Aber ich will dir die unappetitlichen Einzelheiten seines belanglosen Liebeslebens ersparen.
»Allerdings«, sagte er schließlich, »werde ich die Verknüpfungen, wenn ich sie einmal hergestellt habe, nicht mehr lösen können.«
»Warum nicht?«
Azazel erwiderte mit betonter Lässigkeit: »Ich fürchte, daß ist theoretisch unmöglich.«
Ich habe ihm das natürlich nicht abgekauft. Der erbärmliche kleine Dilettant wußte nur nicht, wie es ging. Da er jedoch durchaus in der Lage war, mir das Leben zur Hölle zu machen, zeigte ich ihm nicht, daß ich sein Spiel durchschaut hatte, sondern sagte einfach nur: »Du mußt sie auch nicht mehr lösen. Mordecai will mehr Zeit zum Schreiben, und sobald er die hat, wird er für den Rest seines Lebens zufrieden sein.«
»Nun, wenn das so ist, dann mache ich mich gleich an die Arbeit.«
Er fuchtelte eine ganze Weile mit den Händen in der Luft herum. Ich mußte an die Bewegungen denken, die ein Zauberer macht, nur daß seine Hände zu flackern schienen und hin und wieder für kürzere oder längere Zeit unsichtbar wurden. Allerdings sind seine Hände so klein, daß schon unter normalen Umständen schwer zu erkennen ist, ob sie sichtbar sind oder nicht.
»Was machst du da?« fragte ich ihn, aber Azazel schüttelte nur den Kopf, und seine Lippen bewegten sich, als würde er zählen.
Dann war er offenbar fertig, denn er ließ sich schwer atmend auf die Oberfläche des Tisches sinken.
»Ist es vollbracht?« wollte ich wissen.
Er nickte und erwiderte: »Ich hoffe, dir ist klar, daß ich seinen Entropie-Quotienten mehr oder weniger dauerhaft senken mußte.«
»Was bedeutet das?«
»Das heißt, daß in seiner Umgebung alles ein wenig ordentlicher sein wird, als es sonst der Fall wäre.«
»Gegen Ordnung ist nichts einzuwenden«, sagte ich. (Du wirst es vielleicht nicht glauben, mein alter Freund, aber ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Ich führe eine genaue Liste über jeden Cent, den ich dir schulde. Die Einzelheiten sind auf unzähligen kleinen Zetteln notiert, die ich in meinem Apartment aufbewahre. Du kannst sie jederzeit einsehen, wenn du willst.)
Azazel sagte: »Natürlich ist gegen Ordnung nichts einzuwenden. Es ist nur so, daß man den zweiten Satz der Thermodynamik nicht wirklich umgehen kann. Das bedeutet, daß anderswo etwas mehr Unordnung herrschen wird, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.«
»In welcher Hinsicht?«, fragte ich und überprüfte meinen Reißverschluß. (Man kann nie vorsichtig genug sein.)
»In vielerlei Hinsicht, meistens unmerklich. Ich habe die Auswirkungen über das ganze Sonnensystem verteilt, so daß es ein paar mehr Kollisionen von Asteroiden geben wird als sonst, einige Erdbeben mehr auf Io und so weiter. Am stärksten wird die Sonne betroffen sein.«
»Auf welche Weise?«
»Nach meinen Schätzungen wird sie zweieinhalb Millionen Jahre früher die Temperatur erreichen, die ein Leben auf der Erde unmöglich macht, als vor meinem Eingriff in das Kontinuum.«
Ich zuckte mit den Achseln. Was sind schon ein paar Millionen Jahre, wenn dafür jemand mit diesem fröhlichen Gesichtsausdruck, den man so gerne sieht, meine Restaurantrechnungen bezahlt?
Etwa eine Woche später aß ich wieder mit Mordecai zu Mittag. Er wirkte ziemlich aufgeregt, während er seinen Mantel in der Garderobe abgab, und als er am Tisch anlangte, an dem ich mit meinem Getränk geduldig auf ihn wartete, schenkte er mir ein strahlendes Lächeln.
»George«, sagte er, »ich habe eine äußerst ungewöhnliche Woche hinter mir.« Er hielt die Hand hoch, ohne hinzuschauen, und schien nicht im mindesten überrascht, als ihm sofort die Karte gereicht wurde. Und das in einem Restaurant, in dem die hochnäsige und herrische Bande von Kellnern einem die Karte erst aushändigte, wenn man eine Bewerbung in dreifacher Ausführung vorweisen konnte, die vom Geschäftsführer gegengezeichnet war.
