Ich war der Meinung, daß er sich von Eden eindeutig zuviel versprach, doch ich sagte: »Du wirst ihr doch nicht etwa zeigen, wie du über den Schnee gleiten kannst, oder?«
»Nein, nein«, erwiderte er. »Erst wenn wir verheiratet sind.«
»Selbst dann -«
»Unsinn, George«, sagte Septimus vorwurfsvoll. »Eine Ehefrau ist die bessere Hälfte ihres Mannes. Einer Ehefrau kann man die tiefsten Geheimnisse seiner Seele anvertrauen. Eine Ehefrau -«
Erneut erging er sich in endlosen Reden, und alles, was ich tun konnte, war, mit schwacher Stimme zu erwidern: »Der CIA wird das nicht gefallen.«
Seiner knappen Bemerkung über die CIA würden die Sowjets sicher von ganzem Herzen zustimmen. Kuba und Nicaragua ebenso.
»Ich werde sie irgendwie dazu überreden, Anfang Dezember mit mir zu kommen«, sagte er. »Ich nehme an, du hast Verständnis dafür, George, daß wir beide allein sein wollen. Ich weiß, du würdest nicht im Traum daran denken, den romantischen Möglichkeiten, die die friedliche Einsamkeit der Natur für mich und Mercedes bereit hält, im Wege zu stehen. Die Stille und das langsame Verstreichen der Zeit wird uns sicher auf unwiderstehliche Weise zusammenführen.«
Natürlich erkannte ich das Zitat. Diesen Satz spricht Macbeth, kurz bevor er Duncan mit dem Dolch ersticht, aber ich starrte Septimus nur kalt und würdevoll an. Einen Monat später begleitete Miss Gumm Septimus tatsächlich auf seinen Landsitz, und ich mußte zu Hause bleiben.
Was auf dem Landsitz geschehen ist, habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen. Ich weiß nur das, was Septimus mir erzählt hat, deshalb kann ich nicht für alle Einzelheiten bürgen.
Miss Gumm war tatsächlich eine Schwimmerin, aber da Septimus eine unüberwindliche Abneigung gegen dieses spezielle Hobby verspürte, stellte er ihr keine weiteren Fragen dazu. Und Miss Gumm hielt es offenbar nicht für notwendig, einem Einfaltspinsel von sich aus weitere Einzelheiten darüber zu erzählen. Daher hatte Septimus nie herausgefunden, daß Miss Gumm eine jener Verrückten war, die sich gern mitten im Winter einen Badeanzug anziehen, auf einem See ein Loch ins Eis hacken und ins eiskalte Wasser springen, um ein gesundes und belebendes Bad zu nehmen.
So kam es, daß Miss Gumm an einem klaren und frostigen Morgen aufwachte, während Septimus noch immer in einfältigem Schlummer lag, Badeanzug, Frotteemantel und Turnschuhe anzog und auf dem schneebedeckten Pfad zum See lief. Der Rand des Sees war mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, aber in der Mitte war er noch nicht zugefroren. Sie zog also Mantel und Turnschuhe aus und sprang offenbar mit dem größten Vergnügen in das eisige Wasser.
Septimus erwachte kurz darauf, und der feinfühlige Instinkt des Liebenden teilte ihm auf der Stelle mit, daß seine geliebte Mercedes nicht da war. Er lief durch das ganze Haus und rief ihren Namen. Als er ihre Kleider und ihre anderen Sachen in ihrem Zimmer entdeckte, wußte er, daß sie nicht heimlich in die Stadt zurückgefahren war, wie er zunächst befürchtet hatte. Sie mußte also aus dem Haus gegangen sein.
Hastig stieg er mit nackten Füßen in seine Stiefel und zog seinen dicksten Mantel über den Schlafanzug. So eilte er hinaus und rief ihren Namen.
Miss Gumm hörte ihn natürlich, winkte mit den Armen in seine Dichtung und rief: »Hier drüben, Sep! Hier drüben.«
Was als nächstes geschah, erzähle ich dir in Septimus' eigenen Worten. Er sagte: »In meinen Ohren klang es wie: >Hier drüben, Hilfe, Hilfe !< Ich gelangte also zu der logischen Schlußfolgerung, daß meine Geliebte sich in einem Anfall von Wahnsinn auf das Eis hinausgewagt hatte und ins Wasser gefallen war. Wie hätte ich auf den Gedanken kommen sollen, daß sie sich aus freien Stücken in den eisigen See stürzen würden.
Ich liebte sie so sehr, George, daß ich auf der Stelle bereit war, dem Wasser zu trotzen, das ich in meiner Feigheit normalerweise fürchte - besonders eiskaltes Wasser - und ihr zu Hilfe zu eilen. Nun, vielleicht nicht auf der Stelle, aber ich habe wirklich nicht länger als zwei Minuten darüber nachgedacht, allerhöchstens drei.
Dann schrie ich: >Ich komme, meine Einzige, meine Geliebte! Behalt den Kopf über Wasser !<, und rannte los. Ich wollte nicht durch den Schnee dorthin laufen. Ich glaubte, daß ich dafür nicht genug Zeit hätte. Daher machte ich mich leichter, während ich lief und schlitterte los, über die dünne Schneedecke, über das Eis, das den Rand des Sees bedeckte, und mit einem fürchterlichen Platschen ins Wasser hinein.
Wie du weißt, kann ich nicht schwimmen und habe eigentlich furchtbare Angst vor dem Wasser. Stiefel und Mantel zogen mich außerdem nach unten, und ich wäre ertrunken, hätte Mercedes mich nicht gerettet.
Man hätte meinen sollen, daß diese romantische Rettungsaktion uns näher zusammengeführt, uns zusammengeschweißt hätte, aber - «
Septimus schüttelte den Kopf, und in seinen Augen standen Tränen. »Dem war leider nicht so. Stattdessen wurde sie wütend. >Du Einfaltspinsels kreischte sie. >Stürzt dich ins Wasser mit Mantel und Stiefeln und kannst nicht einmal schwimmen. Was in aller Welt hast du dir dabei gedacht? Weißt du, was es für ein Kampf war, dich aus dem See zu ziehen? Und du hattest solche Angst, daß du mir einen Schlag gegen das Kinn versetzt hast. Ich hätte beinahe das Bewußtsein verloren, und dann wären wir beide ertrunken. Außerdem tut es immer noch weh.«
Sie packte ihre Sachen und reiste beleidigt ab. Ich blieb auf meinem Landsitz und bekam kurz darauf eine böse Erkältung, von der ich mich immer noch nicht ganz erholt habe. Seither habe ich sie nicht mehr wiedergesehen - sie antwortet nicht auf meine Briefe und ruft mich nicht zurück. Mein Leben ist vorbei, George.«
Ich sagte: »Nur aus Neugierde, Septimus, aber warum hast du dich in das Wasser gestürzt? Warum bist du nicht am Ufer des Sees stehengeblieben oder so weit auf das Eis hinausgegangen, wie du es wagen konntest? Dann hättest du ihr einen langen Stock hinhalten oder ein Seil zuwerfen können, wenn du eines gefunden hättest ...«
Septimus blickte betrübt drein. »Ich wollte mich ja gar nicht ins Wasser stürzen. Ich wollte darüber hinweggleiten.«
»Darüber hinweggleiten? Habe ich dir nicht gesagt, daß deine Schwerelosigkeit nur auf dem Eis funktioniert?«
Septimus starrte mich mit wildem Blick an. »Das habe ich mir schon gedacht. Du hast gesagt, daß es nur über H2O funktioniert. Das schließt Wasser mit ein, oder nicht?«
Er hatte recht. H2O klang wissenschaftlicher, und ich hatte die Rolle des genialen Wissenschaftlers spielen wollen. Ich sagte: »Ich meinte H2O in festem Zustand.«
»Aber das hast du nicht gesagt«, erwiderte er und stand langsam auf, wie mir schien in der eindeutigen Absicht, mich in meine Bestandteile zu zerlegen.
Ich habe das Weite gesucht, ehe ich herausfinden konnte, ob dies tatsächlich zutraf. Seitdem habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen. Natürlich bin ich auch nie wieder auf seinem paradiesischen Landsitz gewesen. Ich glaube, er lebt heute auf einer Südseeinsel, hauptsächlich deshalb, denke ich, weil er nie wieder Eis oder Schnee sehen will.
Wie schon gesagt: »Laß ein Weib an dich heran, und die Vernunft läßt dich im Stich.« Wenn ich so darüber nachdenke, könnte es auch Hamlet gewesen sein, der diesen Satz spricht, kurz bevor er Ophelia mit dem Dolch ersticht.«
George ließ einen langen, weinseligen Seufzer aus den Tiefen dessen aufsteigen, was er für seine Seele hielt, und sagte: »Das Restaurant macht gleich zu, und wir sollten besser aufbrechen. Hast du die Rechnung bezahlt?«
Bedauerlicherweise hatte ich das getan.
»Kannst du mir vielleicht einen Fünfer leihen, mein alter Freund, damit ich nach Hause komme?«