Wir verbrachten die unglücklichste Happy Hour, die ich jemals erlebt habe.
»Ich schwöre dir, George«, sagte Mordecai, »jemand muß mich verflucht haben. Irgendeine böse Fee hat aus Wut darüber, daß sie nicht zu meiner Taufe eingeladen war, nach etwas gesucht, das noch schlimmer ist, als auf Schritt und Tritt Verzögerungen ertragen zu müssen. Und sie ist auf einen Fluch gestoßen, der bewirkt, daß einem jeder Wunsch auf der Stelle erfüllt wird.«
Angesichts seines Kummers stieg mir eine nicht unmännliche Träne ins Auge, besonders bei dem Gedanken, daß ich jene böse Fee war, von der er sprach, und daß er das auf irgendeine Weise herausfinden könnte. Schließlich mochte er sich in seiner Verzweiflung womöglich umbringen oder - was noch schlimmer wäre -mich.
Doch der schlimmste Schrecken erwartete mich noch. Als er nach der Rechnung verlangte und diese natürlich auf der Stelle erhalten hatte, musterte er sie mit trübem Blick, schob sie dann zu mir hinüber und sagte mit einem gequälten Lachen: »Hier, bezahl du. Ich gehe nach Hause.«
Ich habe die Rechnung bezahlt. Was blieb mir anderes übrig? Aber es hat eine Wunde gerissen, die ich an feuchten Tagen immer noch spüren kann. Hatte ich vielleicht die Lebensdauer der Sonne um zweieinhalb Millionen Jahre verringert, um meine Cocktailrechnung selbst zu bezahlen? Ist das Gerechtigkeit?
Ich habe Mordecai nie wieder gesehen. Wie ich später gehört habe, hat er das Land verlassen und arbeitet irgendwo in der Südsee als Strandgutsammler.
Ich weiß nicht genau, was die Aufgabe eines Strandgutsammlers ist, aber ich vermute, man wird nicht reich dabei. Eines weiß ich allerdings mit Sicherheit: Wenn er am Strand ist und sich nach einer Welle sehnt, wird sie nicht lange auf sich warten lassen.
In diesem Augenblick brachte uns ein grinsender Lakai die Rechnung und legte sie vor uns auf den Tisch. Wie üblich ging George über diese Geste hinweg, als hätte er sie nicht bemerkt.
Ich sagte: »Du hast doch nicht etwa vor, Azazel auch für mich etwas Gutes tun zu lassen, George?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte George. »Leider, mein alter Freund, bist du nicht gerade jemand, den man mit guten Taten bedenken möchte.«
»Dann wirst du also nichts für mich tun?«
»Nicht das geringste.«
»Gut«, sagte ich. »Dann bezahle ich die Rechnung.«
»Das ist das mindeste, was du tun kannst«, erwiderte George.
Winter ist so schön
George und ich saßen an einem Fensterplatz im La Boheme, einem französischen Restaurant, das er hin und wieder auf meine Kosten besuchte, und ich sagte: »Es wird wohl Schnee geben.«
Nun war das kein großer Beitrag zur Vermehrung des Wissens auf dieser Welt. Den ganzen Tag über war es dunkel und bedeckt gewesen, die Temperaturen lagen unter dem Nullpunkt, und der Wetterbericht hatte Schnee vorhergesagt. Dennoch war ich ein wenig beleidigt, als George meine Bemerkung vollkommen ignorierte.
Er sagte: »Ich mußte gerade an meinen Freund Septimus Johnson denken.«
»Warum?« fragte ich. »Was hat der denn damit zu tun, daß es wahrscheinlich schneien wird?«
»Er befindet sich am logischen Endpunkt einer Folge von Gedanken«, sagte George ernst. »Davon haben dir sicherlich schon andere Leute erzählt, auch wenn du so etwas selbst noch nie erlebt hast.«
Mein Freund Septimus [sagte George] war ein aufbrausender junger Mann, dessen Gesicht ständig einen finsteren Ausdruck zeigte und an dessen Oberarmen sich mächtige Muskelpakete wölbten. In seiner Familie war er das siebte Kind - daher der Name. Er hatte einen jüngeren Bruder, der Octavius hieß, und eine jüngere Schwester namens Nina. Ich weiß nicht, wie weit sich diese Ziffernfolge fortsetzte, aber es müssen die beengten Verhältnisse seiner Jugend gewesen sein, die in späteren Jahren dazu führten, daß er so merkwürdig versessen auf Stille und Einsamkeit war.
