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Seine völlige Geldlosigkeit dauerte damals gegen zwei Monate. Da, eines Tages, begann er plötzlich ganz anders in seinem Saal umherzugehen: laut, selbstbewußt, beinahe stolz. Er hatte aus Moskau 1000 Rubel erhalten. »Doch schon am nächsten Morgen,« erzählt Dr. Riesenkampf, »... er wieder in seiner leisen, schüchternen Art in mein Schlafzimmer und bat mich, ihm 5 Rubel zu leihen.« Der größte Teil der erhaltenen 1000 Rubel war zur Tilgung der Schulden draufgegangen, das übrige hatte er zum Teil verspielt, und die letzten 50 Rubel waren ihm dann noch gestohlen worden: von einem unbekannten Spielpartner, den er – als bemerkenswertes Subjekt für seine Beobachtungen – am Abend zu sich eingeladen und einen Augenblick im Zimmer allein gelassen hatte.

Ein besonderes Interesse hatte er, aus dem gleichen Grunde, namentlich für einen der Patienten des Doktors: für den Bruder des Klavierlehrers Keller. Es war das ein kleiner, unruhiger, schmeichlerischer, ziemlich heruntergekommener Deutscher, von Beruf Agent, doch in Wirklichkeit eigentlich nur ein Schmarotzer. Nachdem dieser Keller nun die arglose Gastfreundschaft Dostojewskis sozusagen entdeckt hatte, wurde er für eine Zeitlang sein täglicher Gast: er kam zum Tee, blieb zum Mittagessen, blieb zum Abend, und Dostojewski hörte geduldig seine Erzählungen von dem Petersburger Großstadtproletariat an. Oft schrieb er sich das Gehörte auf, und wie Dr. Riesenkampf später feststellen konnte, spiegelte sich manches aus diesem ursprünglich von Keller stammenden Material in den Romanen »Arme Leute«, »... Doppelgänger«, »Njetotschka Neswanowa« u.+a. wieder.

Im Dezember 1843 war Dostojewski abermals ganz mittellos. Am 1. Februar 1844 erhielt er aus Moskau wieder 1000 Rubel, doch schon am Abend desselben Tages besaß er nur noch 100 Rubel und dieses Hundert wanderte noch vor der Nacht in die Tasche eines gewandten Spielers, der ihm ein angeblich »ganz unschuldiges, ehrliches Spiel« (es handelte sich um Domino) hatte beibringen wollen. Am folgenden Tage begann dann von neuem das Geldborgen, oft gegen die ungeheuerlichsten Prozente. Im März dieses Jahres mußte Riesenkampf Petersburg verlassen – ohne daß es ihm gelungen war, Dostojewski deutsche Genauigkeit und etwas mehr Wirklichkeitssinn anzugewöhnen.

Vom Jahre 1844 an haben sich wieder Briefe Dostojewskis an den Bruder erhalten. Sie bestätigen nur, was Dr. Riesenkampf berichtet. In einem dieser Briefe ist u.+a. die Rede davon, daß er in den Weihnachtsfeiertagen »Eugénie Grandet« übersetzt habe, und daß die Übersetzung im Selbstverlage erscheinen solle: sein Freund Potton werde 700 Rubel geben, dessen Mutter werde dem Sohn 2000 Rubel (zu 40% !!) leihen und er selbst wolle sich aufs äußerste einschränken, um 500 Rubel beisteuern zu können. Seine Phantasie verheißt ihm einen Gewinn von 4000 Rubel. Doch zum Schluß des Briefes gesteht er, daß er kein Geld – zum Abschreiben der »Eugénie Grandet« habe; und er bittet den Bruder »um der himmlischen Engel willen«, ihm 35 Rubel zu senden. »... schwöre dir beim Olymp,« so schließt er, »... bei meinem Juden Jankel (im soeben beendeten Drama)Welches Drama er hiermit meint, läßt sich nicht feststellen, ebensowenig wo dieses Manuskript, wie das der unbeendeten Dramen »Maria Stuart« und »Boris Godunoff«, geblieben ist. O. M. und wobei noch? – es sei denn bei dem Schnurrbart, der mir irgend einmal, wie ich hoffe, doch wachsen wird, daß die Hälfte von dem, was ich für die ›Eugénie‹ bekomme, Dein sein soll«. Doch schon am 14. Februar 1844 schreibt er, daß aus der Sache wohl nichts werde. »... leid mir das tut, mein Freund, und wie leid du mir tust. Verzeih, Liebster, auch mir Armen...«

Dann folgen Briefe, in denen von der Übersetzung des »... Carlos« die Rede ist, die der Bruder begonnen hatte, sowie davon, daß er selbst George Sand übersetze und 25 Rubel für den Druckbogen erhalte. Eine Nachschrift am Rande sagt: »... Dienst ist mir zuwider. Er widersteht mir schon wie Kartoffeln... Im September komme ich zu euch, wenn ich den Abschied genommen habe.« Am 30. September 1844 schreibt er, daß er sein Abschiedsgesuch eingereicht habe, »... nehme den Abschied, weil ich nicht länger dienen kann... Warum soll ich meine besten Jahre verlieren? Die Hauptsache aber ist, daß man mich in die Provinz abkommandieren wollte; sage doch bitte selbst, was könnte ich ohne Petersburg anfangen? Wozu würde ich noch taugen? Du wirst mich sicher begreifen. Ich werde immer meinen Lebensunterhalt verdienen können,« fügt er hinzu, wie um etwaigen Einwendungen zuvorzukommen. »... werde furchtbar viel arbeiten. Ich bin ja jetzt frei.« Doch unmittelbar darauf folgt eine Aufzählung seiner Schulden und die Klage, daß man ihm aus Moskau immer nur ein Drittel von der Summe sende, um die er bäte. »Noch weiß niemand,« schreibt er, »... ich den Abschied nehme... Ich habe nicht einmal Geld, um mir Zivilkleider zu kaufen. Ich quittiere den Dienst am 14. Oktober... Wenn ich nicht sofort Geld aus Moskau bekomme, bin ich verloren. Man wird mich in allem Ernst ins Gefängnis sperren (das ist klar).« Und er ist bereit, auf seinen Anteil am väterlichen Gut zu verzichten, wenn man ihm sofort 500 Rubel als runde Summe auszahlt und die anderen 500 zu je 100 Rubel im Monat. »Bitte, sage du für mich gut, Liebster, ... daß ich dann keine Forderungen mehr erheben werde.« Der Brief hat an den Seiten wieder Nachschriften, die sich auf seine Geldnot beziehen, und zum Schluß heißt es: »ChlestakoffIn Gogols Komödie »... Revisor« ist Chlestakoff – ein Petersburger Dandy, der in einer Provinzstadt aus Geldmangel seine Reise aufs Land nicht fortsetzen kann – schließlich darauf gefaßt, daß man ihn wegen seiner Schulden ins Gefängnis bringen werde. Dem entgeht er auch nur, weil man plötzlich in ihm den erwarteten Revisor vermutet. E. K. R. war schließlich bereit ins Gefängnis zu gehen, jedoch nur wenn es »... vornehme Weise geschah.« Wenn ich aber nicht einmal Hosen haben werde, wird es dann auch noch »... vornehme Weise« geschehen können?« Noch aus seiner beigefügten Anschrift ersehen wir, daß er seine kostspielige große Wohnung noch nicht aufgegeben hat. Eine Nachschrift am Rande lautet: »... bin mit meinem Roman außerordentlich zufrieden. Ich bin außer mir vor Freude. Für den Roman werde ich sicher Geld bekommen; was aber weiter kommt...«