. Beide Töchter, mutmaßlich sportive junge Damen, waren bei ihm. Trotzdem war die Heimreise nicht möglich. Brauchte er die klugen Vögel - die der Sage nach erheblich mehr konnten als Fliegen - zur Navigation?
Die Merwürdigkeit dieser Sage wird von der ältesten MAORI-Legende weit übertroffen, behauptet sie doch, Neuseeland sei von dem Gott maaui aus den Fluten des Meeres gefischt worden!
maaui habe, so die Legende, einen Fisch an der Angel gehabt, der Fisch habe wie wild gezappelt und um sich gebissen, da sei der Gott wütend geworden, habe den Fisch zerschnitten, zerhackt. . . und darum sei Neuseeland derart zerstückelt.
Heute noch bezeichnen maoris, wie es ihre Vorfahren in der Legende überlieferten, die Nordinsel — te ika-a-maaui - als den Fisch des maaui, während die Südinsel (Stewart Island) ihnen als das Boot des Gottes erscheint. Die MAHIA-Halbinsel - te matau a maaui - ist der Angelhaken, das WELLINGTON-Gebiet — te upoko o te ika — der Kopf, die NORD-AUCKLAND-Halbinsel - te hiku o te ika - der Schwanz des Fisches.
Das ist eine nachdenkenswerte Geschichte. Als der Gott maaui Land angelte, gab es noch keine Landkarten. Der Blick in einen Atlas aber bestätigt, wie genau diese Legende die Formen Neuseelands umreißt: da ist der rochenartige Fisch zu sehen, mit seinem geöffneten Maul im Süden, dem langen Schwanz im Norden, mit einer Seitenflosse am Angelhaken.
Die Legenden vom starken, streitsüchtigen maaui sind von Insel zu Insel verschieden, immer aber erscheint er als Gestalt von unmenschlicher Kraft . .. und stets als der »Land-Fischer«. Seit Menschengedenken sind die Polynesier selbst Fischer, sie haben »Meeresfrüchte« aller Art im Netz oder an der Angel gehabt, ganz gewiß haben sie auch in bombastischem Angler-Latein manche Schollen zu Haifischgröße aufgeplustert. Sie wußten aber zu allen Zeiten, daß man Land nicht angeln oder fischen konnte. Dennoch behaupten Legenden auf allen Inseln: der Gott maaui war der »Land-Fischer«.
Mit verwegenem Simsalabim machen wir aus dem Gott maaui den mutigen Charles lindbergh, der am 20. und 21. Mai 1927 in 33 Stunden die rund 6000 km von New York nach Paris flog! Allein in der windigen einmotorigen Maschine, sah er unter sich nur Wasser, Wasser, Wasser. Einundeinhalb Tage allein hoch über dem Wasser — ein Alptraum! Lindbergh sah tief unter sich einen dunklen Fleck, einen Punkt. Ein großer Fisch? Eine kleine Insel? Ein Schwarm Fische? Eine Inselgruppe? Langsam ging er mit dem Flugzeug in geringere Höhen, er erkannte die dunklen Flecke im Atlantik, es waren Inseln. Die Spannung des einsamen Fliegers löste sich: er hatte ein Fleckchen Land »gefischt«. Sehr lustig, wird man mir sagen, aber die Polynesier in grauer Vorzeit haben doch die Kunst des Fliegens nicht beherrscht.