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Oder wirf einen Blick auf die Bushaltestelle dort drüben. Seit fünfzehn Minuten beobachte ich sie nun schon. Du wirst bemerkt haben, daß bisher kein Bus gekommen ist und daß es heute sehr windig ist und allmählich spätherbstlich kalt wird. Wie man sehen kann, haben die Leute die Kragen hochgeschlagen und die Hände in die Taschen gesteckt. Ihre Nasen sind rot oder blau angelaufen, und sie treten von einem Fuß auf den anderen, um sich aufzuwärmen. Dennoch macht niemand einen Aufstand, keine Fäuste werden zornig gen Himmel geschüttelt. Die Menschen, die dort warten, haben sich mit den Ungerechtigkeiten des Lebens abgefunden.

Nicht so Mordecai Sims. Wenn er an dieser Bushaltestelle stünde, würde er auf die Straße springen und den fernen Horizont nach Fahrzeugen absuchen. Er würde vor sich hin brummeln und murren und mit den Armen fuchteln. Er würde zu einem Protestmarsch zum Rathaus aufrufen. Kurz gesagt - er würde seinem Adrenalin freien Lauf lassen.

Wie oft hat er sich bei mir darüber beschwert! Wie so viele andere fühlte er sich von meiner kühlen Ausstrahlung angezogen, die Kompetenz und Verständnis verrät.

»Ich bin ein vielbeschäftigter Mann, George«, sagte er dann gehetzt. Er redete stets in einem gehetzten Tonfall. »Es ist eine Schande, ein Skandal und ein Verbrechen, wie sich die Welt gegen mich verschworen hat. Neulich mußte ich wegen einiger Routine-Untersuchungen ins Krankenhaus - Gott weiß, warum, außer daß mein Arzt dummerweise der Meinung ist, er müßte an mir Geld verdienen -und mir wurde mitgeteilt, ich solle mich um 9:40 Uhr auf dieser und jener Station einfinden. Ich bin natürlich pünktlich um 9:40 Uhr dort eingetroffen, nur um am Empfangstisch ein Schild vorzufinden, auf dem stand: >Geöffnet ab 9:30 Uhr<. Genau das stand dort, George - auf Deutsch, ohne daß auch nur ein Buchstabe nicht gestimmt hätte. Hinter dem Empfangstisch saß jedoch kein Mensch. Ich warf noch einmal einen Blick auf die Uhr und sprach dann jemanden an, der so trübsinnig aussah, daß er zum Krankenhauspersonal gehören mochte. >Wo, bitte schön<, sagte ich, >ist der namenlose Unhold, der hinter diesem Empfangstisch sitzen sollte ?< >Noch nicht da<, sagte der nichtswürdige Schurke.

>Dort steht aber, daß ab 9:30 Uhr geöffnet ist.< >Früher oder später wird schon jemand kommen<, erwiderte er mit boshafter Gleichgültigkeit.

Dabei befand ich mich in einem Krankenhaus. Ich hätte im Sterben liegen können. Und kümmerte das jemanden? Nein! Die Frist für ein wichtiges Projekt, auf das ich all mein Herzblut verwandt hatte und mit dem ich genug Geld verdienen würde, um meine Arztrechnung zu bezahlen (vorausgesetzt, ich fand keine bessere Verwendung dafür, was unwahrscheinlich war), rückte immer näher. Und kümmerte das jemanden? Nein! Erst um 10:04 Uhr tauchte endlich jemand auf, und als ich zum Empfangstisch eilte, maß der verspätete Teufel mich mit einem abschätzigen Blick und sagte: >Sie müssen warten, bis Sie aufgerufen werden.<«

Mordecai war voller Geschichten dieser Art; über Fahrstühle, die langsam aufwärts fuhren, während er in der Eingangshalle wartete; über Menschen, die von zwölf bis drei Uhr vierzig zur Mittagspause waren und ihre viertägigen Wochenenden am Mittwoch antraten, immer dann, wenn er sie sprechen mußte.

»Ich frage mich, warum sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hat, die Zeit zu erfinden, George«, sagte er immer. »Wenn es sich dabei nur um einen Vorwand handelt, um neue Methoden zu erfinden, sie zu verschwenden. Ist dir bewußt, daß ich meine Produktivität um zehn bis zwanzig Prozent erhöhen könnte, wenn ich die Stunden, die ich allerlei unverschämtem Gesindel zuliebe mit Warten zubringe, zum Schreiben nutzen könnte? Ist dir außerdem klar, daß dies, trotz des verbrecherischen Geizes der Verleger, eine entsprechende Steigerung meines Einkommens bedeuten würde? - Wo bleibt diese verfluchte Rechnung?«

Ich kam auf den Gedanken, daß es eine nette Geste wäre, ihm zu einem höheren Einkommen zu verhelfen, da er soviel Geschmack besaß, einen Teil davon auf mich zu verwenden. Außerdem hatte er ein Gespür dafür, stets die erstklassigsten Restaurants auszuwählen, und dabei wurde mir immer ganz warm ums Herz. - Nein, kein Vergleich zu diesem hier, mein alter Freund. Dein Geschmack läßt einiges zu wünschen übrig, was man - soweit ich gehört habe - auch an deinen Bücher erkennen kann.

