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»Obwohl nun diese juridischen Begriffe auf Studierende eigentlich nicht anwendbar sind, so muß man doch sagen, daß die Studenten dieses liberal-juridische Drama zur Belehrung der übrigen Bürger tadellos und mit echter Begeisterung durchführten. Es war durchaus kein Aufruhr, nicht einmal einer im kleinsten Maßstäbe. Das Interessanteste und Charakteristischste dabei war aber, daß sich schon damals sofort Leute fanden, die diese Studentengeschichte gar zu gern in einen Aufruhr verwandelt hätten; ja, daß diese Leute mit den Studenten schon in Verbindung zu treten suchten und sich mit Vorschlägen an sie heranmachten, wie z. B. ein Verbrechen zu begehen, durch das die Regierung in die Enge getrieben werden würde, u. a. m. Die revolutionären Elemente in der Gesellschaft waren schon herangereift; doch diesmal bewahrte der Liberalismus seine Reinheit, und so hatte es denn bei der lauten Demonstration sein Bewenden, also gewissermaßen bei einer öffentlichen Anklage vor der gesellschaftlichen Meinung. Um deswillen hatten viele junge Leute die Laufbahn ihres Lebens frohen Herzens für immer verdorben.

»Natürlich sprach nun die ganze Stadt von nichts anderem als von den Studenten. Die Verhafteten durften besucht werden und so kamen täglich eine Menge Menschen in die Festung, schon um den Studenten ihre Anteilnahme zu bezeugen. Auch von der Redaktion der ›Zeit‹ wurde ihnen ein Gastgeschenk gesandt.« (Strachoff war einer der Hauptmitarbeiter an dieser literarischen Monatsschrift, die die Brüder Dostojewski seit 1861 herausgaben, bis die Zeitschrift im Mai 1863 wegen eines von der Zensur mißverstandenen, in Wirklichkeit sehr national gedachten Artikels von Strachoff über die Polenfrage sistiert wurde. Vgl. Bd. XII der deutsch. Ausg. E. K. R.) »... Michail Michailowitsch wurde ein riesiges Roastbeef gebraten und mit einer Flasche Kognak und einer Flasche Rotwein in die Festung geschickt. Und als man diejenigen Studenten, die man als die Schuldigsten befunden hatte, schließlich zu verschicken begann, da wurden sie von Verwandten und Bekannten noch weit über das Weichbild der Stadt hinaus begleitet. Der Abschied war geräuschvoll und fand unter vielseitiger Beteiligung statt, und die Verschickten schauten zum größten Teil wie Helden drein.

