Выбрать главу

Ein paar Worte über George Sand.

Das Auftreten George Sands in der Literatur fällt zeitlich mit den Jahren meiner ersten Jugend zusammen, und es freut mich sehr, gerade jetzt, daß dies schon so lange her ist, denn nun darf man doch wohl, nach guten dreißig Jahren, nahezu ganz offen darüber sprechen. Es sei hier vorausgeschickt, daß damals nur so etwas erlaubt war, – d. h. nur Romane, alles übrige, fast jeder Gedanke, besonders wenn er aus Frankreich kam, war strengstens verboten. Oh, versteht sich, sehr oft verstand man nicht zu sehen, aber von wem hätten sie denn das auch lernen sollen: verstand doch selbst Metternich nicht zu sehen, wie sollten es da unsere Nachahmer verstehen. Und deshalb schlüpften denn auch »schreckliche Sachen« durch (zum Beispiel der ganze Bjelinski). Dafür wurde dann, gleichsam um das wettzumachen, besonders zum Ende hin und um Versehen auszuschließen, so gut wie alles verboten, so daß es zu guter Letzt, wie man weiß, bei den Transparenten endete. Aber Romane waren erlaubt, sowohl zu Anfang, wie in der Mitte und sogar ganz zuletzt,D. h. in den letzten Jahren der Regierungszeit Nikolais I., etwa von 1848–55. E.K.R. und gerade auf diesem Gebiet, und zwar speziell hinsichtlich George Sand, schossen die Beschützer damals einen großen Bock. Erinnern Sie sich des Gedichts:

»... Werke von Thiers und Rabeau kennt auswendig unser Mann, Und wie der feurige Mirabeau preist er die Freiheit an.«

