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Eine noch größere Milderung des Urteils ließ der Kaiser dem Dichter Pleschtschejeff zuteil werden: Dieser sollte nur in das Orenburger Linienregiment als Gemeiner eingereiht werden. Zieht man nun in Erwägung, daß Pleschtschejeff, ganz wie Dostojewski und Duroff, besonders für die Befreiung der Bauern eintrat und diese Befreiung von der Regierung erwartete, so fragt es sich, ob nicht die Milderung ihrer Strafe zum Teil auf eine alte Absicht des Kaisers Nikolai I., die Bauern zu befreien, zurückzuführen war, eine Absicht, die sich infolge der Entgegenwirkung des Adels nicht verwirklichte?...

Im übrigen sollte einzig der Leutnant des Leibgardejäger-Regiments Alexander Palm, »... dessen Schriften,« wie es in dem Bericht des General-Auditoriats heißt, »eine große Liebe zu Rußland spricht«, ohne Degradation mit dem gleichen Rang als Leutnant aus der Garde in die Linie versetzt werden: und dieses Urteil ward vom Kaiser bestätigt.

Am 22. Dezember 1849 wurde im »Russischen Invaliden,« dem Regierungsorgan, das Urteil über die Petraschewzen veröffentlicht und der ganze Fall wie folgt gekennzeichnet:

»... verderblichen Lehren, die im ganzen westlichen Europa Unruhen und Aufstände erzeugt haben, und die mit dem Sturz und der Zertrümmerung jeglicher Ordnung und jedes Wohlstandes der Völker drohen, haben bedauerlicherweise auch in unserem Vaterlande einen gewissen Widerhall gefunden... Eine Anzahl unbedeutender, meist junger und sittenloser Menschen träumte von der Möglichkeit, die heiligsten Rechte der Religion, der Gesetzlichkeit und des Eigentums niederzutreten... Der Titularrat Butaschewitsch-Petraschewski versammelte an bestimmten Tagen in seiner Wohnung einen Kreis jüngerer Leute aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten. Gotteslästerungen, dreiste Worte gegen die geheiligte Person Seiner Majestät des Kaisers, Auslegung der Regierungsmaßnahmen in tendenziös entstellender Weise und Schmähung der Staatsvertreter – das waren die Waffen und Mittel, die Petraschewski zur Aufwiegelung seiner Versammlung benutzte... Ende des Jahres 1848 schritt er zur Bildung einer geheimen Gesellschaft... Darauf wurde der Plan zur Hervorrufung eines allgemeinen Aufstandes im Reich niedergeschrieben.«

Von den Angeklagten wußte indes niemand, wann das Urteil in ihrem Prozeß verkündet werden, geschweige denn, wie es lauten würde. Am frühen Morgen des 22. Dezember fiel ihnen nur ein ungewohnter Lärm, ein Kommen und Gehen im Korridor auf, und sie begannen zu vermuten, daß etwas Besonderes vorgehe. Das erzählte mir der verstorbene Speschnjoff; er sagte, es sei um 6 Uhr gewesen. Um 7 aber setzte man sie in die Wagen und führte sie fort. Nach Fjodor Michailowitschs Worten hatte man sie vorher veranlaßt, ihre eigenen Kleider anzuziehen... Speschnjoff, der sich nicht zu erklären vermochte, wohin die Fahrt ging, nahm schließlich an, man wolle ihnen den Urteilsspruch verlesen, und da man kriegsrechtlich über sie abgeurteilt hatte, mußte das Wohl im Ordonnanzhause geschehen. Aber die Fahrt dauerte lange. Da fragte Speschnjoff den Soldaten: »Wohin führt man uns?« Dieser antwortete: »Es ist nicht befohlen, das zu sagen.«

Es war starker Frost und durch die beeisten Fenster konnte man nicht erkennen, durch welche Straßen die Fahrt ging. Speschnjoff glaubte, sie seien von der Festung aus über die Newa gefahren und befänden sich nun aus dem Liteinyj Prospekt. Um sich davon zu überzeugen, versuchte er, mit dem Finger das Eis an der Fensterscheibe zu entfernen, aber der Soldat sagte: »... Sie das nicht, sonst schlägt man mich.« Da unterließ Speschnjofs den Versuch und verzichtete auf die Befriedigung seiner so begreiflichen Neugier. Der Gedanke an ein Todesurteil, an eine sofortige Hinrichtung kam ihnen, wie gesagt, überhaupt nicht in den Sinn. Und ebensowenig konnten sie darauf verfallen, daß das Urteil, das auf »... durch Füsilieren« lautete, vom Kaiser aber schon geändert worden war, ihnen gleichwohl in seiner ganzen Schärfe verkündet werden würde, einzig zu dem Zweck, um Eindruck auf sie zu machen, um sie zu erschüttern, zu entsetzen.

