Natürlich war es ihm hin und wieder vergönnt, mich als seinen Gast zum Klubabend mitzunehmen. Meine Herkunft war tadellos, meine aristokratische Tradition als überzeugter Nicht-Verdiener wurde von allen bewundert, und als Dank für das beste Essen und die gediegenste Atmosphäre auf Crumps Kosten ließ ich mich dazu herab, mich mit ihm zu unterhalten und über seine unsäglichen Witze zu lachen. Und bald wurde mir klar, daß ich den Ärmsten aus den tiefsten Tiefen meines großen Herzens bedauerte.
Es mußte irgendeinen Weg geben, um ihn zum Mittelpunkt des Abends zu machen, zur Krone des Eden, zu dem Mann, mit dem jedes Klubmitglied seine Zeit verbringen wollte. Ich stellte mir vor, wie sich alte und ehrwürdige Klubmitglieder mit arthritischen Fäusten um die Ehre prügelten, beim Abendessen neben ihm sitzen zu dürfen.
Schließlich war Alistair die Anständigkeit in Person, in jeder Beziehung ein Mitglied des Eden: Er war groß, schlank, sein Gesicht besaß den Ausdruck eines wiederkäuenden Pferdes, er hatte strähniges blondes Haar, blaßblaue Augen und den trüben Blick konservativer Rechtschaffenheit eines Mannes, dessen Vorfahren stets große Stücke auf sich gehalten haben und innerhalb der eigenen Sippe heirateten. Alles, was ihm fehlte, war auch nur der Anschein davon, daß er irgendetwas Interessantes sagen oder tun könnte.
Doch dem ließ sich sicherlich abhelfen. Es war ein Fall für Azazel.
Zum ersten Mal war Azazel nicht verärgert darüber, daß ich ihn aus seiner mystischen Welt herbeigerufen hatte. Anscheinend hatte er sich gerade auf irgendeinem Festessen befunden und war an der Reihe gewesen, die Rechnung zu begleichen. Fünf Minuten bevor diese Rechnung eintreffen sollte, hatte ich ihn herbeigerufen. Er kicherte mit seinem Fistelstimmchen, denn wie du weißt, ist er nur zwei Zentimeter groß.
Er sagte: »Wenn ich in fünfzehn Minuten zurückkehre, wird sich schon jemand anderes dazu bereit gefunden haben, diese Rechnung zu bezahlen.«
Ich sagte: »Wie wirst du ihnen deine Abwesenheit erklären?«
Er richtete sich zu seiner ganzen winzigen Größe auf, und sein Schwanz zuckte. »Ich werde ihnen die Wahrheit erzählen: Daß ich zu einem Treffen mit einem extragalaktischen Ungeheuer von außergewöhnlicher Dummheit gerufen wurde, das dringend meiner Intelligenz bedurfte. Was willst du denn dieses Mal?«
Ich erzählte es ihm, und zu meiner Überraschung brach er in Tränen aus. Jedenfalls strömten winzige rote Tropfen aus seinen Augen. Ich vermute, daß das Tränen waren. Eine geriet mir in den Mund, und sie schmeckte furchtbar -wie billiger Rotwein. Zumindest glaube ich das, denn ich bin nie soweit gesunken, billigen Rotwein zu trinken.
»Wie traurig«, sagte er. »Ich kenne auch ein ehrenwertes Wesen, das ständig von anderen vor den Kopf gestoßen wird, die ihm weit unterlegen sind. Ich finde, es gibt kaum etwas Tragischeres.«
»Und wer ist das? Dieses Wesen, das die anderen vor den Kopf stoßen, meine ich.«
»Na, ich«, sagte er und schlug sich so heftig gegen die Brust, daß ein Quieksen daraus hervordrang.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte ich. »Du?«
»Kaum zu glauben, ich weiß«, sagte er, »aber es ist dennoch wahr. Verfügt dein Freund über irgendeine Fähigkeit, die vielversprechend wäre?«
»Nun, er erzählt Witze. Oder er versucht es zumindest. Sie sind furchtbar. Er leiert sie herunter, zögert die Pointe grundlos hinaus und vergißt sie dann. Ich habe schon oft gesehen, wie einem starken Mann angesichts seiner Witze die Tränen kamen.«
Azazel schüttelte den Kopf. »Schlimm. Sehr schlimm. Zufälligerweise bin ich ein sehr guter Witzeerzähler. Habe ich dir schon einmal davon erzählt, wie ein Plocks und ein Dschinniram gerade miteinander andesantorierten, und der eine von ihnen sagt -«
»Ja, hast du«, log ich schnell, »aber laß uns zu Crumps Fall zurückkehren.«
Azazel fragte: »Gibt es eine einfache Technik, mit der man das Erzählen eines Witzes verbessern kann?«
»Eine gewisse Zungenfertigkeit natürlich«, erwiderte ich.
