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Ein so gemischter Bestand der Gesellschaft gab der Polizei den Anlaß zu folgenden Erwägungen: »... gewöhnlichen Verschwörungen pflegen aus gleichartigen oder gleichgestellten Mitgliedern zu bestehen – z. B. waren an der Dezemberverschwörung 1825 ausschließlich Adlige, und zwar vornehmlich Offiziere beteiligt. Hier dagegen, bei dieser Verschwörung, gab es neben Gardeoffizieren und Beamten des Ministeriums des Auswärtigen, Seite an Seite mit ihnen, Studenten, die die Universität nicht beendet hatten, gab es kleine Künstler, Kaufleute, Kleinbürger, sogar Händler, die sonst Tabak verkauften. Augenscheinlich begann man hier an einem Netz zu spinnen, das die ganze Bevölkerung umfassen und demgemäß nicht nur an einer Stelle, sondern überall ausgelegt werden sollte.«

Die Petraschewzen selbst zogen die Parallele mit den Dezembermännern in einem anderen Sinne: »Deren Vergehen waren wichtiger«, sagten sie sich während ihrer Einzelhaft in der Festung, »da sie ins Heer eindrangen und über Kanonen und Gewehre verfügten.« So hat Dostojewski gedacht. Speschnjoff aber hatte sich gesagt: »... Dekabristen kämpften auf der Straße und auf den Plätzen, wir aber haben nur in einem Zimmer miteinander gesprochen.« Dennoch sagt Dostojewski später aus, daß eine ganze Verschwörung vorgelegen habe, mit allem, was auch zu den späteren Verschwörungen gehörte, außer den Attentaten.

Von den Vorsitzenden der Untersuchungskommission wird mancherlei berichtet. Sie bestand, unter dem Vorsitz des Festungskommandanten General Nabokoff, aus dem Fürsten Dolgorukoff, Generalleutnant Dubbelt, Fürsten Gagarin und General Rostowzeff. Dubbelt soll den politischen Verbrechern alle möglichen Erleichterungen verschafft haben. Fürst Gagarin soll sich bei den Verhören ganz ungezwungen und wohlwollend verhalten und gesagt haben, auch er habe sich mit den Lehren Fouriers beschäftigt, er müsse aber darauf bestehen, daß nach dem Jahre 1848 ein solcher Schriftsteller nicht mehr für unschädlich gehalten werden könne. Im übrigen habe er den Angeklagten geraten, zu bereuen und alles freimütig einzugestehen. Doch Desbut beispielsweise hat nicht das geringste eingestanden und nicht einmal die Tatsache zugegeben, daß Dostojewski jenen Brief Bjelinskis vorgelesen hatte.

Wie Dostojewski sich erinnert, hat General Rostowzeff ihn aufgefordert, den ganzen Sachverhalt zu erzählen. Dostojewski gab statt dessen auf alle Fragen der Kommission nur ausweichende Antworten. Da soll sich nun Rostowzeff mit folgenden Worten an ihn gewandt haben: »... kann es nicht glauben, daß derselbe Mensch, der das Buch ›Arme Leute‹ geschrieben hat, mit diesen lasterhaften Menschen eines Sinnes gewesen ist. Das ist unmöglich. Sie sind in die Sache nicht allzu verwickelt, und ich bin ermächtigt, Sie im Namen des Kaisers der Begnadigung zu versichern, wenn Sie sich bereit finden, den ganzen Hergang zu erzählen.« »... schwieg,« erzählte Dostojewski.

Da wandte sich Generalleutnant Dubbelt mit einem Lächeln zu Rostowzeff:

»... habe es Ihnen ja gesagt.«

Und Rostowzeff sprang auf – »... kann Dostojewski nicht mehr sehen!« – damit stürzte er aus dem Zimmer und schloß die Tür mit dem Schlüssel hinter sich zu. »... Dostojewski noch da?« fragte er dann von dort aus eine Weile später. »Sagen Sie mir, wenn er hinausgegangen ist, – ich kann ihn nicht sehen.« Dieses Gebaren machte auf Dostojewski den Eindruck des Unechten.