Ich begann also meinen scharfsinnigen Geist anzustrengen und überlegte, wie ich ihm helfen könnte.

Ich habe nicht sofort an Azazel gedacht. Damals hatte ich mich noch nicht ganz an ihn gewöhnt - schließlich ist ein zwei Zentimeter großer Dämon alles andere als alltäglich.

Nach einiger Zeit kam mir jedoch in den Sinn, daß Azazel vielleicht etwas tun könnte, um jemandem mehr Zeit zum Schreiben zu verschaffen. Es erschien mir unwahrscheinlich, und vermutlich würde ich nur seine Zeit verschwenden, aber was bedeutete Zeit schon für ein übernatürliches Wesen?

Ich stimmte also die Folge von uralten Zaubersprüchen und Gesängen an, die nötig sind, um ihn von jenem unbekannten Ort herbeizurufen, den er seine Heimat nennen mag, und er erschien - in Schlaf versunken. Seine winzigen Augen waren fest geschlossen, und ein hohes Summen ging von ihm aus, das auf unregelmäßige und unangenehme Weise auf- und abschwoll. Es mag so etwas wie ein menschliches Schnarchen gewesen sein.

Ich wußte nicht, wie ich ihn am besten wecken sollte und beschloß schließlich, einen Tropfen Wasser auf seinen Bauch fallen zu lassen. Sein Unterleib ist kugelrund, weißt du, als hätte er eine Kugel aus einem Kugellager verschluckt. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das in seiner Welt die Norm ist, aber als ich es ihm gegenüber erwähnte, wollte er wissen, was ein Kugellager sei, und als ich es ihm erklärte, drohte er, mich zu zapulniklisieren. Ich wußte nicht, was das bedeutete, aber dem Klang seiner Stimme nach war es nichts Angenehmes.

Der Wassertropfen weckte ihn, und er war maßlos verärgert. Er redete davon, daß ich ihn beinahe ertränkt hätte und legte in ermüdenden Einzelheiten dar, aufweiche Weise man in seiner Welt jemanden aufzuwecken hätte. Es hatte irgendetwas mit Tanz zu tun, mit Blütenblättern, den sanften Klängen von Musikinstrumenten und den Berührungen reizender Tänzerinnen. Ich sagte ihm, daß auf unserer Welt ein Gartenschlauch den gleichen Zweck erfüllt, und nach ein paar Bemerkungen über unwissende Barbaren hatte er sich schließlich wieder so weit beruhigt, daß ich vernünftig mit ihm reden konnte.

Ich erklärte ihm die ganze Situation und hatte eigentlich erwartet, daß er ohne große Umschweife ein paar Worte Kauderwelsch sprechen würde und die Sache damit erledigt wäre.

Doch weit gefehlt. Stattdessen blickte er mich ernst an und sagte: »Nun, du bittest mich darum, in die Gesetze der Wahrscheinlichkeit einzugreifen.«

Ich war erfreut, daß er die Lage erkannt hatte. »Genau«, sagte ich.

»Aber das ist nicht ganz einfach«, sagte er.

»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Würde ich dich darum bitten, wenn es einfach wäre? Wenn es das wäre, würde ich es selbst tun. Nur in einem verzwickten Fall wie diesem, muß ich jemanden mit deinem überlegenen Intellekt um Hilfe bitten.«

Diese Schmeicheleien sind natürlich ziemlich widerwärtig, aber unvermeidlich, wenn man es mit einem Dämon zu tun hat, der ebenso empfindlich ist, was seine Größe anbelangt wie seinen Kugellagerbauch.

Meine Logik schien ihn zu überzeugen, und er sagte: »Nun, ich habe nicht behauptet, daß es unmöglich ist.«

»Gut.«

»Es würde ein paar Änderungen im Jinwhipper Kontinuum eurer Welt erfordern.«

»Richtig. Das wollte ich gerade vorschlagen.«

»Ich müßte einige Verknüpfungen an den Verbindungspunkten zwischen dem Kontinuum und deinem Freund herstellen - dem mit den Abgabeterminen. Was sind eigentlich Abgabetermine?«

Ich versuchte, es ihm zu erklären, und er sagte mit einem leisen Seufzer: »Ach ja, das ist Teil unserer eher ätherischen Liebesbezeigungen. Hat man mal einen Abgabetermin verpaßt, halten einem die lieben kleinen Geschöpfe das ewig vor. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal .«