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Das gewaltige aufstrebende Land ist ein Land voller Geheimnisse.

Sieht ein Pilot der VASP-Fluggesellschaft auf einem »normalen« 2000-km-Flug unter sich Türme oder Dörfer oder Ruinen, die in den Karten nicht vermerkt sind, lokalisiert er deren geographische Position und erstattet Meldung. Geht man dann nur drei Tage später daran, die Angaben zu verifizieren, können Türme, Dörfer oder Ruinen schon wieder verschwunden sein. Was nur unter zufälligen Wetterbedingungen, durch den günstigen Stand von Winden oder auch Waldbrände kurz sichtbar gewesen war, ist längst wieder vom grünen Moloch Urwald überwuchert, aufgefressen. Brasilien ist ein Land der Extreme. Es tut sich schwer, sich selbst oder gar seine früheste Vorgeschichte zu erkennen. Dabei werden - seit Dodge, VW, Ford und Chevrolet hier Autos aller Sorten bauen - täglich archäologische Funde gemacht, die Armeepioniere beim Bau von Straßen, die die weiten Entfernungen verkehrstechnisch überwinden sollen, aus dem Boden aufwühlen und ans Licht heben. Niemand kann ermessen, wieviel Einmaliges in den Bergen des Aushubmülls für immer verloren geht.

Archäologie ist in Brasilien jedermanns Hobby. Berufsarchäologen aber sind rar in diesem Land. Würden anderswo derartig opulente Funde bekannt, würden Universitätsinstitute Forschungsaufträge erteilen oder Regierungen würden Finanzhilfen für fachmännisch geleitete Grabungsteams bereitstellen. Hier ist das alles anders.

Die Größe des Landes, die Vielfalt der archäologischen Reichtümer, besonders aber deren mühevolle Erreichbarkeit lassen eine planmäßige Sichtung und Prüfung kaum je gelingen. Ist etwa eine vorzeitliche vergessene Stadt genau lokalisiert und sogar mit zweckentsprechenden Fahrzeugen erreichbar, dauert es doch Jahre, bis Geld zur Ausrüstung einer modernen Expedition vorhanden ist. Nur zu oft heißt es letztlich: zu spät. Archäologische Funde sind in Brasilien meistens dem Glück, dem Fleiß und dem Eifer von Laien zu danken. Der Österreicher ludwig schwennhagen ist so ein Besessener gewesen. Er war Lehrer für Philosophie und Geschichte und lebte lange Zeit in teresina, der Hauptstadt des nordbrasilianischen Staates piaui. schwenn-hagen war der erste, der 1928 in dem Buch antiga historia do brasil ausführlich über die geheimnisumwobenen SETE CIDADES = SIEBEN STÄDTE Schrieb. Als 1970 endlich die zweite Auflage seines Buches herauskam, war schwennhagen längst als verarmter Schullehrer gestorben.

Ich hörte den Namen schwennhagen zum ersten Mal aus dem Munde von Dr. renato castelo branco, der mir eine Einladung der Regierung von piaui zur Besichtigung der sete cidades überbrachte. »Wo liegen denn diese sete cidades?« fragte ich. »Nur 3000 km Luftlinie von hier«, antwortete Dr. branco. »Nördlich von teresina, zwischen dem Städtchen piripiri und dem RIO longe. Wir können übermorgen dort sein!«

Daß wir auf Regierungskosten in teresina landeten, hat wohl zwei Gründe. Erinnerungen an die Zukunft und zurück zu den sternen haben in Südamerika (und dort besonders in Brasilien) hohe Auflagen und öffnen dem Autor alle Türen. Und: der Gouverneur von piaui möchte den Raum der sete cidades zum Nationalpark machen und spannt darum in seine Pläne gern jede Publicity ein.

