Aufgrund all dessen hätte man nun annehmen können, daß Ishtar sich die Männer nur auszusuchen brauchte, und daß sie ihre Wahl jeden Tag aus einem frischen Schwung hätte erneuern können. Tatsächlich war mir bereits zuweilen durch den Sinn gegangen, daß ich, sollte ihre Wahl dabei je auf mich fallen, mich bemüht hätte, die Herausforderung aus gentlemanhafter Hochachtung vor dem schönen Geschlecht anzunehmen. Aber wie ich eingestehen muß, zögerte ich, ihr diesen Umstand begreiflich zu machen.
Denn wenn Ishtar überhaupt einen winzigen Makel hatte, dann war es, daß sie eine so ehrfurchtgebietende Erscheinung war. Sie maß über einsfünfundachtzig und hatte eine Stimme, die, wenn sie sich aufregte, an einen Fanfarenstoß erinnerte. Außerdem erinnerte man sich, daß sie sich einst mit einem massigen Rowdy angelegt hatte, der unvorsichtigerweise versuchte, sich bei ihr etwas herauszunehmen, und den sie in die Höhe gehoben und quer über die Straße, die übrigens recht breit war, gegen einen Laternenmast geschleudert hatte. Er verbrachte sechs Monate im Krankenhaus.
Daher herrschte eine gewisse Abneigung auf seiten der männlichen Bevölkerung, ihr gegenüber irgendwelche Avancen zu unternehmen, und seien es die ehrfürchtigsten gewesen. Der unleugbare Impuls, dies zu tun, unterlag zumeist der eingehenden Erwägung, ob es körperlich sicher war, den Versuch überhaupt zu unternehmen. Selbst ich -wie du weißt, tapfer wie ein Löwe - ertappte mich dabei, daß ich die Möglichkeit gebrochener Knochen bedachte. Um einen weisen Spruch zu prägen: Das Gewissen macht Feiglinge aus uns allen.
Ishtar war sich dieser Situation indes nur zu bewußt, und sie beschwerte sich bei mir bitterlich darüber. An eine solche Gelegenheit erinnere ich mich noch gut. Es war ein prächtiger Frühlingstag, und wir saßen zusammen auf einer Bank im Central Park. Wie ich mich weiter entsinne, versäumten bei diesem Anlaß nicht weniger als drei Jogger, einer Wegbiegung zu folgen, da sie die Köpfe nach Ishtar drehten, und endeten mit den Nasen an der Borke eines Baumes.
»Wahrscheinlich muß ich bis an mein Lebensende eine Jungfrau bleiben«, beklagte sie sich, wobei ihre delikat geschwungene Unterlippe bebte. »Niemand scheint sich für mich zu interessieren, kein einziger. Dabei werde ich bald schon fünfundzwanzig.«
»Du mußt verstehen, meine ... meine Liebe«, entgegnete ich und griff vorsichtig zu ihr hinüber, um ihr die Hand zu tätscheln, »daß die jungen Männer aufgrund deiner physischen Erscheinung voller Scheu sind und sich deiner nicht würdig fühlen.«
»Das ist doch lächerlich«, rief sie so laut, daß sich Passanten umdrehten und in unsere Richtung schauten. »Was du sagen willst ist, daß sie sich vor Angst in die Hosen machen. Etwas in der Art, wie diese albernen kleinen Dinger zu mir aufschauen, wenn wir einander vorgestellt werden, und wie sie sich die Fingerknöchel reiben, nachdem wir uns die Hände geschüttelt haben, sagt mir, daß da nie etwas passieren wird. Sie sagen lediglich: »Freut mich, Sie kennenzulernen und machen, daß sie fortkommen.«
»Du mußt sie ermutigen, Ishtar, meine Liebe. Du mußt einen Mann als fragile Blume betrachten, die erst unter deinem warmen Lächeln aufzublühen vermag. Irgendwie mußt du ihm signalisieren, daß du empfänglich für seine Annäherungen bist und davon absehen wirst, ihn an Jackenkragen und Hosenboden zu packen und mit dem Kopf gegen eine Wand zu donnern.«
»Das habe ich nie getan«, sagte sie empört. »Fast nie. Und wie, denkst du, soll ich signalisieren, daß ich empfänglich bin? Ich lächle doch schon und sage >Wie geht's?<, und dann sage ich immer noch >Was für ein schöner Tag<, selbst wenn das gar nicht stimmt.«
»Das reicht noch nicht, meine Liebe. Du mußt den Arm des Mannes ergreifen und sanft unter den deinen klemmen. Du könntest ihm in die Wange kneifen, ihm übers Haar streichen, ein wenig an seinen Fingerspitzen knabbern. Kleine Zeichen wie diese signalisieren ein gewisses Interesse, eine bestimmte Gewilltheit deinerseits, sich in freundschaftlichen Umarmungen und Küssen zu ergehen.«
Ishtar machte ein erschrockenes Gesicht. »Das könnte ich nie tun. Ich könnte es einfach nicht. Ich wurde auf die strengste nur vorstellbare Weise erzogen. Es ist mir nicht möglich, mich auf eine andere als die korrekteste Art zu verhalten. Die Annäherung muß vom Mann ausgehen, und selbst dann noch muß ich mich so stark wie möglich zurückhalten. Das hat mich meine Mutter gelehrt.«
»Aber Ishtar. Tu es doch einfach, wenn sie es nicht mitbekommt.«
»Ich kann nicht. Ich bin einfach ... zu gehemmt. Warum kann ein Mann nicht einfach ... einfach kommen?« Sie errötete bei einem Gedanken, der ihr bei diesen Worten durch den Kopf zu gehen schien, und griff mit ihrer großen, aber perfekt geformten Hand nach ihrem Herz. (Ich fragte mich müßig, ob sie wußte, wie privilegiert ihre Hand in Momenten wie diesem war.)
