Aber machte das einen Unterschied?
Ich kann nicht behaupten, daß Gottlieb ausdrücklich begeistert war, als er mich beim Nachhausekommen auf seiner Türschwelle antraf, aber er war auch nicht so ehrlos zu versäumen, mich hereinzubitten. Tatsächlich stellte ich mit gewisser Genugtuung fest, daß er gar nicht anders konnte, als mich einzulassen, wenngleich er diese Freude zu schmälern suchte (vorsätzlich, wie ich glaube), indem er mich Gottlieb junior eine ganze Weile halten ließ. Es war eine fürchterliche Erfahrung.
Anschließend, als wir allein im Eßzimmer waren, erkundigte ich mich: »Und, wieviel Schmutz hast du angehäuft, Gottlieb?«
Er sah mich tadelnd an. »Nenn es nicht Schmutz, George. Das ist respektlos. Fünfzigtausend im Jahr sind Schmutz, da stimme ich dir zu, aber hunderttausend jährlich, plus einige höchst befriedigende Nebeneinkünfte, sind ein finanzieller Status.
Was noch dazukommt: Ich werde demnächst mein eigenes Unternehmen gründen und Multimillionär werden, ein Niveau, ab dem Geld zu einer Tugend wird - oder zu Macht, was natürlich im Grunde dasselbe ist. Mit dieser Macht werde ich unter anderem in der Lage sein, Feinberg aus dem Geschäft zu drängen. Das wird ihn lehren, mir gegenüber Worte zu verwenden, mit denen kein Gentleman einen anderen bedenken sollte. Bei der Gelegenheit - weißt du zufällig, was >Schmendrick< bedeutet, George?«
Diesbezüglich konnte ich ihm nicht weiterhelfen. Ich bin in einer ganzen Reihe von Sprachen bewandert, aber Urdu ist nicht darunter. »Also bist du reich geworden«, stellte ich fest.
»Und ich plane, noch weitaus reicher zu werden.«
»In diesem Fall, Gottlieb, darf ich darauf hinweisen, daß dies erst passiert ist, nachdem ich zugestimmt hatte, dich reich zu machen, woraufhin du mir deinerseits die Hälfte deiner Einkünfte zusagtest.«
Gottliebs Augenbrauen zogen sich mißbilligend zusammen. »Tatest du das? Tat ich das?«
»Nun, ja. Ich gebe zu, es ist eines jener Dinge, die man schnell vergißt, aber glücklicherweise wurde alles schriftlich festgehalten - >in Vergütung erstatteter Dienste<, Unterschrift, notarielles Siegel und so weiter. Und ganz zufallig habe ich eine Kopie dieser Vereinbarung bei mir.«
»Aha. Könnte ich sie wohl einmal sehen?«
»Selbstverständlich, aber ich darf betonen, daß es sich lediglich um eine Fotokopie handelt. Solltest du sie also in deinem Eifer, sie genau zu begutachten, zufällig in kleine Stücke zerreißen, befindet sich das Original immer noch in meinem Besitz.«
»Ein weises Vorgehen, George, aber hab keine Angst. Wenn sich alles so verhält, wie du sagst, dann wird dir kein Bißchen, kein Quentchen, ja: kein einziger Penny vorenthalten bleiben. Ich bin ein Mann von Prinzipien, und ich halte mich wortgetreu an alle Abmachungen.«
Ich gab ihm die Kopie, und er studierte sie aufmerksam. »Ach ja«, sagte er dann. »Ich erinnere mich. Natürlich. Da wäre lediglich eine Kleinigkeit .«
»Was?« wollte ich wissen.
»Nun, diese Vereinbarung bezieht sich auf meine Einkünfte als Schriftsteller. Ich bin kein Schriftsteller, George.«
»Du wolltest einer sein, und du kannst es sein, wann immer du dich an die Schreibmaschine setzt.«
»Aber ich will das gar nicht mehr, George, und ich denke nicht, daß ich mich noch einmal an die Schreibmaschine setzen werde.«
»Aber große Romane bedeuten unsterblichen Ruhm. Was können dir deine idiotischen Werbesprüche schon bieten?«
»Massen von Geld, George, plus eine riesige Firma, dir mir gehören wird und in der unzählige jämmerliche Texter beschäftigt sein werden, deren Leben ich dann in meiner Hand halte. Hatte Tolstoi je etwas Vergleichbares? Oder del Rey?«
Ich konnte es nicht glauben. »Und nach allem, was ich für dich getan habe, weigerst du dich, mir auch nur einen roten Heller abzugeben, einzig aufgrund eines einzelnen Wortes in unserer ehrbaren Abmachung?«
»Hast du dich gar auch schon am Schreiben versucht, George? Ich hätte die Situation nämlich nicht treffender und prägnanter in Worte fassen können. Meine Grundsätze binden mich an den Wortlaut unseres Vertrages, und ich bin ein Mann von Prinzipien.«
Von dieser Position war er nicht abzubringen, und ich ahnte, daß es der Sache nicht zuträglich sein würde, die Sprache auf die elf Dollar zu bringen, die ich für unser letztes gemeinsames Mittagessen bezahlt hatte.
