Zwei Monate später (am 1. April 1846) schreibt er, daß die schlechte Kritik, die sein »Doppelgänger« nunmehr erfahre, ihn inzwischen ganz mutlos gemacht und so furchtbar gequält habe, daß er erkrankt sei. »... habe ein entsetzliches Laster: ich bin unerlaubt ehrgeizig und eitel.« ... Doch trotz der zeitweiligen »Hölle«, die er wegen seines »Doppelgängers« durchgemacht, ist das Selbstvertrauen des jungen Schriftstellers nach dem glänzenden Erfolge der »Armen Leute« immer noch sehr groß – zumal es von jenen gestützt wird, die er in seinen Briefen an den Bruder »... Unseren« nennt– und erreicht bisweilen allerdings einen gefährlichen Grad. Das gab natürlich seinen verschiedenen Neidern – wie hätten die ausbleiben sollen? – Anlaß, sich alle möglichen Übertreibungen auszudenken und als Ansprüche Dostojewskis in Umlauf zu bringen. Zu diesen Geschichten gehört auch die angebliche Forderung einer besonderen Schmuckleiste, ohne die er den Roman »Arme Leute« in Njekrassoffs »Petersburger Almanach« (er erschien am 15. Januar 1846) nicht habe veröffentlichen lassen wollen...
Am 1. Februar desselben Jahres erschien dann »... Doppelgänger« in den »Vaterländischen Annalen«, die der Verleger Krajewski herausgab. Die anderen Arbeiten, von denen er in seinen Briefen während dieser Zeit spricht, der nicht beendete »Rasierte Backenbart« und »... Geschichte von den abgeschafften Kanzleien« sind nicht erhalten geblieben, – wenn er die letztere nicht etwa in seinem »Herrn Prochartschin« verarbeitet hat?
In demselben Brief vom 1. April 1846 berichtet Dostojewski dem Bruder, daß viele neue Schriftsteller aufgetaucht seien, und nennt als die bedeutendsten, in denen er seine Nebenbuhler sieht, Alexander HerzenAlexander Herzen (1812-1870) stand damals, in den Jahren zwischen seiner Verbannung nach Wjätka und seiner Emigration nach Europa, in seiner »russischen Periode« und veröffentlichte u. a. den Roman »... ist schuld?« E. K. R. und GontscharoffIwan Gontscharoff (1812-1890) schrieb damals seinen ersten großen Roman »Eine gewöhnliche Geschichte«. E. K. R. – »beide werden über alle Maßen gelobt« –, doch sagt er selbstbewußt, trotz aller nunmehr sehr absprechenden Kritiken über ihn: »... habe aber vorläufig den Vorrang und hoffe, ihn für immer zu behalten. Im literarischen Leben war noch nie so viel los wie jetzt. Das ist ein gutes Zeichen...«
Einen Monat später – am 16. Mai – schreibt er aber schon recht bedrückt in einem Briefe, der an viele seiner früheren melancholischen Briefe erinnert: »Mich quält Langeweile, Trauer, Niedergeschlagenheit und eine fieberhafte, krampfhafte Erwartung von etwas Besserem.«
Im Sommer reist er wieder zum Bruder. Nach seiner Rückkehr teilt er ihm (am 17. September 1846) mit, daß er für 14 Silberrubel zwei kleine möblierte Zimmer gegenüber der Kasanschen Kathedrale gemietet habe, jedoch noch nicht umgezogen sei.Von anderer Seite (N. Hoffmann, »Dostojewski«) wird hierzu bemerkt, daß der Umzug in diese billigeren Zimmer unterblieben ist. E. K. R. Auch aus anderen Bemerkungen geht hervor, daß er sich nun nach Möglichkeit einschränkt: »Krajewski gab mir 50 Rubel, ich konnte aber schon von seinem Gesicht ablesen, daß er mir nichts mehr geben wird; ich werde es ziemlich schwer haben.«
Aus den gleichzeitigen Klagen über die Zensoren, die ihm die an sich ganz unschuldige Novelle »Herr Prochartschin« so zusammengestrichen haben, daß er sich von diesem Werk lossagt, ist zu ersehen, daß die Richtung Dostojewskis bereits die Aufmerksamkeit der Zensoren auf sich gelenkt hatte. Man wird bei der Beurteilung der erwähnten Novelle die zerstörende Arbeit der Zensoren natürlich nicht vergessen dürfen... Der Schluß dieses Briefes (vom 17. September 1846) verrät wieder Unzufriedenheit: »... uns herrscht entsetzliche Langeweile. Die Arbeit geht daher schlecht vorwärts. Ich habe bei euch wie im Paradiese gelebt; wenn es mir gut geht, muß ich immer alles mit meinem verdammten Charakter verderben...«
In den folgenden Briefen spricht er wieder von Plänen und Berechnungen, wie er seine Arbeiten im Selbstverlage herausgeben könnte, von den Unannehmlichkeiten mit den Verlegern Njekrassoff und Krajewski... Er denkt an eine Buchausgabe der »Armen Leute« und des »Doppelgängers«, die ihm die Mittel zum Leben verschaffen soll... Am 26. November schreibt er jedoch, daß aus allen seinen Absichten nichts geworden sei und er auch die Arbeit an dem »Rasierten Backenbart« aufgegeben habe, da er eingesehen, daß »alles nur eine Wiederholung des Alten und längst von mir Ausgesprochenen ist.«
Inzwischen scheint er in einem nicht mehr vorhandenen Briefe die Absicht geäußert zu haben, ins Ausland zu reisen – am 7. Oktober schreibt er gleichsam zu seiner Rechtfertigung: »... reise nicht zum Vergnügen, sondern zur Kur. Petersburg ist eine Hölle für mich«, – dasselbe Petersburg, ohne das er vor noch nicht langer Zeit glaubte, nicht leben zu können und »verloren« zu sein!
