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Der Gedanke an eine Reise ins Ausland ist aufgegeben; statt dessen will er im Sommer wieder zum Bruder. Er lebt dann zusammen mit Beketoffs auf einer der Newa-Inseln – »nicht langweilig, gut und sparsam«. Er besucht Bjelinski, »... immer kränkelt«.

»... bezahle meine Schulden durch Krajewski,« schreibt er weiter. »... Wann werde ich jemals aus den Schulden herauskommen: es ist ein Elend, als Tagelöhner zu arbeiten! Damit verdirbt man alles – Begabung, Jugend, Hoffnung, die Arbeit wird leblos und man selbst wird schließlich zum Schmierer und nicht zum Schriftsteller.«

Diese materielle Seite seines damaligen Zustandes hat Dostojewski später gleichfalls in seinen »Erniedrigten und Beleidigten« geschildert: wenn er auch den Fürsten in der Schilderung der Lage des armen Iwan Petrowitsch das Selbsterlebte ein wenig übertreiben läßt, so stimmt doch die Hoffnung des letzteren, für die beendete Novelle vom Verleger, trotz seiner Verschuldung bei ihm, »wenigstens fünfzig Rubel« zu bekommen, buchstäblich: auf 50 Rubel hofft F. M. auch in seinen Briefen. Auf die Bemerkung der Heldin des Romans, daß bei anderen Schriftstellern alles so sorgsam durchgearbeitet sei, erwidert Iwan Petrowitsch, daß jene eben materiell sichergestellt seien und nicht zu einem bestimmten Termin fertig werden müßten, er aber müsse wie ein Postgaul arbeiten. (III. Teil, 10. Kap. und im Schlußkapitel »Letzte Erinnerungen«.)

Im nächstfolgenden Briefe, zu Anfang des Jahres 1847, bedauert er den Bruder, daß er, zwar in einer geliebten Familie, doch »ohne Menschen in der Umgebung« lebe. »Verliere aber nicht den Mut, Bruder!« ermuntert er ihn. »Es werden noch bessere Tage kommen... Natürlich, schrecklich ist die Dissonanz, schrecklich die Ungleichheit des Gewichts zwischen uns und der Gesellschaft.. Mein Gott! Es gibt so viele widerliche, gemeine und beschränkte graubärtige Weltweise, Kenner und Pharisäer des Lebens, die auf ihre Erfahrenheit, das heißt auf ihre Unpersönlichkeit (denn sie sind alle nach einer Schablone gearbeitet) stolz sind, Nichtswürdig, die ewig Zufriedenheit mit dem Schicksal, einen Glauben an irgend etwas, Beschränkung im Leben und Zufriedenheit mit dem eigenen Platz predigen– eine Zufriedenheit, die der klösterlichen Selbstkasteiung und Beschränkung gleichkommt, und die mit unerschöpflicher, kleinlichster Gehässigkeit jede starke, glühende Seele verurteilen, die ihr triviales Tagesprogramm und ihren Lebenskalender nicht erträgt. Schurken sind sie mit ihrem vaudevillehaften irdischen Glück! Schurken sind sie!...«

Diese Zeilen enthalten zweifellos jenen Protest in verneinendem Sinne, den Bjelinski aus dem Roman »Arme Leute« vor allem herauslesen wollte. Hier wird die klösterliche Selbstbeschränkung bereits verurteilt, während Dostojewski dort noch zweifellos einen positiven Zug darin sah, daß der arme Beamte Makar Djewuschkin sich schämte, Tabak zu rauchen, während Warenjka nicht einmal das Notwendigste besaß. Nach den angeführten Zeilen dieses Briefes ist anzunehmen, daß Bjelinski einen entscheidenden Einfluß auf Dostojewski erlangt hatte.

Es folgt wieder ein Hinweis auf seine Geldlosigkeit. »Wenn es nicht gute Menschen gäbe, wäre ich verloren. Die Zersetzung meines Ruhmes in den Zeitschriften gereicht mir mehr zum Vorteil als zum Nachteil. Um so schneller werden meine Verehrer, die, wie ich glaube, sehr zahlreich sind, nach dem Neuen greifen und mich verteidigen. Ich lebe in großer Armut: habe, seit ich Euch verließ, 250 Rubel verbraucht und 300 Rubel Schulden« (welch ein Unterschied zu dem, was er früher ausgab). »Am schlimmsten hat mich Njekrassoff hineingelegt, dem ich seine 150 Rubel zurückgab. Zum Frühjahr hin nehme ich einen großen Vorschuß von Krajewski und schicke Dir dann bestimmt 400 Rubel.« Ferner spricht er von einer Wasserkur im Sommer bei Prießnitz, mit dem Vorbehalt, das sei erst nur so »in der Phantasie«. Mit Reue denkt er daran zurück, wie schwerfällig und eckig er sich beim Bruder in Reval benommen habe, »... war damals krank... ich habe ja wirklich einen so schlechten, abstoßenden Charakter. Ich habe Dich aber immer über mich gestellt... Ich kann mich nur dann als ein Mensch von Herz und Gemüt zeigen, wenn die äußeren Umstände mich gewaltsam aus dem ewigen Alltag herausreißen... Der Roman ›Njetotschka Neswanowa‹ wird wie der ›Goljädkin‹ meine Beichte sein, wenn auch anders im Ton. Wer »Goljädkin« bekomme ich oft solche Äußerungen zu hören, daß mir ganz bange wird ...Manche sagen, dieses Werk sei ein wirkliches, doch unverstandenes Wunder... Nun fange ich schon wieder an, mich zu loben. Wie angenehm ist es aber, Bruder, richtig verstanden zu werden!... Wünsche mir Erfolg. Ich arbeite jetzt an dem ›Jungen Weibe‹.«