Dieses Gedicht ist ungemein talentvoll, sogar selten talentvoll, und es ist natürlich unvergänglich, denn es ist historisch; doch gerade das erhöht ja seinen Wert, sintemal es von Denis DawydoffUnbedeutender Dichter, liberaler Aristokrat. E.K.R. stammt, somit von einem Dichter, Schriftsteller und ehrlichsten Russen. Doch wenn selbst Denis Dawydoff, und zwar wen – Thiers (wegen seiner »Geschichte der Revolution«, selbstredend) damals für gefährlich hielt und in diesem Gedicht erwähnte, nebst irgendeinem Rabeau (also hat es auch so einen gegeben, ich weiß übrigens nicht), so muß damals doch wohl gar zu wenig offiziell erlaubt gewesen sein. Und was dabei herauskam, war: daß das, was damals in der Form von Romanen bei uns eindrang, nicht nur genau so der Sache zustatten kam, sondern vielleicht noch in der »gefährlichsten« Form erschien, wenigstens zu der Zeit, denn für einen Rabeau hätten sich dazumal wohl schwerlich so viele Liebhaber gefunden, für George Sand dagegen fanden sie sich zu Tausenden. Hier muß bemerkt werden, daß bei uns ungeachtet aller Magnitzkis und LiprandisMagnitzki – berüchtigter Zensor, bereits unter Alexander I. im streng reaktionären Sinne tätig. Staatsrat Liprandi zeichnete sich als Beamter des Polizeidepartements durch rücksichtslose Härte aus und erfreute sich der besonderen Gunst seines Gönners Dubbelt. Vgl. S. 100. E.K.R. schon seit dem vorigen Jahrhundert jede intellektuelle Bewegung in Europa immer sofort bekannt wurde und die Kunde davon aus den höheren Schichten unserer Intelligenz sofort in die Masse aller auch nur ein wenig sich dafür interessierenden und denkenden Menschen drang. Genau so geschah es mit der europäischen Bewegung in den dreißiger Jahren. Von dieser riesigen Bewegung der europäischen Literaturen bereits ganz zu Anfang der dreißiger Jahre bekam man bei uns schon sehr bald einen Begriff. Man kannte auch schon die Namen von vielen neuen Rednern, Historikern, Tribunen, Professoren. Es wurde sogar, wenn auch nur teilweise, wenn auch nur annähernd, sogar das bekannt, in welcher Richtung diese ganze Bewegung sich bewegte. Besonders deutlich aber kam diese Bewegung in der Kunst zum Ausdruck, in Romanen, hauptsächlich aber bei – George Sand. Allerdings wurde das Publikum bei uns schon vor dem Erscheinen ihrer Romane in russischer Sprache von Ssenkowski und BulgarinÜberpatriotische Schriftsteller und Herausgeber von Zeitschriften. Bulgarin, ein Expole, dessen Romane zu Anfang der dreißiger Jahre viel gelesen wurden, ist von Puschkin als Polizeispitzel charakterisiert worden. E.K.R. gewarnt. Vornehmlich schreckte man die russischen Damen damit, daß sie in Hosen gehe: man wollte mit ihrem ausschweifenden Leben die Leser einschüchtern, man wollte sie lächerlich machen. Ssenkowski, der sich ja selbst daranmachte, George Sand zu übersetzen und in seiner Zeitschrift »Bibliothek für Lektüre« zu veröffentlichen, begann sie »Frau Jegor Sand« zu nennen und blieb, wie's scheint, sehr zufrieden mit seinem Witz. Später, im Jahre 1848, schrieb Bulgarin in seiner »Nordischen Biene«, daß sie sich mit Pierre Leroux tagtäglich an der Barrière betrinke und an den Athenischen Abenden teilnehme, im Ministerium des Innern, bei diesem Räuber und Minister des Inneren Ledru-Rollin. Ich habe das selbst gelesen und erinnere mich dessen noch sehr gut. Doch damals, im Jahre 1848, war George Sand bei uns bereits so gut wie dem ganzen lesenden Publikum bekannt und niemand glaubte den Berichten Bulgarins. Zum erstenmal aber erschienen ihre Werke in russischer Sprache ungefähr um die Mitte der dreißiger Jahre; schade, daß ich mich nicht mehr entsinnen kann, welches ihrer Werke zuerst übersetzt wurde und wann es erschien; doch um so wunderbarer wird wohl der Eindruck gewesen sein. Ich denke, alle Leser wird, ganz wie mich, der ich damals noch ein Jüngling war, diese keusche, hohe Reinheit der Typen und Ideale und die schlichte Schönheit des strengen, zurückhaltenden Tons ihrer Erzählung betroffen gemacht haben, – und eine solche Frau ging in Hosen und führte ein ausschweifendes Leben! Ich war, wenn ich nicht irre, sechzehn Jahre alt, als ich zum erstenmal ihre Novelle »L'Uscoque« las – eines ihrer schönsten ersten Werke. Ich weiß noch, ich fieberte nachher die ganze Nacht. Ich glaube, mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, daß George Sand, wenigstens nach meinen Erinnerungen, bei uns alsbald fast den ersten Platz einnahm in der Reihe jener ganzen Plejade neuer Schriftsteller, die damals plötzlich