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Nach diesem für längere Zeit letzten Brief an Wrangel beginnt wieder eine Reihe von Briefen an den Bruder. Seine materiellen Sorgen sind dieselben. Im März 1858 schreibt er, seine Lage sei kritisch, »wenn Pleschtschejeff die 1000 Rubel nicht gibt...« Der Bruder hat inzwischen 3000 Rubel verloren, umso schwerer wird es, ihn um neue Hilfe anzugehen. Außer geliehenem Gelde helfen ihm 500 Rubel als Vorschuß vom Verleger Katkoff für eine versprochene Novelle (»Onkelchens Traum«) und später 1000 Rubel vom Herausgeber des »Russischen Wortes« für »... Gut Stepantschikowo«, das im Herbst 1859 erscheinen soll. Er erwähnt bereits den Plan zu einem Roman – offenbar »Raskolnikoff«. »Warum schreiben die Verwandten kein Wort?« Außer der Beförderung zum Fähnrich hatte Todleben für ihn am 18. März 1859 auch das Recht erwirkt, seine Werke – sogar unter seinem Namen – drucken zu lassen; gleichzeitig wurde er als Leutnant vom Dienst befreit und erhielt die Erlaubnis, nach dem europäischen Rußland zurückzukehren und in Twer zu wohnen. Seine Abreise aus Semipalatinsk verzögert sich bis zum Juli; dann muß er sich noch in Omsk aufhalten, infolge der Formalitäten, die mit dem Austritt seines Stiefsohnes aus dem Korps verbunden sind.

Den nächsten Brief – vom 19. September 1859 – schreibt er bereits aus Twer, wo ihn der Bruder schon besucht hat. Aus dem nun folgenden Briefwechsel mit dem Bruder ist zu ersehen, wie schwierig es immerhin noch war, seine ersten Werke nach der sibirischen Verbannung unterzubringen. Und wie hatte ihn das Schicksal zu Anfang seiner literarischen Laufbahn mit dem ersten glänzenden Erfolg verwöhnt! Nun aber galt es, und das noch nach einer so schweren Prüfung, das Notwendigste zu beschaffen, um mit der Frau und dem Stiefsohn überhaupt leben zu können. Er arbeitet an den »Aufzeichnungen aus einem Totenhause«, spricht von dem Plan zu einem großen Roman (»Raskolnikoff«), trägt sich, nach der Aussage Miljukoffs, mit der Absicht, ein philosophisches Werk zu schreiben, doch nach reiflicher Überlegung sagt er sich davon los. Daneben plant er die Gesamtausgabe seiner bisher erschienenen Werke... bis er schließlich, da er das Warten in Twer nicht mehr aushält, (das Warten auf die Beantwortung seines Gesuchs an Todleben), unmittelbar an den Kaiser ein Gnadengesuch richtet, in dem er bittet, nach Petersburg übersiedeln zu dürfen, um dort wegen seiner Krankheit Spezialisten konsultieren zu können...

Am 2. November schreibt er an seinen Freund Wrangel, daß Marja Dmitrijewna sich aufreibe in der Sorge um das Schicksal ihres Sohnes, da sie fürchte, nach seinem, Dostojewskis, Tode mit dem heranwachsenden Sohne wieder so dazustehen, wie nach dem Tode ihres ersten Mannes. Da er als Ausgang seiner Krankheit, wie er an den Kaiser schreibt, »Lähmung, Tod oder Irrsinn« vor sich sah und darin von der gleichfalls kranken, alles schwarz sehenden Frau noch bestärkt wurde, kann man sich ungefähr denken, welcher Art sein Gemütszustand in dieser Zeit war. Ende November erhält er die Erlaubnis zur Übersiedelung nach Petersburg.

Miljukoff, der ihn mit Michail Michailowitsch vom Bahnhofe abholte, fand, daß er sich physisch nicht verändert hatte; ja, es schien ihm sogar, als sähe er, im Vergleich zu früher, rüstiger aus und als habe er von seiner gewohnten Energie nichts eingebüßt.Nach den »Erinnerungen« Wrangels kam Dostojewski im Januar 1860 nach Petersburg. »Dostojewski brauchte damals viel Geld, besaß aber keinen Heller. Er hatte zahllose Schulden und nur die eine Hoffnung, daß ihm die vielen Erzählungen und Romane, die in seinem Kopfe... entstanden, etwas einbringen würden... Wir sahen uns sehr oft, doch immer nur flüchtig, denn wir beide waren in den Strudel des Petersburger Lebens geraten...« Trotzdem sagt Wrangel, daß Dostojewski Tag und Nacht gearbeitet habe. (Vgl. »... Briefe und Berichte der Zeitgenossen«.) Da das Petersburger Klima für den Gesundheitszustand seiner Frau schädlich gewesen wäre, verbrachte sie die folgenden Jahre in Moskau, wo sie am 16. April 1864 an der Schwindsucht starb. Den Winter 1863–64 bis zu ihrem Tode weilte Dostojewski deshalb in Moskau. Sein Stiefsohn war auf Befehl des Kaisers 1860 als Stipendiat in eine Lehranstalt aufgenommen worden. Dostojewski hatte die Bitte darum mit seinem eigenen Gnadengesuch verbunden. In einem späteren Brief an Wrangel schreibt Dostojewski über seine Ehe mit der verstorbenen Frau: »... waren beide durchaus unglücklich, konnten aber nicht aufhören, einander zu lieben; je unglücklicher wir waren, um so mehr hingen wir aneinander«. (Vgl. »... Briefe und Berichte der Zeitgenossen«). E.K.R.

