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»Keine Angst«, erwiderte er, kam auf die Füße und lief los. Ich sah zu, wie er beinahe einen Kilometer weit über die schneebedeckte Einöde seines Landes raste, und an meine Ohren drang ein fernes Krächzen: »Schneemann bau'n und Schneeballschlacht, Winter ist so schön, hat geschneit die ganze Nacht ...«.

Du mußt wissen, daß Septimus die Höhe eines Tones nur errät und dabei ständig falsch liegt. Ich hielt mir die Ohren zu.

Für mich brach der wohl glücklichste Winter meines Lebens an. Die ganze Zeit über saß ich in dem warmen und gemütlichen Haus, als und trank wie ein König, las erbauliche Bücher und versuchte dabei, gewitzter zu sein als der Autor und herauszufinden, wer der Mörder war, während ich mir mit großer Genugtuung die Verärgerung meiner Gläubiger in der Stadt vorstellte.

Durch das Fenster konnte ich beobachten, wie Septimus seine endlosen Runden über den Schnee drehte. Er sagte, er fühle sich dabei wie ein Vogel und hätte eine Freude an der Weite des Raums wie nie zuvor. Nun ja, jedem das seine.

Ich warnte ihn jedoch davor, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. »Es würde mich in Gefahr bringen«, sagte ich, »denn die CIA würde diese privaten Experimente nicht gutheißen. Mich selbst kümmert diese Gefahr nicht, weil die Wissenschaft für jemanden wie mich über allem steht. Wenn allerdings jemand beobachten sollte, wie du über den Schnee gleitest, würdest du gewaltige Aufmerksamkeit erregen, und Dutzende von Journalisten würden über dich herfallen. Die CIA würde davon erfahren, und du müßtest Experimente über dich ergehen lassen, in denen dich Hunderte von Wissenschaftlern und Armeeangehörige in deine Bestandteile zerlegen. Du würdest nie wieder auch nur für eine Minute allein sein. Im ganzen Land würdest du Berühmtheit erlangen und wärst ständig von Tausenden von Leuten umgeben, die sich um dich sorgen.«

Diese Aussicht ließ Septimus erschaudern, was - wie ich nur zu gut wußte - für jemanden, der so sehr die Einsamkeit liebte wie er, nur natürlich war. Dann sagte er: »Aber wie soll ich meine Vorräte auffüllen, wenn ich eingeschneit bin? Darum ging es doch in diesem Experiment.«

Ich erwiderte: »Ich bin sicher, die Lastwagen werden fast immer auf den Straßen bis hierher gelangen, und du kannst genug Vorräte anlegen für den Fall, daß sie es einmal nicht schaffen. Solltest du tatsächlich irgend etwas dringend benötigen, wenn du gerade eingeschneit bist, kannst du so nah an die Stadt herangleiten wie möglich und dabei aufpassen, daß dich niemand sieht. Zu solchen Zeiten werden nur sehr wenige Leute unterwegs sein, möglicherweise überhaupt niemand. Dann stellst du dein normales Gewicht wieder her, legst die letzten hundert Schritte zu Fuß zurück und versuchst erschöpft auszusehen.

Du kaufst ein, was du brauchst, entfernst dich wieder einige hundert Schritte von der Stadt und läufst dann los. Verstehst du?«

In Wahrheit bestand während des gesamten Winters nicht ein einziges Mal die Notwendigkeit zu einem solchen Ausflug. Ich hatte mir von Anfang an gedacht, daß er die Gefahr, die von den Schneemassen ausging, etwas übertrieben hatte. Es hat auch nie jemand beobachtet, wie er über den Schnee glitt.

Septimus konnte davon nicht genug bekommen. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, wenn der Schnee einmal eine Woche lang ausblieb oder die Temperaturen über den Gefrierpunkt stiegen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr er darauf hoffte, daß die Schneedecke sich hielt.

Was für ein herrlicher Winter! Wie tragisch, daß es der einzige bleiben sollte!

Was geschehen ist? Ich will dir erzählen, was geschehen ist. Erinnerst du dich an den Satz, den Romeo spricht, bevor er Julia mit dem Dolch ersticht? Wahrscheinlich nicht, also werde ich dir auf die Sprünge helfen. Er sagt: »Laß ein Weib an dich heran, und die Vernunft läßt dich im Stich.«

Im darauffolgenden Herbst lernte Septimus eine Frau kennen - Mercedes Gumm. Er hatte auch früher schon Affären gehabt, schließlich war er kein Einsiedler, aber noch nie hat ihm eine Frau soviel bedeutet. Meist hatte er sich eine Zeitlang mit ihnen getroffen, sich leidenschaftlich in sie verliebt und sie schließlich vergessen, ebenso wie sie ihn. Dagegen ist nichts einzuwenden. Schließlich haben mir selbst schon einige junge Damen nachgestellt, und ich konnte daran nichts Schlechtes finden, selbst wenn sie mich hin und wieder in die Enge getrieben haben und -aber ich schweife ab.