In seiner Beurteilung dieses Werkes sehen wir wieder eine Überschätzung, wie seinerzeit in der seines »Romans in neun Briefen«. »Eine Quelle von Begeisterung, die meiner Seele entspringt, leitet meine Feder. Es ist ganz anders als beim ›Prochartschin‹, an dem ich den ganzen Sommer gelitten habe...«

Nach einem solchen Entzücken mußte das vollkommen absprechende Urteil Bjelinskis begreiflicherweise einen sehr schweren Eindruck auf ihn machen. Doch aus seinen Briefen erfahren wir nichts davon.

In einem Briefe ohne Datum – vermutlich im Frühjahr 1847 geschrieben – schreibt er an den Rand: »Es ist nun schon das dritte Jahr meiner literarischen Tätigkeit, und ich bin wie im Rausche. Ich sehe das Leben um mich herum gar nicht, habe keine Zeit, zur Besinnung zu kommen; ich habe auch keine Zeit, um etwas zu lernen... Sie haben mir einen zweifelhaften Ruhm geschaffen, und ich weiß nicht, wie lange noch diese Hölle, diese Armut und die vielen eiligen Arbeiten dauern werden; o könnte ich einmal Ruhe haben!!«

Eine Schuld, die er Maikoffs nicht wiedergeben kann, quält ihn, »obgleich sie mich nicht daran erinnern«. Im Herbst hofft er nach dem beendeten Roman »Njetotschka Neswanowa« von Krajewski 1000 Rubel als unbefristeten Vorschuß zu erhalten. Njekrassoff und die anderen vom »Zeitgenossen« wollten ihn schon endgültig begraben – um so mehr werde sie dieser Roman verblüffen. In diesem Briefe denkt er auch wieder an Übersetzungen, doch – »in zehn Jahren wird man nicht mehr an sie zu denken brauchen«.

In dem Briefe erwähnt er zum erstenmal die Familie Maikoff. Nach den Aufzeichnungen S. N. Janowskis versammelten sich im Hause des bekannten Malers Nikolai Apollonowitsch Maikoff an jedem Sonntagabend »jene jungen Leute, die von Gott mit einer gewissen Dosis Begabung ausgestattet waren, deren Herz von Geburt an in Liebe zum Nächsten, zum Guten und zur Wahrheit brannte und deren Verstand in allem und überall Licht und nur Licht suchte. Neben dem Hausherrn und seiner Gattin Jewgenia Petrowna nahm den ersten Platz in diesem Kreise der an Jahren bereits etwas ältere I. A. Gontscharoff ein. Außer ihm erschienen gewöhnlich S. S. Dudyschkin (der Kritiker der »Vaterländischen Annalen« nach Bjelinskis Tode) und Walerian Maikoff,Der jung, im Jahre 1847, gestorbene Ästhetiker, Sohn des Malers und Bruder des Lyrikers. E. K. R. die Brüder Drushinin, der Dichter M. A. Jasykoff u. a.«

In diesem Kreise geschah es nun nicht selten, daß Fjodor Michailowitsch »... der ihm eigenen bis ins Kleinste eindringenden Analyse die Charaktere der Werke Gogols und Turgenjeffs auseinandersetzte und dann auch seinen ›Herrn Prochartschin‹ erklärte, der damals den meisten Lesern unverständlich blieb, bis schließlich alle Zuhörer nicht nur die an und für sich vollendeten Charaktere begriffen, sondern auch die Beziehung jeder kleinsten Einzelheit zu diesem oder jenem Charakter erkennen lernten«.

Mit dem Sohn des Hausherrn, dem bekannten Dichter A. Maikoff,Klassizistischer Lyriker, dessen erste Gedichtsammlung 1841 erschienen war. E. K. R.] hat Dostojewski in späteren Jahren einen umfangreichen Briefwechsel geführt.

Doch außer diesen Sonntagabenden bei Maikoffs gab es in jener Zeit noch andere Kreise, die sich gleichfalls an bestimmten Tagen versammelten, und die von Fjodor Michailowitsch mit nicht minderem Eifer besucht wurden.