»... weitere Verlauf dieser Geschichte spielte sich in demselben Geiste ab. Die Universität wurde geschlossen: man wollte sie einer vollständigen Umgestaltung unterwerfen. Da baten die Professoren um die Erlaubnis, öffentliche Vorlesungen zu halten, und erhielten diese Erlaubnis ohne Mühe. Die Duma (der Stadtrat) überließ ihnen ihre Säle und die Universitätskurse fanden von nun an außerhalb der Universität ihre Fortsetzung, Alle Mühe für das Zustandekommen der Vorlesungen, sowie alle Sorge für die Aufrechterhaltung der Ordnung nahmen die Studenten auf sich und waren mit dieser neuen, freien Universität sehr zufrieden und sehr stolz auf ihre Leistung. »Aber ihre Gedanken waren doch nicht bei der Wissenschaft, um die sie sich allem Anscheine nach so mühten, sondern waren mit etwas anderem beschäftigt, und das verdarb schließlich alles. Den Anlaß zur Aufhebung dieser Duma-Universität gab im Frühjahr 1862 der bewußte literarisch-musikalische Abend vom 2. März, Dieser Abend war im Grunde mit der Absicht veranstaltet worden, gewissermaßen eine Schau aller führenden fortschrittlich gesinnten literarischen Kräfte zu bieten. Die Auswahl der Schriftsteller war denn auch in diesem Sinne mit größter Sorgfalt vorgenommen worden; und in demselben Sinne war auch das Publikum das sorgsam ausgewählteste. Sogar die Musikstücke, mit denen die literarischen Vorträge abwechselten, wurden von den Frauen und Töchtern der Schriftsteller der guten Richtung ausgeführt. Fjodor Michailowitsch befand sich unter den Lesenden und seine Nichte unter den Mitwirkenden. Die Hauptsache jedoch war nicht das, was vorgetragen wurde, sondern waren die Ovationen, die man den Vertretern der fortschrittlichen Ideen darbrachte. Der Lärm, der Enthusiasmus war ein ungeheurer. Es hat mir später immer geschienen, daß die liberale Bewegung in unserer Gesellschaft an diesem Abend ihren höchsten Punkt erreichte, der zugleich der Kulminationspunkt unserer in der Luft sich abspielenden Revolution war. Eine der Episoden dieses Abends bildete den Anfang des schnellen Verfalls und der Enttäuschung unserer damaligen Fortschrittsbewegung. Es begann damit, daß Professor P-ff. seinen Artikel, der wie alles an diesem Abend Vorgetragene von der Zensur genehmigt worden war, wohl ohne jede Wortänderung, jedoch mit so ausdrucksvollen Betonungen und Gesten vortrug, daß alles einen ganz zensurwidrigen Sinn erhielt. Es erhob sich ein wahres Freudengeheul, ein nicht zu beschreibender Beifallsorkan. Noch siehe da: am nächsten Tage verbreitet sich überall die Kunde, daß Professor P. verhaftet und aus Petersburg bereits entfernt worden sei. Was war nun zu tun? Gegen eine solche Maßregel mußte man protestieren, aber wie, in welcher Form? Die Studenten folgerten ganz richtig, daß die Entfernung des einen Professors eine Drohung für die übrigen Professoren in sich schloß, so daß diese ihre Vorlesungen nicht gut fortsetzen konnten, wenn sie nicht gerade zu zeigen wünschten, daß sie ihren Kollegen für schuldig hielten, selbst aber vor der Regierung schuldlos dastehen wollten. So wurde denn beschlossen, die Duma-Universität zu schließen und damit gegen solche Eingriffe zu protestieren. Es war das ein Protest von der Art, wie unter Umständen die Professoren ihren Abschied zu nehmen pflegen – ein bekanntlich sich fortwährend wiederholender Vorgang an den russischen Universitäten, etwas Ähnliches wie der japanische Selbstmord. Die Studenten setzten bei dieser Beschlußfassung natürlich voraus, daß die ganze Gesellschaft von Schmerz und Zorn erschüttert sein werde, wenn die Universität, diese Hauptquelle ihrer Aufklärung, plötzlich geschlossen wurde. Die Professoren willigten denn auch ein, ihre Vorlesungen abzusagen, wie es die Studenten wünschten; nur einer oder zwei von ihnen setzten ihre Vorlesungen fort, wofür ihnen die Hörer Skandale zu machen begannen. Da griff schließlich die Regierung ein und machte der Sache ein Ende, indem sie den Professoren überhaupt verbot, öffentliche Vorlesungen zu halten.

»... war nun das Ergebnis der ganzen Affäre? Es wurde sofort offenbar, daß die schlaue Berechnung, die Gesellschaft zu erregen und gegen die Regierung aufzubringen, vollkommen fehlgegangen war. Die Gesellschaft rührte sich nicht, und, statt zu wachsen, erlosch die Erregung vollständig. Die Anführer in dieser Sache hatten gar zu naiv geglaubt, daß der Lärm, der in ihren Studentenkreisen herrschte, der Ausdruck der allgemeinen Stimmung sei, und daß es ein leichtes wäre, das Publikum zu täuschen. In Wirklichkeit aber konnte doch niemand ernstlich daran glauben, daß man in der Regierung den Feind und Bedrücker der Aufklärung zu sehen habe. Die Unterlage der Sache war denn auch allen nur zu sichtbar, besonders als gleich darauf Proklamationen aufzutauchen begannen, eine nach der anderen, Proklamationen, von denen die erste hunderttausend Menschen als dem, allgemeinen Wohl in Rußland im Wege stehend erklärte, während die letzte schon unverhüllt drohte, ›die Straßen mit Blut zu überschwemmen und keinen Stein auf dem anderen zu lassen‹. Jedenfalls sah sich die Regierung, die in ihren Maßnahmen stets den liberalen Charakter zu wahren suchte, in eine recht schwierige Lage versetzt; es zeigte sich, daß jede liberale Maßnahme in der Gesellschaft eine Bewegung hervorruft, die sich der Maßnahme zu ihren Zwecken zu bedienen sucht, zu Zwecken, die nicht liberal, sondern durchaus radikal sind. Diese schwierige Lage der Regierung wurde erst durch die Petersburger Brände, die augenscheinlich infolge planmäßiger Brandstiftung entstanden, und den polnischen Aufstand beseitigt, als es endlich klar wurde, daß man das Böse, das so erschreckende Dimensionen annahm, nicht dulden und nicht seinem natürlichen Lauf überlassen darf.«