Das dritte und vollkommen überflüssige Kapitel.
Übrigens waren das weniger Überlegungen, als gewisse Betrachtungen, wahllose Vorstellungen, sogar Träume »... dem sowohl als wie von jenen:, zumeist jedoch von Null und Nichts«. Zunächst kehrte ich auf dieser Gedankenreise in der Vergangenheit ein und begann damit, daß ich über diesen Menschen, der obenerwähnten Aphorismus über die französische Überlegungskraft in die Welt gesetzt, ins Nachdenken geriet. Dieser Mensch war zu seiner Zeit ein großer Liberaler. Aber wenn er auch sein Lebelang aus unbekannten Gründen einen französischen Rock auf seinem Körper und Puder auf dem Kopfe trug und hinten einen Degen baumeln ließ, zum Zeichen seiner ritterlichen Herkunft (die es bei uns überhaupt nicht gegeben hat), sowie zur Verteidigung seiner persönlichen Ehre im Wartezimmer Potjomkins, begann er sich doch, kaum daß er die Nase ins Ausland gesteckt hatte, im Nu mittels aller biblischen Texte von Paris loszubeten und loszusagen und fällte auch schon sein Urteil über den Franzosen, dem er die Gabe der Überlegungskraft ohne weiteres absprach, ja, der nach diesem Urteil ihren Besitz sogar als ein Verderben für sich ansehen würde. – Doch um mich zu vergewissern: am Ende denken Sie jetzt gar, ich hätte den baumelnden Degen und den französischen Samtrock Vonwisins in tadelndem Sinne erwähnt? Keineswegs! Er hätte doch nicht einen Bauernkittel tragen sollen, und das noch damals, wenn sogar heute manche Herren, um Russen zu sein und sich mit dem Volk verbunden zu fühlen, keinen Bauernkittel angezogen, sondern eine Art Ballettkostüm für sich erfunden haben, an welchem nicht viel fehlt, um dasselbe Kostüm zu sein, in dem die Helden unserer historischen Opern auf der Bühne erscheinen, á la Ruslan, dessen Ludmilla denn auch dementsprechend als Kopfschmuck den Kokoschnick trägt. Nein, der französische Rock war dem Volk doch verständlicher. »Da sieht man gleich den Herrn,« hieß es dann, »... Herr kann doch nicht wie unsereiner im Kittel gehen«. Vor kurzem wurde mir von einem Gutsbesitzer erzählt, einem Zeitgenossen, der, um mit dem Volke eins zu werden, gleichfalls ein sogenanntes russisches Kostüm zu tragen anfing und sich verlocken ließ, in dieser Tracht auch auf den Versammlungen der Bauernschaft zu erscheinen; aber siehe, da geschah es, daß die Bauern, als sie ihn erblickten, unter sich zu einander sagten: »... schleppt sich denn dieser Verkleidete zu uns?« Also ist's dem Gutsbesitzer aus diesem Wege doch nicht gelungen, mit dem Volke eins zu werden.
»Nein, ich für meine Person,« sagte mir ein anderer Herr, »... werde nichts abtreten. Ich werde mir absichtlich den Bart scheeren und, wenn es nötig ist, auch im Frack gehen. Die Sache selbst werde ich machen, aber mir niemals anmerken lassen, daß ich ihm, dem Volk, nähertreten will. Ich werde der Herr sein, werde geizig und berechnend sein, ja werde sogar bedrücken und erpressen, wenn es mir ratsam erscheint. Dann achten sie einen mehr. Und das ist doch alles, worauf es ankommt, daß man zuerst eine richtige Achtung durchsetzt.«
»Pfui, Teufel!« dachte ich. »... ist ja, als rüsteten sie sich gegen Fremdstämmige. Ein militärischer Rat und nichts weiter.«
»Ja,« sagte ein dritter zu mir – nebenbei bemerkt: ein überaus lieber Mensch –, »... gut, sagen wir, ich lasse mich in eine Dorfgemeinde eintragen, plötzlich aber werde ich für irgend etwas von der Gemeindeversammlung zur Rutenstrafe verurteilt. Was dann?«
»... und selbst wenn?« wollte ich schon sagen, aber ich sagte es nicht, denn ich wagte es nicht so recht. – Was ist das doch, woher kommt es, daß wir uns noch immer fürchten, manche Gedanken auszusprechen? – »... selbst wenn?« dachte ich bei mir, »selbst wenn du mal Ruten bekämest, was wäre denn dabei? Solche Wendungen der Dinge heißen bei den Professoren der Ästhetik das Tragische im Leben, und damit ist's erledigt. Soll man denn wirklich nur deshalb gleich von allen abgesondert leben? Nein, wenn man schon mit dem Volke eins sein will, dann sei man es auch ganz und mit allen, wenn man aber ein Mensch für sich sein will, dann sei man aber auch wirklich und vollkommen abgesondert. Anderswo ist noch ganz anderes ertragen worden und noch dazu von schwachen Frauen und Kindern.«
»Aber ich bitte Sie, was hat das mit Frauen und Kindern zu tun!« hätte mein Gegner hierauf ausgerufen, »... Dorfgemeinde würde mich, mir nichts dir nichts, vielleicht wegen irgend einer Kuh, die in einen fremden Gemüsegarten eingebrochen ist, einfach versohlen, bei Ihnen aber wird daraus schon eine allgemeine Sache!«
Nun ja, das ist natürlich lachhaft, und überhaupt ist's eine lächerliche Geschichte, dazu so eine schmutzige, wissen Sie, die man lieber nicht anrührt, denn man will sich doch nicht die Hände besudeln. Ist doch schon das bloße Sprechen davon eigentlich unanständig. Hole sie allesamt der Henker, mögen sie da gedroschen werden so viel ihrer sind, ich bin's ja nicht. – Nun, ich bin aber meinerseits zu jeder Bürgschaft bereit: daß das Urteil der Dorfgemeinde meinem lieben Widerstreiter auch nicht ein einziges Rutenhiebchen zudiktieren würde, selbst wenn sie mit ihm wie mit einem Gleichstehenden Verfahren könnte...
»Welch eine Rückständigkeit!« ruft jemand aus, wenn er dieses liest, »heute noch für die Rutenstrafe einzutreten!« (Bei Gott, irgend jemand wird doch bestimmt daraus folgern, daß ich für die Rutenstrafe sei.)
»Aber ums Himmels willen, wovon reden Sie denn jetzt,« bemerkt ein anderer, »... wollten von Paris berichten und statt dessen...«
Ja, das ist allerdings... Aber ich erinnere mich, daß ich gerade damals, als wir uns Eydtkuhnen näherten, ganz besonders über alles Vaterländische ins Nachdenken geriet, über unser Eigenes, das ich nun um Europas willen verließ. Ich sann unter anderem auch über die Frage nach: wie hatte in den verschiedenen Zeiten Europa sich in uns widergespiegelt, wie hatte es sich mit seiner Zivilisation beständig bei uns als Gast eingedrängt und inwieweit waren wir denn zivilisiert worden und wieviel Zivilisierte gab es jetzt wohl bei uns, einfach als Zahl? Doch ich sehe jetzt selbst, daß alles dies hier wirklich überflüssig ist. Aber ich habe Sie ja gewarnt und selbst im voraus gesagt, daß dieses ganze Kapitel ein überflüssiges sein werde. Übrigens, wo blieb ich denn stehen? Ja, richtig! bei dem französischen Rock. Mit dem begann es ja überhaupt!