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»... bin unter anderem auch dafür verurteilt worden, daß ich gesagt hatte, Rußland diene der Politik Metternichs.« Dieser Ausspruch wird zweifellos gleichfalls mit seinen frühen slawophilen Neigungen in Verbindung gestanden haben.

Wenn aus den Akten überhaupt nicht zu ersehen ist, daß die in ihnen erwähnte Verschiedenheit in den Anschauungen der Petraschewzen zum Teil auf den Unterschied zwischen zwei Typen hinauslief – auf die Westler einerseits und die Selbständigen oder Slawophilen andererseits –, auf Typen, die sich damals schon in ihren Anfängen zu unterscheiden begannen, so ist man sich über ihre religiösen Anschauungen noch weniger klar gewesen: in der Beziehung sind alle übereinstimmend als nicht religiös oder sogar als antireligiös dargestellt. In Wirklichkeit war nur Petraschewski ein Atheist. Wenn man den Akten folgen will, so hätten Toll, Achscharumoff u. a. sich »feuerbachisch« zur Religion verhalten. Dagegen wissen wir, daß z. B. Duroff und Dostojewski unbedingt religiös waren, ersterer nach Dostojewskis Worten sogar »... zur Lächerlichkeit«. Derselbe Duroff soll, nach Dostojewski, »klug, doch nach einer Seite hin auch gutmütig« gewesen sein, nach Jastrshemski: »... großer Zartheit, sowohl seelisch wie physisch, dabei in Pflege und Verzärtelung aufgewachsen«. Das alles erinnert natürlich wenig an einen Verschwörer. Dagegen bemerkt ein Bekannter Speschnjoffs,Nikolaus Speschnjoff, Petraschewze. E. K. R. daß nach dem Äußeren der echte Typ des Verschwörers in Dostojewski zu sehen gewesen sei: er war schweigsam, sprach mit Vorliebe unter vier Augen und war eher verschlossen als aufrichtig. Zudem wirkte er – nach Speschnjoff – niemals eigentlich jung, da er krank aussah (dabei war er damals erst 27 Jahre alt). Ähnlich schildert ihn auch Jastrshemski: »er war still, bescheiden, anscheinend ein sehr angenehmer und liebenswerter junger Mann. Seinem Gesicht sah man Kränklichkeit an. Er sprach wenig und immer leise.« Wir alle sahen in ihm einen weichen, nervösen Menschen, fähig der zartesten Empfindungen. In vertraulichem Gespräch konnte man in ihm stets den Verfasser der ›Njetotschka Neswanowa‹ erkennen. Doch dieser selbe stille und bescheidene Mensch war imstande, wie Desbut sagt, seinen Reden ein erschütterndes Pathos zu geben.

Seit wann waren denn nun diese »Verschwörer« bei uns aufgekommen, oder wie Dostojewski sie in seinen »Hellen Nächten« nennt, diese »Träumer«?

Wenn man den Angaben der Geheimpolizei folgen will, so hat es die »Propagandagesellschaft« bereits im Jahre 1842 gegeben. Doch die Aussagen im Prozeß bezeugen übereinstimmend, daß man erst Ende des Jahres 1845 bei Petraschewski zusammenkam. Dostojewski hat diese Abende drei Jahre lang, also seit dem Winter 1846 besucht, wenn auch nur ziemlich selten. Somit gehörte er zu den älteren Besuchern, da die meisten erst seit 1848 kamen. Im Winter 1846–47 hatte auch Leutnant N. MombelliPetiaschewzen. solche Zusammenkünfte eingeführt, KaschkinPetiaschewzen. seit Ende 1848, Duroff aber erst seit dem März 1849. Briefe von Dostojewski aus dieser wichtigsten Zeit, von 1846–49, haben sich nicht erhalten, d. h. es ist sehr möglich, daß sie mit Absicht vernichtet worden sind. Wie mir N. Mombelli mündlich mitteilte, hatte man bei Petraschewski nach und nach das Verfahren eingeführt, daß die Debatten über die Referate (u. a. über den Atheismus, über die Bauernreform und ähnliche) von einem Präsidenten geleitet wurden.

Nun sollte man meinen, daß all dies schon längst die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich hätte lenken müssen – besonders in jener Zeit. Die Verzögerung lag aber zum Teil daran, daß die Polizei ein ganzes Jahr lang vergeblich einen passenden Spion suchte, d.h. einen, der, wie der Chef der Geheimpolizei Liprandi schreibt, »nicht nur auf der Bildungsstufe der versammelten Gesellschaft stand, sondern auch über das Vorurteil erhaben war, das in dem Ruf eines Angebers so ungerechterweise... einen Schandfleck sieht. Solche Agenten findet man nicht für Geld«. Schließlich aber fand man doch so einen »über das Vorurteil Erhabenen« in dem Sohn eines Künstlers, Antonelli, der die Petersburger Universität besucht hatte und, gleich Petraschewski, eine Anstellung im Auswärtigen Amt hatte. Dieser Antonelli erschien nun vom 11. März bis 15. April jeden Freitag bei Petraschewski. Wie Dostojewski später erzählte, hätten sie alle, als Antonelli zum ersten Male auftauchte, sofort gewußt, daß es ein Spion sei, und dies auch Petraschewski gesagt; und als Antonelli sie zu sich einlud, habe niemand der Einladung Folge geleistet.