In einem Brief vom 26. November 1846 teilt er seinen Bruch mit Njekrassoff mit und daß sich Krajewski darüber so sehr gefreut hat, »... er mir Geld gab und außerdem alle meine Schulden zum 15. Dezember zu bezahlen versprach. Dafür muß ich bis zum Frühjahr für ihn arbeiten.«
Trotz aller Sorgen finden wir Dostojewski nicht mutlos, offenbar weil eine neue Arbeit (»... junge Weib«) ihm »wieder so leicht und frisch« gelingt, wie ehedem die »Armen Leute«: »mein Herz bebt jetzt wie noch nie vor all den neuen Gestalten... Ich mache jetzt nicht nur eine moralische, sondern auch eine physische Wandlung durch... ich verdanke dies in hohem Grade meinen guten Freunden... Ich machte ihnen schließlich den Vorschlag, zusammen zu wohnen. Wir mieteten uns eine große Wohnung und teilen alle Auslagen, sodaß höchstens 1200 Rubel für das Jahr auf den Kopf kommen. So groß sind die Segnungen des Genossenschaftsprinzips! Ich habe ein eigenes Zimmer und arbeite den ganzen Tag.«
Zu den hier erwähnten guten Freunden – den Brüdern Beketoff, Saljubezki und anderen –, die einen so günstigen Einfluß auf ihn gehabt hätten, gehörte auch S. D. Janowski, an den Dostojewski 1872 in einem Brief, in dem er auf diese Jugendjahre zu sprechen kommt, u. a. schreibt: »... liebten mich und gaben sich mit mir ab – der ich damals seelisch krank war (dessen bin ich mir ja jetzt bewußt), krank, bis zu meiner Reise nach Sibirien, wo ich dann gesund wurde.«
Von dieser nervösen Krankhaftigkeit spricht Dostojewski auch 1861 in seinem Roman »Erniedrigte und Beleidigte« offenbar aus eigener Erinnerung, wo er den jungen Schriftsteller Iwan Petrowitsch von sich sagen läßt, daß er jedesmal mit Beginn der Dämmerung einer Stimmung verfalle, die er... sein mystisches Grauen nenne. (Im I. Teil, Kapitel 10 folgt dann eine ausführliche psychiatrische Charakterisierung dieses Zustandes.)
Die Bemerkung »so groß sind die Segnungen des Genossenschaftsprinzips« verrät schon seine wohl auf den Verkehr mit Bjelinski zurückzuführende Beschäftigung mit dem Sozialismus und seine damalige Begeisterung für ihn.
In seinen weiteren Briefen an den Bruder – bis zu seiner »Reise nach Sibirien«, wie er sich ausdrückt – schreibt er am 17. Dezember 1846, daß er mit Arbeit überhäuft sei: »... 5. Januar habe ich Krajewski versprochen, ihm den ersten Teil des Romans ›Njetotschka Neswanowa‹ zuzustellen«. Er schreibt Tag und Nacht, gönnt sich nur hin und wieder Erholung in der Italienischen Oper, wo er einen Platz auf der Galerie hat (wohl ein Hinweis auf seine Sparsamkeit). Seine Gesundheit ist gut. »Es scheint mir immer, daß ich einen Kampf gegen unsere gesamte Literatur aufgenommen habe... mit diesem Roman stelle ich auch für dieses Jahr meinen Vorrang zum Ärger meiner Feinde fest.«