Ich denke, es war das Wort »gehemmt«, das mich auf die Idee brachte. Ich sagte: »Ishtar, mein Kind, ich hab's. Du mußt dich alkoholischen Getränken hingeben. Es gibt eine ganze Reihe, die durchaus wohlschmeckend sind und auf heilsame Weise beleben können. Wenn du einen jungen Mann einlädst, trink ein paar Grasshoppers mit ihm oder Margaritas oder irgendeines von dem runden Dutzend anderer Getränke, die ich jetzt aufzählen könnte, und du wirst feststellen, daß deine Hemmungen ebenso rasch dahinschwinden werden wie die seinen. Er würde sich ermutigt fühlen, dir Dinge zu unterbreiten, die kein Gentleman einer Dame unterbreiten sollte, und du würdest ermutigt werden, darüber zu kichern und vorzuschlagen, gemeinsam ein dir bekanntes Hotel aufzusuchen, wo deine Mutter dich nie finden wird.«
Ishtar seufzte und erwiderte: »Das wäre wunderbar, aber es würde nicht funktionieren.«
»Natürlich würde es das. Nahezu jeder Mann wäre glücklich, mit dir einen Drink nehmen zu dürfen. Sollte er zögern, biete an, die Rechnung zu übernehmen. Kein Mann, der auch nur irgend etwas wert ist, würde ablehnen, wenn eine Frau offeriert, .«
Sie unterbrach mich. »Das ist es nicht. Das Problem liegt bei mir. Ich kann nicht trinken.«
So etwas hatte ich noch nie gehört. »Du öffnest einfach deinen Mund, meine Liebe .«
»Das weiß ich. Natürlich kann ich trinken - ich meine, das Zeug herunterschlucken. Es ist vielmehr die Wirkung, die es auf mich hat. Es macht mich total benebelt.«
»Du mußt ja nicht gleich so viel trinken, du .«
»Ein Drink setzt mich außer Gefecht, es sei denn, mir wird übel und ich muß mich übergeben. Ich habe es so oft versucht, ich kann einfach nicht mehr als einen Drink zu mir nehmen, und wenn ich das getan habe, bin ich nicht mehr in der Stimmung für ... du weißt schon. Ich glaube, es ist ein Defekt in meinem Stoffwechsel, wenngleich meine Mutter behauptet, es sei ein Geschenk des Himmels, um mich tugendhaft den Tricks böser Männer widerstehen zu lassen, die mir meine Reinheit rauben wollen.«
Ich muß zugeben, daß ich für einen Moment sprachlos war bei dem Gedanken daran, daß es tatsächlich jemand verdienstvoll finden sollte, sich nicht den Freuden der Rebe hingeben zu können. Aber die Vorstellung einer solchen Perversion verstärkte nur meine Entschlossenheit und versetzte mich in eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber jeder Gefahr, daß ich tatsächlich ihren elastischen Oberarm drückte und ausrief: »Mein Kind, überlaß das mir. Ich werde alles arrangieren.«
Ich wußte genau, was ich zu tun hatte.
Zweifellos habe ich dir gegenüber nie meinen Freund Azazel erwähnt, da ich in dieser Hinsicht absolut diskret bin - ich sehe, du willst widersprechen und behaupten, du habest sehr wohl von ihm gehört, aber in Anbetracht dessen, daß du, wie allseits bekannt, ein Verächter der Wahrheit bist (ich erwähne dies, ohne dich in Verlegenheit bringen zu Wollen), überrascht mich das kaum.