Allem Anscheine nach hat ein am 7. April zu Ehren Fouriers veranstaltetes Diner den letzten Anlaß zur Verhaftung der Petraschewzen gegeben. Dostojewski hat an diesem Diner nicht teilgenommen.

Wie er verhaftet wurde, erzählt er später – 1860, bereits nach seiner Rückkehr aus Sibirien – nicht ohne einen gewissen Humor. Er hat diesen Bericht der Tochter seines Freundes A. P. Miljukoff ins Album geschrieben:

»Am 22., oder richtiger gesagt, am 23. April (1849) kam ich gegen halb vier Uhr morgens von Grigorjeff nach Hause, legte mich zu Bett und schlief sofort ein. Nicht später als nach ungefähr einer Stunde merkte ich, noch im Schlaf, daß in mein Zimmer irgendwelche verdächtige und jedenfalls ungewöhnliche Besucher eingedrungen waren. Es klirrte plötzlich ein Säbel, der an irgend etwas anstieß. Sonderbar! Was hatte das zu bedeuten? Mit Anstrengung schlage ich die Augen auf und höre eine weiche, freundliche Stimme: »Stehen Sie auf!« – Ich sehe: ein Polizeioffizier? ein Pristaw – jedenfalls ein Polizeimensch mit einem hübschen Backenbart. Doch nicht er hatte gesprochen: gesprochen hatte ein Herr in hellblauer Uniform mit Oberstleutnants-Epauletten.

»... ist geschehen?« fragte ich, mich aufrichtend.

»... Befehl«... – Ich sehe: Tatsächlich »... Befehl«. In der Tür stand ein Soldat, gleichfalls in Hellblau. Sein Säbel war es, der geklirrt hatte.

»Aha! also das ist es«, dachte ich...

»Ja erlauben Sie mir...« begann ich.

»Macht nichts, macht nichts! kleiden Sie sich nur an. Wir warten so lange,« fügte der Oberstleutnant mit noch freundlicherer Stimme hinzu. – Während ich mich also ankleidete, verlangten sie von mir meine Bücher und begannen zu suchen; – sie fanden nicht viel, aber sie durchwühlten alles. Die Papiere und Briefe banden sie sorgfältig mit einem Schnürchen zusammen. Der Pristaw legte hierbei viel Umsicht an den Tag; er steckte die Nase in meinen Ofen und scharrte mit meinem Pfeifenrohr in der alten Asche herum. Der Gendarmerieunteroffizier stieg auf seinen Wunsch auf einen Stuhl und versuchte, auf den Ofen zu klettern, glitt aber vom Gesimse ab, fiel mit einem Krach auf den Stuhl und dann mit dem Stuhl auf den Fußboden. Da waren denn die scharfsinnigen Herren überzeugt, daß sich auf dem Ofen nichts befand. Aber auf dem Tisch lag ein Fünfkopekenstück, ein altes, verbogenes. Der Pristaw betrachtete es aufmerksam und gab dem Oberstleutnant mit einer Kopfbewegung einen Wink.

»Ist's am Ende eine falsche Münze?« fragte ich.

»Hm... Das muß man noch untersuchen«... brummte der Pristaw und erledigte die Frage zunächst damit, daß er auch die Münze den anderen beschlagnahmten Sachen hinzufügte.

Wir traten hinaus. Uns begleiteten die erschreckte Hausfrau und ihr Diener Iwan, der zwar auch sehr erschrocken zu sein schien, aber mit einer gewissen stumpfen Feierlichkeit, wie sie dem Ereignis angemessen war, dreinschaute; übrigens – einer nicht gerade festtäglichen Feierlichkeit. Vor dem Hause hielt eine Kutsche, in die stieg zuerst der Soldat ein, dann ich, dann der Pristaw und der Oberstleutnant. Wir fuhren zur Fontanka, zur Kettenbrücke am Sommergarten. Dort gab es ein großes Kommen und Gehen von vielen Menschen. Ich sah eine Reihe von Bekannten. Alle waren verschlafen und schweigsam. Irgend ein Herr, ein Zivilbeamter, doch von hohem Rang, besorgte den Empfang... ununterbrochen kamen hellblaue Herren mit neuen Opfern herein. – »Da hast du, mein Freund, den Georgstag!«Eine Redensart, seit im Jahr 1597 Zar Boris Godunoff den Befehl erließ, daß vom nächsten Georgian die Freizügigkeit der Bauern aufzuhören habe, wodurch der Grund zur Leibeigenschaft gelegt wurde. Diese Redensart besagt soviel wie: »Da haben wir die Bescherung.« E. K. R. sagte mir jemand ins Ohr. Der 23. April war ja richtig Georgi! Nach und nach umringten wir den hochgestellten Herrn, der eine Liste in der Hand hielt. Auf dieser Liste war vor den Namen Antonelli mit einem Bleistift geschrieben: ›Agent in der aufgedeckten Sache‹.