Petersburg.

»... Gespräche in unserem neuen, nicht großen Freundeskreise«, so erzählt Miljukoff, »glichen nun schon in vielem nicht mehr jenen, die seinerzeit bei Duroff geführt worden waren. Und hätte es überhaupt anders sein können? In diesen zehn Jahren hatten Westeuropa und Rußland gleichsam die Rollen getauscht. Dort waren die humanitären Utopien, die uns ehemals so hingerissen hatten, wie Rauch verflogen und die Reaktion triumphierte in allem; bei uns aber begann sich nun vieles von dem, wovon wir damals geträumt hatten, zu verwirklichen, und es wurden Reformen eingeführt oder vorbereitet, die das russische Leben erneuerten oder zu erneuern versprachen. So versteht es sich wohl von selbst, daß in unseren Gesprächen der frühere Pessimismus nicht mehr vorhanden war«, schließt Miljukoff.

In der Tat: man wußte 1859 bereits allgemein, daß die Vorarbeiten zur Aufhebung der Leibeigenschaft nun wirklich im Gange waren, und man wußte überdies, daß nach Allerhöchstem Willen die Bauern »... Land« befreit werden sollten. Nun bestand aber schon von jeher über die Frage, ob die Bauern mit oder ohne Zuteilung von Land zu befreien seien, ein Gegensatz zwischen der Minderheit und der »vornehmen« Mehrheit, deren Anwalt (der Historiker Karamsin) noch unter Alexander I. die Zuteilung von Land an die Bauern nicht anders als »... Verletzung der heiligen Rechte des Eigentums« genannt hatte. Unter Alexander II. fehlte der »gekränkten« Partei ein so hervorragender Vertreter wie Karamsin, und so kam denn ihre Gegnerschaft nur in inoffiziellem, doch nichts destoweniger hartnäckigem und folgerichtigem Zuwiderhandeln gegen die große Reform zum Ausdruck – indem man mit Entstellungen und Verzögerungen in der unmittelbaren Anwendung der Verordnungen und ihrer Konsequenzen arbeitete.Die Gegner dieser Form der Bauernbefreiung – tatsächlich ist durch die gleichzeitige Zuteilung von Land an die Bauern ein überaus großer Teil der Grundbesitzer ruiniert worden – hatten meist die höchsten Ämter inne, und so geschah es häufig, daß die vom Kaiser gewünschten freiheitlichen Reformen ihren entschiedensten Gegnern zur Ausführung übergeben wurden. Neuerdings mehren sich die Stimmen, die in jener Bauernbefreiung, die den einzelnen Bauern nicht zum Landbesitzer, sondern zum Landproletarier oder Genossenschaftler machte – zu einem Arbeiter auf dem Gemeindeland – die Grundlage jener Ereignisse sehen, die sich seit 1917 in Rußland abspielen. Die von Stolypin und Kriwoschein begonnene Agrarreform – Aufhebung des Agrarkommunismus (»Mir«), das Land sollte Eigenbesitz des Bauern werden – wurde nach den ersten Versuchen vom Kriege unterbrochen, worin wiederum die äußerste Linke eine Bestätigung der welthistorischen Aufgabe Rußlands sieht: das Land der neuen Lebensordnung, der neuen Menschheit zu werden. E.K.R. Und andererseits: wenn der radikale Franzose Proudhon in seinem Briefe an J. SsamarinSlawophiler Publizist (1819–76), nächst den Begründern des Slawophilismus – Chomjäkoff, Kirejewski, Akssakoff – der einflußreichste Vertreter der Partei. E.K.R. fand, daß, nach der großen Tat vom 19. Februar, Herzens oppositionelle Zeitschrift (»... Glocke«) nun verstummen mußte, so waren die russischen liberal-oppositionellen Menschen keineswegs derselben Ansicht. Als Turgenjeff ein paar Jahre später (1866–67) seinen Roman »Rauch« schrieb, da hatte er einerseits bereits eine ausgesprochene konservative »Fronde« zu schildern und anderseits radikale Kreise, in denen schon Lenker auftauchen konnten, die im Grunde einfach Anhänger des Systems der Leibeigenschaft waren, doch im Spiel mit revolutionärer Propaganda ihr Herz erleichterten. Man wollte bei uns nicht einsehen, daß – angesichts des Widerstandes, den der Kaiser von seiten der interessierten Klasse erfuhr, die auch nach dem 19. Februar 1861 den Kampf noch längst nicht aufgab – nun alle, die in unserer Gesellschaft uneigennützig dachten und wirklich die Freiheit liebten, sich einmütig um den Kaiser hätten scharen müssen, zur Mitwirkung an der großen aufbauenden Arbeit. Statt dessen wurde bei uns schon seit 1856 behauptet, nur dann sei eine