»Natürlich«, sagte Azazel. »Eine einfache Divalinierung der Stimmbänder sollte diesen Zweck erfüllen - vorausgesetzt, ihr Barbaren besitzt Stimmbänder.«
»In der Tat. Und dann natürlich die Fähigkeit, verschiedene Akzente zu imitieren.«
»Akzente?«
»Sprachvarianten, die nicht der Hochsprache entsprechen. Ausländer, die eine Sprache nicht im Kindesalter, sondern erst später in ihrem Leben lernen, machen unweigerlich Fehler bei der Aussprache der Vokale, bei der Wortstellung, der Grammatik und so weiter.«
Azazels winziges Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck blanken Entsetzens. »Aber das ist eines der schlimmsten Vergehen«, sagte er.
»Nicht auf unserer Welt«, erwiderte ich. »Obwohl es dazu erklärt werden sollte.«
Azazel schüttelte traurig den Kopf. »Hat dein Freund schon einmal von diesen grausigen Dingen gehört, die du Akzente nennst?«
»Sicher. Jeder, der in New York lebt, hört die ganze Zeit über die unterschiedlichsten Akzente. Korrektes Englisch wie das meine hört man dagegen fast nie.«
»Ah«, sagte Azazel. »Ich muß also lediglich sein Gedächtnis skapulieren.«
»Was willst du mit seinem Gedächtnis tun?«
»>Skapulieren<, das bedeutet >schärfen<. Es geht auf das Wort >Skapos< zurück, das den Zahn eines Sum-fressenden Diridschinn bezeichnet.«
»Und das wird ihn in die Lage versetzen, beim Witzeerzählen einen Akzent zu imitieren?«
»Es funktioniert nur mit Akzenten, die er im Laufe seines Lebens schon einmal gehört hat. Schließlich, haben meine Kräfte ihre Grenzen.«
»Na dann skapulier ruhig los.«
Eine Woche später traf ich Alistair Tobago Crump VI. an der Ecke Fifth Avenue und dreiundfünfzigste Straße und suchte in seinem Gesicht vergeblich nach Anzeichen eines kürzlich errungenen Triumphs.
»Alistair«, sagte ich, »hast du in letzter Zeit mal ein paar Witze erzählt?«
»George«, erwiderte er, »niemand hört mir zu. Manchmal glaube ich, daß meine Witze kaum besser sind als die eines jeden Durchschnittsmenschen.«
»Nun, dann hör mir mal zu. Begleite mich in ein kleines Etablissement, das ich kenne. Ich werde dich auf lustige Art und Weise ankündigen, und dann stehst du auf und sagst einfach, was dir gerade in den Kopf kommt.«
Ich kann dir versichern, alter Freund, es war nicht leicht, ihn dazu zu überreden. Ich mußte meine ganze unwiderstehliche Persönlichkeit in die Waagschale werfen. Schließlich hatte ich jedoch Erfolg.
Ich brachte ihn in eine ziemlich miese Spelunke, die ich durch Zufall kenne. Um dir eine Vorstellung davon zu geben, wie heruntergekommen sie ist: Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den Restaurants, in die du mich zum Essen einlädst.
Zufälligerweise kenne ich auch den Manager dieser Spelunke, was durchaus von Vorteil war, und ich überredete ihn zu einem kleinen Experiment.
Um 23:00 Uhr, als die Stimmung ihren Höhepunkt erreichte, erhob ich mich von meinem Platz und brachte das Publikum durch mein würdevolles Auftreten zum Verstummen. Es waren nur elf Personen anwesend, doch ich glaubte, daß dies für mein Experiment ausreichen würde.
»Meine Damen und Herren«, sagte ich, »unter uns befindet sich ein Herr von großem Verstand, ein Meister unserer Sprache, den Sie sicher alle sehr gern kennenlernen würden. Sein Name ist Alistair Tobago Crump VI., und er ist Englischprofessor am Columbia College und Autor des Buches >Der Weg zum perfekten Englische Professor Crump, dürfte ich Sie bitten, aufzustehen und einige Worte an die hier versammelten Intellektuellen zu richten?«