Als er erwachsen geworden war und mit seinen Romanen einen gewissen Erfolg errungen hatte (so wie du, mein alter Freund, nur daß die Kritiker sich über seine Werke hin und wieder recht lobend äußern), verfügte er schließlich über genügend Geld, um seinen absonderlichen Leidenschaften zu frönen. Kurz gesagt, er kaufte sich ein einsames Haus auf einem abgelegenen Stück Land im Norden des Staates New York und zog sich oft für kürzere oder längere Zeitspannen dorthin zurück, um seine Romane zu schreiben. Das Grundstück war nicht völlig von jeder Zivilisation abgeschnitten, aber doch zumindest von scheinbar unberührter Wildnis umgeben, soweit das Auge reichte.
Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, den er jemals freiwillig zu einem Besuch auf seinem Landsitz eingeladen hat. Vermutlich fühlte er sich von der ruhigen Würde meines Benehmens und der faszinierenden Vielfalt meiner Unterhaltung angezogen. Er hat nie auch nur mit einem Sterbenswort erwähnt, was ihn an mir faszinierte, doch etwas anderes kann es wohl kaum gewesen sein.
Natürlich mußte man im Umgang mit ihm stets Vorsicht walten lassen. Jeder, der einmal den freundlichen Schlag auf den Rücken gespürt hat, mit dem Septimus Johnson seine Freunde so gern begrüßte, weiß, wie sich eine gebrochene Wirbelsäule anfühlt. Dennoch erwies sich sein beiläufiger Einsatz von Körperkraft bei unserer ersten Begegnung durchaus als nützlich.
Damals wurde ich von ein oder zwei Dutzend Rowdys bedroht, die meine vornehme Haltung und Erscheinung zu der Annahme verleitet hatten, ich würde unbeschreiblichen Reichtum in Form von Geld und Juwelen bei mir tragen. Ich wehrte mich verzweifelt, da ich an jenem Tag zufälligerweise nicht einen Cent in der Tasche hatte. Mir war bewußt, daß mich die Rowdys, wenn sie dies herausfänden, in ihrer Enttäuschung mit der größten Rohheit behandeln würden.
In diesem Augenblick erschien Septimus, der gerade über einen Text nachgrübelte, an dem er damals schrieb. Die Horde von Unholden war ihm im Weg, und da er zu sehr in Gedanken versunken war, als daß er ihnen hätte ausweichen können, ging er direkt durch sie hindurch und schleuderte sie geistesabwesend beiseite, zwei links, drei rechts. Als der Morgen dämmerte, stieß er schließlich am Grunde des Durcheinanders auf mich, und just in diesem Augenblick fiel ihm eine Lösung für das literarische Problem ein, über das er nachdachte - worum auch immer es sich dabei gehandelt haben mochte. Er betrachtete mich daher als Glücksbringer und lud mich zum Essen ein. Da ich eine Einladung zum Essen für einen noch viel größeren Glücksfall halte, habe ich angenommen.
Im Verlauf der Mahlzeit war er so meiner Anziehungskraft erlegen, daß er mich auf seinen Landsitz einlud. Solche Einladungen wiederholten sich oft. Einmal sagte er zu mir, daß er sich in meiner Gesellschaft beinahe so fühlte, als würde er alleine sein, und von jemandem, der die Einsamkeit so sehr liebte wie er, war das ganz offensichtlich ein großes Kompliment.
Eigentlich hatte ich eine armselige Hütte erwartet, doch weit gefehlt: Septimus hatte mit seinen Romanen eindeutig gut verdient und keine Kosten gescheut. (Ich weiß, es ist ein wenig unhöflich, in deiner Gegenwart von erfolgreichen Romanen zu sprechen, alter Freund, aber wie immer fühle ich mich den Tatsachen verpflichtet.)
Obwohl das Haus so einsam gelegen war, daß es mich dort stets ein wenig gruselte, verfügte es über Elektrizität, die von einem Ölgenerator im Keller und Solarzellen auf dem Dach erzeugt wurde. Das Essen war gut, und Septimus besaß einen hervorragenden Weinkeller. Wir lebten in vollendetem Luxus - ein Zustand, an den ich mich trotz mangelnder Gewohnheit schon immer erstaunlich leicht anpassen konnte.
Natürlich ließ sich nicht gänzlich vermeiden, daß mein Blick ab und zu durch ein Fenster fiel, und die Gleichförmigkeit der Landschaft war erstaunlich deprimierend. Selbstverständlich gab es Hügel und Felder, einen kleinen See und unglaubliche Massen widerlich grüner Vegetation. Aber nirgends war ein Zeichen menschlicher Behausung zu sehen, keine Straßen oder irgend etwas anderes Sehenswertes - von ein paar Telegraphenmasten abgesehen.