Septimus besuchte mich in bedrückter Stimmung. »Ich liebe sie, George«, sagte er. »Ich kann an nichts anderes mehr denken. Mein ganzes Leben dreht sich um sie.«

»Wie reizend«, erwiderte ich. »Von mir aus darfst du dich gern eine Zeitlang mit ihr treffen.«

»Danke, George«, sagte Septimus düster. »Aber was ich wirklich brauche, ist ihr Einverständnis. Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie scheint sie mich nicht besonders zu mögen.«

»Wie seltsam«, sagte ich. »Sonst hast du doch meist Erfolg bei den Frauen. Immerhin bist du reich, sportlich und nicht häßlicher als die meisten anderen.«

»Ich denke, es liegt an meinen Muskeln«, sagte Septimus. »Sie hält mich für einen Einfaltspinsel.«

Ich konnte Miss Gumm für ihren Scharfsinn nur bewundern. Um es freundlich zu formulieren: Septimus war tatsächlich ein Einfaltspinsel. Eingedenk der Muskelpakete, die sich unter den Ärmeln seines Jacketts wölbten, hielt ich es jedoch für das Beste, ihm meine Einschätzung der Lage vorzuenthalten.

»Sie sagt, daß ihr das Körperliche gleichgültig ist. Stattdessen möchte sie einen Mann, der aufmerksam ist, intelligent, zutiefst vernünftig, philosophisch und noch einen Haufen andere Eigenschaften dieser Art besitzt. Außerdem sagt sie, daß ich diesem Ideal nicht im geringsten entspreche.«

»Hast du ihr erzählt, daß du Schriftsteller bist?«

»Natürlich. Und sie hat sogar ein paar meiner Romane gelesen. Aber weißt du, George, es geht darin meist um Fußballspieler, und sie sagt, sie findet das abstoßend.«

»Ich nehme an, sie ist nicht besonders sportlich?«

»Nicht im mindesten. Sie schwimmt«, er verzog das Gesicht, als würde er sich daran erinnern, wie er im zarten Alter von drei Jahren durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt wurde, »aber das macht die Sache auch nicht besser.«

»Wenn das so ist«, sagte ich besänftigend, »dann vergiß sie, Septimus. Frauen sind nicht so schwer zu finden. Die eine geht, die nächste kommt. Es gibt viele Fische im Meer und Vögel in der Luft. Im Dunkeln sind sie alle gleich. Ob diese Frau oder eine andere, das spielt doch keine Rolle.«

Ich hätte endlos weiterreden können, aber er schien seltsam unruhig zu werden, während er mir zuhörte, und einen Einfaltspinsel sollte man nicht beunruhigen.

Septimus sagte: »Aber George, deine Ansichten kränken mich zutiefst. Mercedes ist für mich das einzige Mädchen auf dieser Welt. Ohne sie könnte ich nicht leben. Sie ist untrennbar verbunden mit meinem innersten Selbst. Sie ist der Hauch meiner Lungen, das Schlagen meines Herzens, das Licht meiner Augen. Sie -«

Er wollte gar nicht mehr aufhören, und es schien ihn nicht im geringsten zu kümmern, daß er mich mit seinen Ansichten zutiefst kränkte.

Er sagte: »Ich sehe also keinen anderen Ausweg, als sie zu heiraten.«

Mit diesen Worten nahm das Verhängnis seinen Lauf. Ich wußte genau, was geschehen würde. Sobald sie geheiratet hatten, wäre es mit meinem Paradies vorbei. Ich weiß nicht warum, aber frischgebackene Ehefrauen bestehen grundsätzlich darauf, daß unverheiratete Freunde ihren Abschied nehmen. Ich würde nie wieder auf Septimus' Landsitz eingeladen werden.

»Das kannst du nicht machen«, sagte ich bestürzt.

»Oh, ich gebe zu, es ist ein folgenschwerer Schritt, aber ich denke, ich werde es schaffen. Ich habe mir schon etwas ausgedacht. Mercedes mag mich für einen Einfaltspinsel halten, aber ich bin nicht vollkommen verblödet. Ich werde sie Anfang des Winters auf meinen Landsitz einladen. Dort, in der Ruhe und Harmonie meines kleinen Eden, wird sich ihr ganzes Wesen öffnen, und sie wird die wahre Schönheit meiner Seele erkennen.«