piripiri erreicht man von teresina aus auf einer gut ausgebauten, 160 km langen Straße. Die Landschaft ist flach und intensiv grün, die Straßenränder säumen Buschwerk, das von dichtem Dschungel verdrängt wird. Wildschweine, wilde Kühe und wilde Pferde sorgen für einigermaßen gefährlichen Passantenverkehr. Obwohl beinahe unter dem Äquator, ist das Klima erträglich: von der nur 300 km entfernten Meeresküste weht ständig eine ganz leichte Brise. - Von piripiri fährt man zu den sete cidades über einen für geländegängige Fahrzeuge benutzbaren 16 km langen Feldweg. Plötzlich und unvermutet steht man vor der ersten Ruine (Abb. 43). Unsinn, man kann hier nicht von Ruinen sprechen! Hier gibt es keine unordentlichen Reste von ehemals aufgeschichteten Steinen. Hier gibt es keine Monolithen mit scharfen Kanten und künstlich eingemeißelten Rillen wie auf der bolivianischen Hochebene in tiahuanaco. Hier kann man auch nach intensivster Suche unter Hinzunahme angestrengtester Phantasie weder Stufen noch Treppen oder Gassen, an denen Häuser gestanden haben könnten, ausmachen, sete cidades, das ist ein einziges ungeheures Chaos wie das biblische gomorrha, das mit Feuer und Schwefel vom Himmel vernichtet wurde. Gestein ist zerstört, ausgetrocknet, geschmolzen von apokalyptischen Gewalten. Und es muß lange, sehr lange her sein, seit hier die Feuersbrünste tobten.

43 Plan der sete cidades (Sieben Städte), der eine Ordnung im Chaos erkennen läßt -Gestein, von apokalyptischen Gewalten zerstört!

Hier hat nie ein Mensch gegraben. Hier hat die Wissenschaft nie versucht, Schicht um Schicht von der steinernen Urvergangenheit abzutragen.

Hier schießen bizarre Steinformen, gegliederte Ungetüme wie Fragezeichen aus dem Boden. Ein wissenschaftlich geschulter Begleiter, den mir der Gouverneur von piaui attachierte, sagte mir, daß man vermute, die sieben städte hätten ihre eigenartigen Formen aus Gletscherablagerungen gebildet. Möglich, doch kann ich es, mindestens für mich, nicht akzeptieren. Gletscher lassen überall in der Welt — und das kenne ich gerade sehr gut aus meiner schweizer Heimat - auf ihrem Rückzug breite Bänder von Erosionsgestein als unübersehbare Spuren zurück. Hier gibt es keine solchen Spuren, sete cidades umgrenzt ziemlich exakt einen Kreis von 20 km Durchmesser. - Mein Begleiter bot noch eine andere Mutmaßung an: hier wäre früher ein Meeresbecken gewesen und die sieben städte seien nichts als Reste ausgewaschenen Gesteins, Wind und Temperaturwechsel hätten die eigenartigen pittoresken Überbleibsel modelliert (Abb. 44).

44 Teilaufnahmen des Ruinengebietes der sete cidades, die noch im Chaos die Zuordnungen in sieben Bezirke erkennen lassen. Wissenschaftliche Grundlagenforschung hat es hier bisher nicht gegeben.

Warum nicht? Ich habe die eigenartigsten Bauwerke, die durch den Einfallsreichtum und die unerschöpflichen Möglichkeiten der Natur entstanden sind, gesehen. Grotesk und wunderbar genug das death Valley in den usa — die Salzkathedrale in Columbien - der Granitkessel in Bolivien — die bizarren, fast architektonisch gegliederten Geländerisse am toten meer. Es gibt schon sehr seltsame Spielereien des großen Baumeisters Natur. In sete cidades scheint mir alles auf so unerklärliche Weise anders zu sein.

Auf der »amtlichen« Karte, die von sete cidades angefertigt wurde, sind deutlich die Zuordnungen der »Ruinen« in sieben Bezirke zu erkennen. Zufall? Laune der Natur? Ich vermag soviel gezielte Ordnung nicht für ein Ergebnis spielerischer natürlicher Kräfte zu halten. Mir scheint vielmehr, daß hinter dieser ordnung ein genauer Plan gestanden hat. Besonders stutzig aber machte mich, die zwischen den Gesteinsschichten hervortretende, herausgequetschte bröselige Metallmasse, deren Rostspuren in langen Tränen an den Wänden herabtropfen. In allem Chaos kehrt diese Besonderheit zu oft und zu regelmäßig wieder. - Möglich, daß sich für die Schildkröte (Abb. 45), die besondere Attraktion von sete cidades, eine geologische Erklärung finden läßt. Mangels Forschung weiß man Genaues nicht.

45 Die »Schildkröte« ist die besondere Attraktion in der Wüstenei von sete cidades. Mangels Forschung weiß man über sie nichts Genaues.