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Jetzt sind diese Fragen schon lange beantwortet (dem Anscheine nach). Hier muß bemerkt werden, daß in der Mitte der vierziger Jahre der Ruhm George Sands und der Glaube an die Kraft ihres Genies so hoch standen, daß wir, ihre Zeitgenossen, alle noch etwas unvergleichlich Größeres in der Zukunft von ihr erwarteten, irgendein unerhörtes neues Wort, sogar etwas Entscheidendes und bereits Endgültiges. Diese Hoffnungen erfüllten sich nicht: es zeigte sich, daß sie zu der Zeit, d. h. gegen Ende der vierziger Jahre, bereits alles gesagt hatte, was auszusprechen ihr oblag und vorherbestimmt war. Jetzt aber an ihrem frischen Grabe kann man über sie schon durchaus das letzte Wort sagen.

George Sand ist kein Denker, aber sie ist eine der hellsehendsten Vorausfühlerinnen (wenn es nur erlaubt ist, sich in einer so krausen Form auszudrücken) einer glücklicheren Zukunft, die die Menschheit erwartet, an deren Erreichung der Ideale sie mutig und großherzig ihr ganzes Leben lang glaubte, und zwar gerade deshalb glaubte, weil sie selbst in ihrer Seele fähig war, das Ideal aufzurichten. Die Bewahrung dieses Glaubens bis zum Ende ist gewöhnlich das Los aller hohen Seelen, aller, die die Menschen wirklich lieben. George Sand starb als Deïstin, in festem Glauben an Gott und an ihr unsterbliches Leben. Doch von ihr nur das zu sagen, ist zu wenig: sie war überdies vielleicht auch die größte Christin unter allen ihren Genossen – den französischen Schriftstellern, obgleich sie sich formell (als Katholikin) nicht zu Christum bekannte. Natürlich, als Französin – der Anschauung ihrer Landsleute gemäß – konnte George Sand sich nicht wissentlich zu der Idee bekennen, daß es »in der ganzen Welt keinen Namen außer dem Seinen gibt, durch den man selig werden kann« – die Hauptidee der Orthodoxie. Doch ungeachtet des scheinbaren und formalen Widerspruchs war George Sand, ich sage das nochmals, vielleicht eine der größten Bekennerinnen Christi, ohne daß sie es selbst wußte. Sie baute ihren Sozialismus, ihre Überzeugungen, Hoffnungen und Ideale auf dem sittlichen Gefühl des Menschen auf, auf dem geistigen Durst der Menschheit, auf dem Streben dieser Menschheit zur Vollkommenheit und zur Reinheit, nicht aber auf ameisenhafter Notwendigkeit. Sie glaubte an die menschliche Persönlichkeit ohne Vorbehalt (sogar bis zur Unsterblichkeit des einzelnen), sie erhöhte und erweiterte die Vorstellung von der Persönlichkeit ihr Leben lang, in jedem ihrer Werke, und eben dadurch stimmte sie sowohl gedanklich wie gefühlsmäßig mit einer der ersten Grundideen des Christentums, d. h. mit der Anerkennung der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Freiheit (also folglich auch ihrer Verantwortlichkeit) überein. Hieraus ergab sich dann auch die Anerkennung der Pflicht wie das strenge sittliche Verlangen danach, wie die vollkommene Anerkennung der menschlichen Verantwortlichkeit. Und vielleicht gab es zu ihrer Zeit nicht einen Denker, nicht einen Schriftsteller, der in einem solchen Maße begriff, daß »... Mensch nicht lebt von Brot allein«. Was aber den Stolz ihrer Forderungen und ihres Protestes anbelangt, so schloß, ich wiederhole es nochmals, dieser Stolz niemals Barmherzigkeit aus oder Verzeihen eines Unrechts, ja nicht einmal unbegrenzte Geduld einfach aus Mitleid mit dem Beleidiger selbst; im Gegenteil, George Sand hat sich in ihren Werken nicht nur einmal von der Schönheit dieser Wahrheiten einnehmen lassen und hat nicht nur einmal Typen der aufrichtigsten Vergebung und Liebe geschaffen. Man berichtet von ihr, daß sie eine prachtvolle Mutter gewesen sei, daß sie sich bis zu ihrem Lebensende gemüht und gearbeitet habe; gestorben sei sie als Freund aller Bauern in der Umgebung, grenzenlos geliebt von ihren Freunden. Es scheint, daß sie zum Teil geneigt war, die Vornehmheit ihrer Abstammung zu schätzen (sie stammte mütterlicherseits vom sächsischen Königshaus ab), doch immerhin kann man mit Sicherheit sagen, daß, wenn sie auch den Aristokratismus in den Menschen schätzte, er für sie doch nur auf der Vollkommenheit der Menschenseele beruhte: sie konnte nicht anders als Größe lieben, sie konnte sich nicht mit Niedrigem aussöhnen, konnte nicht die Idee abtreten – ja, in diesem Sinne war sie vielleicht auch ein wenig gar zu stolz. Es ist wahr, sie liebte auch nicht in ihren Romanen erniedrigte Menschen, gerechte, doch nachgebende, entstellte und eingeschüchterte, wie sie in fast jedem Roman des großen Christen Dickens zu finden sind; im Gegenteil, sie zeichnete ihre Heldinnen stolz, stellte geradezu Königinnen hin. Das liebte sie und diese Besonderheit muß bemerkt werden; sie ist ziemlich charakteristisch.