Speschnjoff hat von seiten des Vorsitzenden der Untersuchungskommission die Bemerkung hervorgerufen: »... höre hier nur Phrasen und Phrasen, aber ich sehe keine Tat.« Derselbe Speschnjoff hat dem jungen Kaschkin zugeflüstert: »Sagen Sie, daß Sie mich nicht kennen« – offenbar, um diesen ohnehin nur wenig in die Sache verwickelten Angeklagten noch mehr von ihr abzusondern. Speschnjoff wußte, daß man in ihm selbst einen der Hauptbeteiligten sah. Dagegen hat er über zwei andere, die er für bereits stark bloßgestellt hielt, doch einiges ausgesagt, und dasselbe hat, wenn man den Akten trauen darf, auch Petraschewski getan. Ich nehme an, daß beide damit die Sache als gefährlicher hinstellen wollten, um die Vertreter der Regierung zu verblüffen. Speschnjoff schließt mit den Worten: »Jetzt habe ich meine Pflicht erfüllt. Das war meine ganze Beichte. Ich bin schuldig und man muß mich strafen.« Jedenfalls klingt aus diesen Worten schon etwas wie eine Erkenntnis der eigenen Schuld. Dasselbe ist auch bei manchen anderen der Fall. Einer von ihnen nennt sich sogar einen »verabscheuenswerten Liberalen«. Ein anderer bittet den Kaiser um Gnade, er sei verirrt gewesen, ein dritter glaubt, die Verzeihung nicht verdient zu haben, und ein vierter bittet nur um die Möglichkeit, unserem gemeinsamen Vater auf Erden beweisen zu können, daß er in ihm noch einen treuen Sohn finden werde. Ob sie wirklich ehrlich bereuten oder nur, weil sie sahen, daß sie sich zwecklos ins Unglück gebracht hatten, mag dahingestellt bleiben.

Anders verhält es sich mit Dostojewski, wenn er in seiner RechtfertigungsschriftSiehe Band 23 der Ausgabe. E.K.R. von sich sagt, er sei weder ein Freidenker, noch ein Gegner der Selbstherrschaft gewesen und bekenne sich zu keinem der sozialistischen Systeme, da er überzeugt sei, daß ihre Anwendung nicht nur in Rußland, sondern selbst in Frankreich die Menschen unfehlbar ins Verderben führen werde.

Auch wenn Jastrshemski sich einen »überzeugten Monarchisten« und gleichzeitig einen »überzeugten Anhänger der Lehre Fouriers« nennt, so ist das nicht so unvereinbar, wie es scheinen mag und zweifellos auch den Mitgliedern der Untersuchungskommission erschienen ist. Sie wußten natürlich nicht, daß Fourier sich mit einem. Schreiben einmal tatsächlich an Kaiser Alexander I. gewandt hatte, in dem er auf die Selbstherrschaft als auf das zuverlässigste Mittel zur Durchführung einer radikalen sozialen Reform hinwies. Erinnern wir uns auch jenes absprechenden Urteils über Konstitution in dem von Petraschewski herausgegebenen Fremdwörterbuch.

Ich komme auf Dostojewski zurück und bemerke, daß in seiner Rechtfertigungsschrift in manchen Äußerungen doch schon der Ton einer erzwungenen Konzession der quälenden Lage gegenüber durchklingt; so z. B. wenn er sagt, er sei fest überzeugt gewesen, daß dieser von ihm vorgelesene Brief Bjelinskis niemanden überzeugen könnte, aber er sähe jetzt ein, daß er einen Fehler begangen habe, als er ihn vorlas, usw. Wir wissen auch, daß Dostojewski auf die mündlichen Fragen ausweichend geantwortet hat, da er nicht die verheißene Gnade benutzen wollte, so daß der über diese Verstocktheit aufgebrachte Rostowzeff sogar das Zimmer verließ. Also hat Dostojewski keinen seiner Mitangeklagten verraten. Später wurde von ihm wie auch von den anderen eine schriftliche Aussage verlangt. In dieser Aussage nun hat er – wie übrigens auch die anderen Angeklagten – ermüdet, bei zerquälten Nerven, (bei seiner besonderen Nervosität von jeher!) sich schließlich – doch wieder ohne jemanden hinein zu ziehen – in etwas übertriebenem Maße selbst beschuldigt: vielleicht einfach damit man sich endlich zufrieden gab und ihn in Ruhe ließ. Wenigstens sagt er in seinem Tagebuch von 1873 ganz offen, daß in dem Augenblick, als ihnen ihr Todesurteil vorgelesen wurde, in keinem von ihnen so etwas wie Reue gewesen sei. In demselben Bericht sagt er weiter, daß sein eigenes Urteil über diese ganze Angelegenheit sich erst später geändert habe.