Zu meinem noch größeren Bedauern konnte ich auch das.
Logik bleibt Logik
George gehörte nicht zu jenen feigen Geschöpfen, die der Meinung sind, daß sie ein Essen, das sie nicht bezahlen, auch nicht kritisieren dürfen. Für gewöhnlich brachte er mir gegenüber seine Enttäuschung mit soviel Feingefühl zum Ausdruck, wie ihm zu Gebote stand - oder wie er glaubte, mir zuliebe aufbringen zu müssen, was natürlich nicht ganz das gleiche ist.
»Dieses Smörgasbord«, sagte er, »läßt sehr zu wünschen übrig. Die Fleischbällchen sind nicht heiß genug, der Hering ist nicht salzig genug, die Garnelen sind nicht knusprig genug, und der Käse ist nicht reif genug, an den Teufelseiern fehlt Pfeffer und -«
Ich sagte: »Aber George, das ist der dritte Teller, den du davon verschlungen hast. Noch ein Bissen, und du mußt dir den Magen aufschneiden lassen, damit noch etwas hineinpaßt. Warum ißt du soviel davon, wenn es dir nicht schmeckt?«
George lachte herablassend. »Soll ich etwa meinen Gastgeber beleidigen, indem ich sein Essen verschmähe?«
»Das ist nicht mein Essen, es wurde vom Koch des Restaurants zubereitet.«
»Ich meinte ja auch den Besitzer dieser armseligen Kaschemme. Sag mal, alter Freund, warum gehörst du eigentlich keinem guten Klub an?«
»Ich? Soll ich einen Haufen Geld für etwas bezahlen, das nur zweifelhaften Gewinn verspricht?«
»Ich meine einen wirklich guten Klub, den ich dann als dein Gast mit meiner Anwesenheit beehren könnte, im Austausch für ein üppiges Mahl. Aber nein«, fügte er mißmutig hinzu, »das ist natürlich nur ein verrückter Traum. Welcher gute Klub würde sein Ansehen gefährden wollen, indem er dich als Mitglied aufnimmt?«
»Jeder Klub, der dich als Gast akzeptiert, würde sicher auch mich -«, setzte ich an, doch George war bereits tief in Gedanken versunken.
»Ich erinnere mich«, sagte er mit glänzenden Augen, »daß ich eine Zeitlang mindestens einmal im Monat in einem Klub gespeist habe, der das verschwenderischste und aufwendigste Büfett anrichtete, das seit Lukullus' Zeiten die ächzenden Tische geziert hat.«
»Ich nehme an, du hast dich von jemandem einladen lassen?«
»Ich weiß nicht, wie du auf diese. Schlußfolgerung kommst, aber rein zufällig hast du recht. Alistair Tobago Crump VI. war das eigentliche Mitglied dieses Klubs, und was noch wichtiger war, er hat mich hin und wieder eingeladen, ihn dorthin zu begleiten.«
»George«, sagte ich, »wird das wieder so eine Geschichte, in der du gemeinsam mit Azazel irgendeine arme Seele in die Abgründe des Elends und der Verzweiflung stürzt, in einem irregeleiteten Versuch, ihm zu helfen?«
»Ich weiß nicht, worauf du anspielst. Wir haben ihm gegeben, was er sich wünschte, und zwar aus reiner Freundlichkeit und einer grundsätzlichen Liebe zur Menschheit - und meiner etwas weltlicheren Liebe zum Büfett. Aber laß mich dir die Geschichte von Anfang an erzählen.«
Alistair Tobago Crump VI. war von Geburt an Mitglied des Klubs Eden, denn sein Vater Alistair Tobago Crump V. hatte den Namen seines Sohnes in die Mitgliederliste eingetragen, sobald er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, daß der Arzt das Geschlecht des Neugeborenen richtig bestimmt hatte. Alistair Tobago Crump V. war ebenfalls von seinem Vater in die Liste eingetragen worden. Diese Tradition ließ sich bis in jene Zeit zurückverfolgen, als Bill Crump aus einem Rausch aufwachte, nur um festzustellen, daß er sich als Matrose auf einem Schiff der britischen Marine befand und zu jener Flotte gehörte, die 1664 New Amsterdam von den Holländern befreite.
Zufälligerweise ist Eden der exklusivste Klub des nordamerikanischen Kontinents. Er ist so vornehm, daß nur seine Mitglieder und einige wenige Gäste überhaupt von seiner Existenz wissen. Nicht einmal ich weiß, wo er sich befindet, denn auf dem Weg dorthin wurden mir stets die Augen verbunden, und ich fuhr in einem Einspänner mit Milchglasfenstern. Ich kann dir lediglich sagen, daß die Hufe des Pferdes kurz vor der Ankunft über ein Stück Kopfsteinpflaster klapperten.