Von dem Vierteldollar Trinkgeld gar nicht zu reden.
George erhob sich und ging, und das in einem Zustand derart theatralischer Verzweiflung, daß ich davon absah, ihn zu bitten, daß er doch vorher seinen Anteil der Getränke zahlen solle. Ich ließ mir die Rechnung bringen, und als sie kam, stellte ich fest, daß sie genau zweiundzwanzig Dollar betrug.
Ich bewunderte die ausgeklügelte Rechenkunst, mit der George sich selbst seine Auslage zurückerstattet hatte, und fühlte mich genötigt, einen halben Dollar Trinkgeld zu hinterlassen.
Vom Übel des Alkohols
»Das Übel, das Alkohol anrichten kann«, sagte George mit einem stark alkoholisierten Seufzer, »läßt sich nur schwer ermessen.«
»Nicht, wenn du nüchtern wärst«, entgegnete ich.
Er starrte mich mit seinen hellblauen Augen an, sein Blick halb vorwurfsvoll, halb entrüstet. »Wann war ich das jemals nicht?« wollte er wissen.
»Seit deiner Geburt«, erklärte ich, doch als ich merkte, daß ich ihm Unrecht tat, schwächte ich meine Anmerkung rasch ab: »Seit du abgestillt wurdest.«
»Ich nehme an«, sagte George, »daß dies einer deiner fruchtlosen Anflüge von Humor sein soll.« Und in wohlbedachter Geistesabwesenheit hob er meinen Drink an die Lippen, trank davon und senkte die Hand wieder, wobei er das Glas mit eisernem Griff umklammert hielt.
Ich ließ ihn gewähren. George einen Drink wegnehmen zu wollen, war etwa so, als versuche man, einer hungrigen Bulldogge ihren Knochen zu stehlen.
Er fuhr fort: »Als ich das sagte, dachte ich an eine junge Frau, der ich einst in onkelhafter Zuneigung zugetan war und die den Namen Ishtar Mistik trug.«
»Ein ungewöhnlicher Name«, merkte ich an.
»Aber ein zutreffender, denn Ishtar ist die babylonische Göttin der Liebe, und eine wahre Liebesgöttin war auch Ishtar - potentiell zumindest.«
Ishtar Mistik [sagte George] war, was man eine höchst ansehnliche Frauengestalt nennen würde, so man über etwas angeborenes Understatement verfügte. Ihr Gesicht war im klassischen Sinne wunderschön, jedes Merkmal perfekt, und gekrönt wurde es durch einen Nimbus goldenen Haares, so fein und glänzend, daß es wie ein Heiligenschein wirkte. Ihren Körper konnte man einzig als aphrodisisch bezeichnen. Er war wogend und wunderschön, eine Kombination von Festigkeit und Nachgiebigkeit, in sanfter Perfektion vereint.
Da du zu schmutzigen Gedanken neigst, magst du dich fragen, woher ich die taktilen Aspekte ihrer Reize kenne, aber ich versichere dir, daß es sich dabei um eine reine Ferneinschätzung handelt, die mir aufgrund meiner großen Erfahrung in solchen Dingen möglich war und in diesem speziellen Fall nicht aus direkter Observation erwuchs.
Vollständig bekleidet hätte sie jedenfalls ein besseres Centerfold abgegeben als jede andere, welche man auf eine Weise abgebildet hätte, die Magazinen zur künstlerischen Darstellung solcher Dinge eigen ist. Schmale Hüften, oben und unten begrenzt von solch ausgeglichener Üppigkeit, wie du sie dir kaum vorstellen kannst, ohne sie je gesehen zu haben; lange Beine, anmutige Arme, jede einzelne Bewegung ein Anlaß zu Verzückung.
Und obgleich man kaum so unverschämt sein könnte, mehr zu verlangen als solche physische Vollkommenheit, verfügte Ishtar noch dazu über einen scharfen und wachen Verstand und hatte ihr Studium an der Columbia University summa cum laude abgeschlossen - auch wenn man gerechterweise davon ausgehen sollte, daß der durchschnittliche Collegelehrer sich beim Benoten von Ishtar Mistik bemüßigt fühlte, im Zweifelsfall zu ihren Gunsten zu entscheiden. Da auch du Lehrer an einem College bist, mein lieber Freund (und ich sage dies, ohne daß ich deine Gefühle verletzen möchte), kann ich nur die niedrigste Meinung von diesem Berufsstand haben.