Was nun ihre Heldinnen anbelangt, so war ich, ich wiederhole, schon beim erstenmal, als ich sie las, noch als Sechzehnjähriger, erstaunt über die Seltsamkeit des Widerspruchs zwischen dem, was man über sie schrieb und sprach, und dem, was ich nun selbst in ihren Büchern fand. In dieser Wirklichkeit waren viele oder zum mindesten manche ihrer Heldinnen Typen einer so hohen sittlichen Reinheit, wie sie überhaupt nicht denkbar wäre, ohne eine ungeheure sittliche Anforderung in der Seele des Richters selbst, ohne das Bekenntnis zum vollsten Pflichtbegriff, ohne Erkenntnis und ohne Anerkennung der höchsten Schönheit im Erbarmen, in der Geduld und Gerechtigkeit. Allerdings, zwischen dem Erbarmen, der Geduld und der Anerkennung der Pflichtschuldigkeit trat auch ein ganz außergewöhnlicher Stolz der Anforderung und des Protestes hervor, aber dieser Stolz war ja gerade deshalb kostbar, weil er aus jener höheren Wahrheit hervorging, ohne die die Menschheit sich niemals auf ihrer ganzen sittlichen Höhe hätte erhalten können. Dieser Stolz ist nicht Feindschaft quand même auf Grund dessen, daß ich sozusagen besser bin als du, und du schlechter bist als ich, sondern ist einzig und allein das Gefühl der keuschesten Unfähigkeit, sich mit Unwahrheit und Laster auszusöhnen, obschon dieses Gefühl, ich sage das nochmals, weder Allverzeihen noch Erbarmen ausschließt; ja, nicht nur das, sondern diesem Stolz entsprechend wurde freiwillig auch eine ungeheure Pflicht sich selbst auferlegt. Diese ihre Heldinnen sehnten sich nach Selbstopfer, nach einer großen Tat. Besonders gefielen mir damals in ihren ersten Werken ein Paar Typen junger Mädchen, zum Beispiel in ihren damals sogenannten venezianischen Novellen (zu denen auch »L'Uscoque« und »La dernière Aldini« gehören), Typen, die später in dem Roman »Jeanne« ihre Vollendung fanden, in diesem bereits genialen Werk, das eine hellklare und vielleicht unbestreitbare Lösung der historischen Frage der Jeanne d'Arc gibt. In einem Bauernmädchen unserer Zeit läßt sie plötzlich die Gestalt der historischen Jeanne d'Arc vor uns erstehen und rechtfertigt anschaulich die wirkliche Möglichkeit dieser großartigen und wunderbaren historischen Erscheinung, – eine durchaus George Sand'sche Aufgabe, denn außer ihr hat von allen anderen Dichtern ihrer Zeit wohl niemand ein so reines Ideal des unschuldigen Mädchens in seiner Seele getragen, – ein so reines und durch seine Unschuld so machtvolles Ideal. Alle diese Typen junger Mädchen, von denen ich oben sprach, erfüllen in einer Reihe aufeinanderfolgender Werke eine ganz bestimmte Aufgabe; sie haben dasselbe Thema (übrigens haben das nicht die Mädchen allein: dasselbe Thema wiederholt sich später in ihrer prachtvollen Novelle »La Marquise«, die gleichfalls noch zu ihren früheren Werken gehört). Es ist der gerade, ehrliche, doch unerfahrene Charakter eines jungen weiblichen Wesens von jener stolzen Keuschheit, die sich nicht fürchtet, beschmutzt zu werden, und die gar nicht beschmutzt werden kann, auch nicht von der Berührung mit dem Laster, ja selbst dann nicht, wenn dieses Wesen durch einen Zufall plötzlich unmittelbar in eine Höhle des Lasters gerät. Das Bedürfnis, sich hochherzig zu opfern (im Glauben, daß dieses Opfer gerade von ihr erwartet wird), erschüttert das Herz des jungen Mädchens, und ohne zu zögern, ohne mit sich zu geizen, tut sie plötzlich uneigennützig, ohne an sich zu denken und furchtlos den gefährlichsten und verhängnisvollsten Schritt. Das, was sie sieht und was ihr begegnet, verwirrt und ängstigt sie nachher nicht im geringsten, – im Gegenteil, es erhöht sofort nur den Mut im jungen Herzen, das sich jetzt erst zum erstenmal aller seiner Kräfte bewußt wird – der Kräfte der Unschuld, der Ehrlichkeit, der Reinheit –; es verdoppelt nur ihre Energie und weist ihrem bis dahin sich selbst noch nicht kennenden, doch mutigen und frischen Verstande, der sich mit Konzessionen an das Leben noch nicht beschmutzt hat, neue Wege und neue Horizonte. Dazu alles in der fehlerlosesten und reizendsten Form eines Poems: George Sand ließ ihre Dichtungen damals mit Vorliebe glücklich enden, mit dem Triumph der Unschuld, Aufrichtigkeit und des jungen, furchtlosen Vertrauens. Und solche Gestalten hätten die Gesellschaft empören, Zweifel und Befürchtungen erwecken können? Ganz gewiß nicht; vielmehr geschah das Gegenteil und selbst die strengsten Väter und Mütter begannen in ihren Familien die Lektüre der Werke George Sands zu erlauben und wunderten sich: »... reden die Menschen nur so von ihr?« Und erst auf diese Verwunderung hin wurden dann warnende Stimmen laut, die darauf hinwiesen, daß »in eben diesem Stolz der weiblichen Anforderung, in eben dieser Unversöhnlichkeit der Keuschheit mit dem Laster, in eben dieser Weigerung, dem Laster auch nur irgendwelche Konzessionen zu machen, in eben dieser Furchtlosigkeit, mit der die Unschuld sich zum Kampf erhebt und dem Unrecht klar in die Augen sieht, das Gift liege, das zukünftige Gift des weiblichen Protestes, der weiblichen Emanzipation«. Nun Wohl! vielleicht hatte das, was man da vom Gift sagte, seine Richtigkeit. Es entstand tatsächlich ein Gift, doch was dieses Gift vertilgen wollte, was durch dieses Gift umkommen und was sich durch dasselbe retten sollte, – das war nun sofort die neue Frage und die wurde lange nicht beantwortet.