Niemand konnte Mitglied des Eden werden, dessen Herkunft sich nicht auf beiden Seiten der Familie bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen ließ. Und nicht nur die Herkunft spielte eine Rolle. Man mußte eine makellos weiße Weste haben. George Washington wurde mit einstimmigem Beschluß ausgeschlossen, da er unleugbar gegen seinen königlichen Herrscher aufbegehrt hatte. Dieselben Anforderungen wurden auch an alle Gäste gestellt, und davon blieb ich natürlich nicht verschont. Im Unterschied zu dir bin ich nicht gerade erst aus Dobrudja oder Herzegowina oder irgendeinem anderen abgelegenen Ort in dieses Land eingewandert. An meiner Herkunft ist nicht zu rütteln, da all meine Vorfahren seit dem 17. Jahrhundert diese Nation unsicher gemacht haben. Außerdem haben sie alle wie ein Mann die Sünden von Rebellion, Illoyalität und unamerikanischem Handeln vermieden, indem sie im Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg stets für beide Seiten gleichzeitig gejubelt haben.
Mein Freund Alistair war über alle Maßen stolz auf seine Mitgliedschaft. Häufig sagte er zu mir (denn er war einer jener klassischen Langeweiler, die sich ständig selbst wiederholen): »George, der Klub Eden ist Nerv und Sehne meines Wesens, das Herz meines Daseins. Wenn ich alles besäße, was Reichtum und Macht mir beschaffen können, und hätte Eden nicht, so wäre ich doch nichts.«
Natürlich besaß Alistair alles, was Reichtum und Macht ihm beschaffen konnten, denn eine weitere Bedingung für die Mitgliedschaft im Eden war großer Reichtum. Schon allein die jährlichen Beiträge machten das unabdingbar. Doch auch das war nicht genug. Der Reichtum mußte durch Erbschaft erworben worden sein, er durfte nicht verdient werden. Jedes Anzeichen dafür, daß man tatsächlich einer bezahlten Arbeit nachging, schloß eine Mitgliedschaft grundsätzlich aus. Nur der Umstand, daß mein Vater es versäumt hatte, mir mehrere Millionen Dollar zu hinterlassen, verwehrte mir den Zugang zum Klub, obwohl ich niemals soweit gesunken bin, für mein Einkommen zu - Sag nicht: »Ich weiß«, alter Freund. Woher solltest du das wohl wissen?
Natürlich war nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Mitglied sein Einkommen durch interessante Methoden vermehrte, die keine bezahlte Arbeit einschlössen. Immerhin blieben solche Möglichkeiten wie Börsenspekulation, Steuerhinterziehung und Schiebung, die den Reichen im Blute liegen.
All das wurde von den Mitgliedern des Eden sehr ernst genommen. Es hat Mitglieder gegeben, die in einem unerklärlichen Anfall von vorübergehender Ehrlichkeit all ihr Geld verloren hatten und lieber eines langsamen Hungertodes starben, als sich Arbeit zu suchen und dadurch ihre Mitgliedschaft im Klub zu verlieren. Ihre Namen werden immer noch in ehrfurchtsvollem Tonfall erwähnt, und im Klubhaus finden sich Plaketten zu ihren Ehren.
Nein, natürlich hätten sie sich kein Geld von den anderen Mitgliedern leihen können. Typisch, daß du so etwas vorschlägst. Jedes Klubmitglied weiß, daß man von einem Reichen kein Geld leiht, solange es unzählige arme Menschen gibt, die nur darauf warten, betrogen zu werden. Selbst in der Bibel steht: »Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch«, und wer wollte behaupten, daß die Mitglieder des Eden nicht fromme Christen sind.
Und dennoch war Alistair nicht vollkommen glücklich, denn die Klubmitglieder neigten leider dazu, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich habe dir ja schon erzählt, daß er ein Langeweiler war. Weder verfügte er über die Fähigkeit, eine Unterhaltung interessant zu gestalten, noch über Intellekt oder eine eigenständige Meinung. Ja, selbst in einem Klub, dessen Mitglieder sich hinsichtlich Witz und Originalität auf dem Niveau von Viertklässlern befanden, stach er als besonders stumpfsinnig heraus.
Du kannst dir vorstellen, wie sehr es ihn verdroß, Abend für Abend im Eden zu sitzen und inmitten einer Menschenmenge allein zu sein. Die Wellen der Unterhaltung brandeten über ihn hinweg, benetzten ihn jedoch nicht. Dennoch ließ er nie einen Klubabend aus. Selbst als er einmal starken Durchfall hatte, ließ er sich dorthin fahren, um seinen Ruf als »der eiserne Crump« nicht zu verlieren. Dies trug ihm durchaus die Bewunderung der anderen Klubmitglieder ein, wenn sie es auch aus irgendeinem Grund nicht richtig zu würdigen wußten.