Mordecai sagte: »George, alles klappt wie am Schnürchen.«
Ich mußte ein Lächeln unterdrücken. »Tatsächlich?«
»Wenn ich in die Bank komme, finde ich sofort einen leeren Schalter, und der Kassierer lächelt mich an. Gehe ich in die Post, finde ich ebenfalls einen leeren Schalter vor und - nun, von einem Postangestellten darf man vermutlich kein Lächeln erwarten, aber zumindest hat er meinen Brief fast ohne ein Murren entgegengenommen. Wenn ich an die Bushaltestelle komme, fährt der Bus vor, und zur Hauptverkehrszeit gestern hatte ich kaum die Hand gehoben, als auch schon ein Taxi ausschwenkte und vor mir anhielt. Und auch noch eines von den gelben Taxis! Als ich den Fahrer bat, mich zur Fünften Ecke Neunundvierzigste Straße zu fahren, brachte er mich dorthin, ohne auch nur einmal nach der Fahrtrichtung zu fragen. Er sprach sogar Englisch. - Was möchtest du essen, George?«
Ein kurzer Blick auf die Karte genügte. Offenbar war alles so gefügt, daß selbst ich ihn nicht aufhalten sollte. Mordecai warf die Karte zur Seite und gab rasch die Bestellung für uns beide auf. Ich bemerkte, daß er nicht einmal aufblickte, um sich zu überzeugen, ob der Kellner tatsächlich neben ihm stand. Er nahm bereits wie selbstverständlich an, daß er da sein würde.
Und das war auch der Fall.
Der Kellner rieb sich die Hände, verbeugte sich und servierte das Essen mit Schnelligkeit, Anmut und Effizienz.
Ich sagte: »Du scheinst eine ganz erstaunliche Glückssträhne zu haben, Mordecai, mein Freund. Wie erklärst du dir das?« (Zugegebenermaßen habe ich einen Augenblick daran gedacht, ihn davon zu überzeugen, daß ich dafür verantwortlich war. Wenn er das wüßte, würde er mich dann nicht mit Gold überhäufen oder - in diesen profanen Zeiten - mit Papier?)
»Ganz einfach«, sagte er, steckte sich die Serviette in den Kragen und packte Messer und Gabel mit entschlossenem Griff, denn bei all seinen Tugenden war Mordecai kein Kostverächter. »Das hat nichts mit Glück zu tun. Es ist das zwangsläufige Ergebnis der Wendungen des Zufalls.«
»Des Zufalls?«, erwiderte ich entrüstet.
Mordecai sagte: »Sicher. Mein ganzes Leben lang mußte ich die erbärmlichste Kette von zufälligen Verzögerungen ertragen, die die Welt je gesehen hat. Die Gesetze des Zufalls erfordern es, daß eine solche Ansammlung von Pech ausgeglichen wird, und das geschieht gerade. Wahrscheinlich wird das für den Rest meines Lebens so weitergehen - davon gehe ich jedenfalls aus. Ich bin sogar sicher. Alles wird sich wieder ausgleichen.« Er beugte sich zu mir herüber und tippte mir auf überaus unangenehme Weise gegen die Brust. »Verlaß dich darauf. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit kann man nicht umgehen.«
Während des gesamten Essens hielt er mir Vorträge über die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, über die er - da bin ich ziemlich sicher - genausowenig wußte wie du.
Schließlich sagte ich: »Bestimmt kommst du jetzt viel mehr zum Schreiben?«
»Selbstverständlich«, erwiderte er. »Ich schätze, die Zeit, die mir zum Schreiben zur Verfügung steht, hat sich um zwanzig Prozent erhöht hat.«
»Und ich nehme an, deine Produktivität ist entsprechend gestiegen?«
»Nun«, sagte er ein wenig unbehaglich, »noch nicht, fürchte ich. Natürlich muß ich mich erstmal darauf einstellen. Ich bin es nicht gewohnt, Dinge so schnell erledigen zu können. Das hat mich völlig überrascht.«
Offen gestanden, wirkte er nicht überrascht. Er hob die Hand und nahm ohne hinzusehen die Rechnung entgegen, die der Kellner gerade gebracht hatte. Er warf einen flüchtigen Blick darauf und reichte sie zusammen mit einer Kreditkarte an den Kellner zurück, der tatsächlich genau darauf gewartet hatte und sich sogleich im Laufschritt entfernte.
Das gesamte Essen hatte kaum mehr als dreißig Minuten in Anspruch genommen. Ich möchte dir nicht verschweigen, daß ich zivilisierte zweieinhalb Stunden vorgezogen hätte, mit einem Champagner vorab, einem Brandy hinterher, ein oder zwei guten Weinen zwischen den Gängen und gepflegter Unterhaltung in den Pausen. Mich versöhnte jedoch die Tatsache, daß Mordecai zwei Stunden gewonnen hatte, in denen er Geld scheffeln konnte - für sich, und in gewisser Weise ja auch für mich.