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Ich erwähne das alles, weil ich es für notwendig halte, den Standpunkt Dostojewskis sowie vieler anderer unter den »Petraschewzen« von dem Standpunkt desjenigen Mannes abzusondern, der dem ganzen Prozeß den Namen gegeben hat: Petraschewskis selbst. Dostojewski hatte alle Ursache zu sagen, der Inhalt des in Leipzig erschienenen kleinen Buches »Über die Propagandagesellschaft« sei zwar »richtig, aber nicht vollständig. Ich sehe da nicht meine Rolle...« »Viele Umstände,« fügt er hinzu, »sind der Darstellung vollständig entglitten; die ganze Verschwörung ist in dieser Darstellung verschwunden.«

In der Tat, wenn es in dem Bericht der Geheimpolizei heißt, daß es sich »hierbei weniger um eine kleine, abgesonderte Verschwörung handle, als um den allumfassenden Plan einer allgemeinen Bewegung des Umsturzes und der Zerstörung«, so geht doch aus der Sache selbst hervor, daß eine Verschwörung eigentlich gar nicht vorhanden war, und zwar »infolge der Verschiedenheit der Anschauungen der Beteiligten«. Petraschewski leitete sie gewissermaßen an. Gleichwohl war er vielen von ihnen recht unsympathisch. In der Erinnerung Dostojewskis hat sich aber augenscheinlich die Empfindung erhalten, daß in der Absicht eine Verschwörung bereits bestand – will sagen bevorstand, d. h. in der Zukunft sicher war. Sie ging allem Anscheine nach aus der allgemeinen Unzufriedenheit hervor, und diese Unzufriedenheit war schließlich das Hauptbindemittel zwischen den einzelnen Vertretern der »Propagandagesellschaft«, wie die ganze Bewegung in dem Leipziger Büchlein sehr richtig benannt worden ist. Man beabsichtigte, Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung der Dinge überall zu propagandieren, zunächst in den Lehranstalten, sodann Beziehungen anzuknüpfen überall dort, wo schon Unzufriedenheit herrschte – also Beziehungen zu den Raskolniki und zu den leibeigenen Bauern.

Und nun berichtet uns Ippolit Desbut, daß den Mitgliedern der verschiedenen Kreise die leidenschaftliche Natur Dostojewskis als für die Propaganda besonders geeignet erschien, da er auf die Zuhörer einen hinreißenden Eindruck machte.

»... sehe Fjodor Michailowitsch noch vor mir,« berichtet Desbut, »... glaube noch jetzt zu hören, wie er bei Petraschewski von einem Feldwebel erzählt, der sich an seinem Kommandeur für seine und seiner Kameraden barbarische Behandlung gerächt hatte und dafür Spießruten laufen mußte; oder wenn er schilderte, wie Gutsbesitzer mit ihren Leibeigenen umgehen... Nicht minder lebendig habe ich in der Erinnerung, wie er seine Geschichte von der »Njetotschka Neswanowa« erzählte – viel ausführlicher, als sie im Druck erschienen ist; und ich weiß noch, mit wie lebendig empfundener Menschlichkeit er sich auch damals zu jenem öffentlichen ›Prozentsatz‹ verhielt, als dessen Verkörperung später seine Ssonetschka Marmeladowa erschien« (natürlich nicht ohne Einfluß der Lehre Fouriers). »Begreiflicherweise wurde Dostojewski deshalb auch von den ›Fourieristen‹ besonders geschätzt, und gerne hätten sie ihn unter den Ihrigen gesehen. Die Möglichkeit, ihn zu sich hinüberzuziehen, war nicht ausgeschlossen bei seiner Empfänglichkeit für Eindrücke und seiner noch unfesten Stellungnahme.«

Nach der Aussage Speschnjoffs hat Petraschewski auf Fjodor Michailowitsch dadurch einen abstoßenden Eindruck gemacht, daß er gottlos war und sich über den Glauben lustig machte. Er sei auch nicht oft zu Petraschewski gekommen.

Wie wir schon sahen, hätte Petraschewski es nicht verschmäht, als Mittel zum Zweck auch »merkantile und feudale Instinkte« auszunutzen, und einzelne der Propagandisten waren bereit, zwecks Erhöhung der Unzufriedenheit den Pauperismus zu verbreiten (wenn man dem Bericht der Geheimpolizei trauen darf) – oder sie haben in den Verhören über die eigenen Gefährten falsche, belastende Aussagen gemacht: vermutlich um das Ganze als weit gefährlicher darzustellen, als es war, und um die Regierung zu erschrecken oder einzuschüchtern. Diesen Elementen aber standen andere gegenüber, die bezüglich der Mittel und Wege sittlich wählerischer waren, und zu diesen gehörte zweifellos Dostojewski.

Ganz abgesehen von seiner persönlichen Antipathie gegen Petraschewski, hat er schon damals darauf hingewiesen, daß alle diese sozialistischen Theorien für Rußland gar keinen Wert hätten, daß bei uns in der Dorfgemeinde (Mir), der Einrichtung der Genossenschaft (Artel) und der gegenseitigen Bürgschaft schon längst Grundlagen geschaffen seien, die sicherer und natürlicher waren als alle Träume Saint-Simons und seiner Schule. Später hat er seine eigene Richtung einen »Christlichen Sozialismus« genannt, – aber schon damals haben sich an ihm, wie uns Miljukoff berichtet, die ersten Anzeichen von Slawophilentum bemerkbar gemacht. Nur vollzog sich die weitere Entwicklung dieser ersten Ansätze sowie ihr schließlicher Sieg über die aufgepfropften Theorien, wie Dostojewski 1873 selbst sagt, »nicht so schnell, sondern allmählich und erst nach längerer Zeit.«Vgl. »Eine der zeitgemäßen Fälschungen« in dem vorliegenden Bande. E. K. R.

Doch diese ganze Besonderheit der Richtung Dostojewskis ist in den Untersuchungsakten mit keinem Worte erwähnt. Nur von A. Palm heißt es, daß aus seinen Schriften »eine große Liebe zu Rußland« zu ersehen sei.

Von den Petraschewzen selbst verhielten sich einzelne sogar feindlich zu den Slawophilen. TollFelix Toll, Petraschewze. E. K. R. meinte: »... ihre Gesellschaft baut sich auf den dümmsten Grundsätzen auf, denn sie verneint die Verdienste Peters des Großen... Die Regierung verfolgt sie, weil sie daran denken, einen Staat von der Art, wie er im mittelalterlichen Nowgorod bestand, einzuführen, mit einem Wjetsche« (beratende Volksversammlung) »... mit Statthaltern«. Und A. PleschtschejeffAlexander Pleschtschejeff, Petraschewze. E. K. R. schreibt aus Moskau von den Führern der Slawophilen: Chomjäkoff sei »... Mensch ohne ernste Überzeugungen«, und Akssakoff »... Fanatiker, der einen Bart bis zu den Knieen trägt, wie in der Sage Zar Berendei, dazu altrussischen Kittel, die Hosen in die Stulpstiefel gesteckt, fast täglich in die Kirche geht und alles für Sünde hält, auch das Theater, auch die Literatur (!!).« Ja, es ist möglich, daß Pleschtschejeff gerade deshalb, weil er um das Vorhandensein gewisser slawophiler Keime in Dostojewski wußte, sich beeilte, ihm aus Moskau eine Abschrift des berühmten Briefes von Bjelinski an Gogol zu senden. In diesem Brief Bjelinskis an den religiös gewordenen Gogol sah man damals geradezu ein Manifest des siegenden Westlertums.

Dostojewski, der mit sehr vielem in Gogols Briefen ebensowenig zufrieden war, wie die bekannten Slawophilen, und der ihre Unzufriedenheit mit den Anschauungen Gogols über die Leibeigenschaft vollkommen teilte, las diesen Brief Bjelinskis bei Petraschewski mit ganzer Sympathie vor: und eben dies wurde nun zu einem der Hauptpunkte der Anklage gegen ihn (in den Akten wird dieser Brief bezeichnet, als »... Schreiben voll von frechen Ausdrücken gegen die rechtgläubige Kirche und die oberste Macht«).

An dem betreffenden Abende war auch I. L. JastrshemskiIwan Jastrshemski, Petraschewze. E. K. R. anwesend und hörte Dostojewski zum ersten Male vorlesen. Er erinnert sich lebhaft des starken Eindrucks, den die angenehme Stimme Dostojewskis auf ihn machte. »Er war ein Meister im Vorlesen« bezeugt er. »Doch diese Vorlesung war der Grund, weshalb Dostojewski verurteilt wurde, und auch ich, weil ich zu den in dem Briefe ausgesprochenen Gedanken Beifall und Zustimmung geäußert und sogar mit dem Kopfe genickt hatte.«

Dostojewski hat selbst noch auf eine andere gegen ihn erhobene Anklage hingewiesen, auf die aber in dem Material, das von der Untersuchungskommission veröffentlicht worden ist, keine Hinweise zu finden sind.