berühmt wurden und deren Ruhm ganz Europa durchflog. Selbst Dickens, der bei uns ungefähr um dieselbe Zeit erschien, stand ihr in der Aufmerksamkeit unseres Publikums vielleicht nach. Ich rede schon gar nicht von Balzac, der schon vor ihr erschienen war, aber in den dreißiger Jahren doch solche Werke gab, wie »Eugénie Grandet« und »Pere Goriot« (und den Bjelinski so ungerecht beurteilte, da er seine Bedeutung in der französischen Literatur ganz übersah), übrigens sage ich das alles nicht vom Standpunkte irgendeiner kritischen Abschätzung, nein, ich spreche nur aus der Erinnerung von dem Geschmack der damaligen Masse der russischen Leser, von dem unmittelbar auf sie ausgeübten Eindruck. Die Hauptsache war, daß der Leser alles das, wovor er damals so behütet und beschützt wurde, aus diesen Romanen herauszulesen verstand. Wenigstens war bei uns Mitte der vierziger Jahre selbst der Masse der Leser schon bekannt, wenn auch nur so im allgemeinen, daß George Sand eine der hellsten, strengsten und folgerichtigsten Vertreterinnen jener Kategorie der damaligen neuen Menschen des Westens war, die mit der einfachen Verneinung jener »positiven« Errungenschaften auftraten und begannen – der Errungenschaften, mit denen die blutige französische (oder richtiger europäische) Revolution vom Ende des vorigen Jahrhunderts ihre Tätigkeit abschloß. Nach der Beendung der Revolution (nach Napoleon I.) zeigten sich neue Versuche, die neuen Wünsche und neuen Ideale auszudrücken. Die fortgeschrittensten Geister begriffen nur zu gut, daß sich nur der Despotismus erneuert, daß sich nur »ôtes-toi de là que je m'y mette« vollzogen hatte, daß die neuen Besieger der Welt (die Bourgeois) vielleicht schlimmer denn die früheren Despoten (die Adligen) waren, und daß »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« sich nur als laute Phrasen und nichts weiter erwiesen hatten. Damit aber noch nicht genug: es kamen Lehren auf, nach denen sie aus lauten Phrasen schon zu auch unmöglichen Phrasen wurden. Die Sieger sprachen von diesen drei sakramentalen Worten oder richtiger erwähnten sie bereits nur noch spöttisch; sogar die Wissenschaft (die Volkswirtschaftler) erschien in ihren glänzenden Vertretern, die damals auch gleichsam mit einem neuen Wort kamen, als Hilfstruppe zu dieser Verspottung, sowie zu der Beurteilung der utopistischen Bedeutung dieser drei Worte, für die soviel Blut vergossen worden war. So kam es, daß neben den triumphierenden Siegern bereits trostlose und traurige Gesichter, die die Triumphierenden schreckten, zu erscheinen begannen. Und siehe, gerade in diesem Zeitraum tauchte plötzlich wirklich ein neues Wort auf und begannen sich neue Hoffnungen zu verbreiten: es erschienen Menschen, die geradeheraus erklärten, daß die Sache unrechterweise und an der falschen Stelle zum Stehen gekommen sei, daß mit einem politischen. Wechsel der Sieger nichts erreicht sei, daß man die Sache fortsetzen müsse, daß die Erneuerung der Menschheit eine radikale, soziale sein müsse. Oh, natürlich, neben diesen Ausrufen ließen sich auch eine Menge der verderblichsten und ungeheuerlichsten Folgerungen vernehmen, aber das wichtigste war dabei, daß wieder Hoffnung zu leuchten und erstorbener Glaube aufzuleben begann. Die Geschichte dieser Bewegung ist bekannt, – sie setzt sich bis heute fort und hat, wie es scheint, durchaus nicht die Absicht, stehen zu bleiben. Ich will hier weder für noch gegen diese Bewegung sprechen, ich wollte nur George Sands eigentlichen Platz innerhalb dieser Bewegung bezeichnen. Diesen Platz muß man ganz im Anfang der Bewegung suchen. Damals, als man sie in Europa begrüßte, hieß es, sie predige eine neue Stellung der Frauen und weissage von »Rechten der freien Frau« (so drückte sich Ssenkowski über sie aus); aber das stimmte nicht ganz, denn sie predigte keineswegs nur von der Frau allein und erfand überhaupt keine »freie Frau«. George Sand gehörte der ganzen Bewegung an, nicht bloß einer Bewegung für Frauenrechte. Allerdings, da sie selbst Frau war, stellte sie natürlicherweise lieber

Heldinnen auf, als Helden, und selbstverständlich müßten jetzt die Frauen der ganzen Welt Trauer um sie tragen, denn mit ihr ist nicht nur eine der höchsten und schönsten Vertreterinnen ihres Geschlechts gestorben, sondern außerdem eine Frau von fast noch nie dagewesener Verstandeskraft und Begabung – ein Name, der historisch geworden ist, ein Name, dem es nicht bestimmt ist, vergessen zu werden und innerhalb der europäischen Menschheit zu verschwinden.