Nach einer ihnen endlos scheinenden Fahrt hielten schließlich die Wagen: es war auf dem Ssemjonoffschen Platz. Man stellte sie in einer bestimmten Ordnung auf und führte sie dann auf das Schaffot. Nach Speschnjoffs Aussage wollten sie sich nun begrüßen und miteinander unterhalten, aber das wurde ihnen nicht erlaubt, und so konnten nur die Nächststehenden einander ein paar Worte zuraunen. Hier nun muß es wohl geschehen sein, daß Dostojewski, der neben Mombelli stand, diesem den Inhalt einer Novelle, die er in der Festung geschrieben hatte, in aller Kürze erzählte. Diese Tatsache, die mir Mombelli selbst mitgeteilt hat, bestätigt die Möglichkeit jener gemischten, vielseitigen, ruhig-erregten Gemütsverfassung in solchen Minuten, die wir aus Schilderungen Dostojewskis in manchem seiner Werke kennen lernen. Es hat ihn also bei diesen Schilderungen außer tiefem, psychologischem Scharfsinn auch die eigene Erfahrung geleitet. (Er selbst hat allerdings niemals davon gesprochen, daß er damals Mombelli seine Novelle erzählt habe; er hat also den Vorfall wohl vergessen, aber in seinem Bewußtsein ist offenbar doch eine Spur des Eindrucks der Stimmung zurückgeblieben.)

Als sie auf dem Schaffot zu beiden Seiten aufgestellt waren, auf der einen Seite 9, auf der anderen 11, trat der Auditor in die Mitte der Richtstätte und verlas das Todesurteil. Plötzlich brach Sonnenschein durch die Wolken, und Dostojewski, der neben Duroff stand, sagte zu diesem: »... kann doch nicht sein, daß man uns hinrichtet.« Als Antwort darauf wies Duroff auf einen Lastwagen, auf dem, wie ihm schien, Särge aufgeladen und mit einer Bastmatte bedeckt waren (wie es sich später herausstellte, befanden sich auf diesem Wagen ihre Sträflingskleider mit den Halbpelzen für die Reise). Nunmehr, so erzählte Dostojewski, war jeder Zweifel ausgeschlossen, und für sein ganzes Leben prägten sich ihm die Worte ein, die sich in diesem verhängnisvollen Schriftstück so oft wiederholten: »... Tode durch Füsilieren verurteilt.« Doch bei alledem prägte sich ihm ebenso deutlich auch etwas so Nebensächliches ein, wie z. B., daß der Auditor nach der Verlesung des Urteils das Schriftstück zusammenfaltete, in die Seitentasche seines Mantels schob und dann von dem erhöhten Schaffot hinabstieg. Nach ihm kam der Geistliche auf das Schaffot, das Kreuz in der Hand, und forderte zur Beichte auf. Doch nach Dostojewskis Aussage hat sich von ihnen keiner zur Beichte gemeldet, außer Schaposchnikoff (seines Standes Kleinbürger), aber das Kreuz haben sie alle geküßt. Also auch Petraschewski, von dem wir doch mit Bestimmtheit wissen, daß er überzeugter Atheist war? Wenn hier nicht ein Irrtum Dostojewskis vorliegt, so bleibt diese Tatsache gerade so unerklärt, wie die andere: weshalb nur Schaposchnikoff beichtete, während doch mehrere von ihnen zweifellos religiös waren (Duroff sogar »... zur Lächerlichkeit«)? Im übrigen dürfte alles, was Dostojewski im »Idiot« von dem zum Tode Verurteilten erzählt, und somit auch, wie der Verurteilte das Kreuz küßt, mit jenem eigenen Erlebnis in Verbindung stehen, ja zum Teil einfach autobiographisch sein.

Das Erscheinen des Geistlichen zur Beichte zwang die Verurteilten, bestimmt zu glauben, daß die Hinrichtung tatsächlich vollstreckt werden würde: Denn das Abendmahl, so sagten sie sich, würde man doch nicht zu einer dekorativen Zutat machen. N. Kaschkin war es, wie er mir erzählte, allerdings aufgefallen, daß der Geistliche die geweihten Gaben zum heiligen Abendmahl gar nicht bei sich hatte, und so wagte er denn, da er am Ende der Reihe und gerade in der Nähe des Ober-Polizeimeisters stand, diesen leise auf französisch zu fragen: »Wird man uns denn, wenn wir beichten, nicht das heilige Abendmahl empfangen lassen?«, worauf ihm General Galachoff gleichfalls auf Französisch zuflüsterte: »... werden alle begnadigt«. So erfuhr denn nur ein einziger von ihnen, daß die Hinrichtung garnicht stattfinden werde.