»Wie poetisch«, warf ich ein.
»Und weißt du, was er darauf geantwortet hat? Er hat gesagt: >Also gut, meine Liebe. Dann fahre ich eben ohne dich.< Dann hat er etwas Komisches gesagt, das gar keinen Sinn ergab. Er sagte: >Ob zu den Toren der Hölle, ob zum himmlischen Schrein, der reiset am schnellsten, wer reiset allein! Was soll das bedeuten? Was meint er mit den Toren der Hölle? Was hat das mit einem himmlischen Schrein zu tun? Hält er sich für den Allmächtigen persönlich?«
»Das ist Kipling«, erwiderte ich.
»Erzähl keinen Blödsinn. Ich habe nie gekippelt, also sag mir nicht, er hätte es getan. Er kann es ja kaum in der Missionarstellung. Ich habe ihm angedroht, mich von ihm scheiden zu lassen und ihn ordentlich abzuzocken. Und er sagte: >Wie du willst, mein grenzdebiler Liebling, aber du hast nichts gegen mich in der Hand und du wirst nichts bekommen. Das einzige, was für mich zählt, sind meine Reisen.< Ist das zu fassen? Und das mit dem >grenzdebil<. Er hat immer noch versucht, mir zu schmeicheln.«
Du mußt wissen, mein alter Freund, daß das einer meiner ersten Aufträge an Azazel gewesen ist, und dabei ist er noch ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Allerdings hatte ich tatsächlich darum gebeten, daß Sophokles hin und wieder ohne seine Frau verreisen würde.
Es blieben immer noch die Vorzüge einer solchen Situation, die ich von Anfang an vorausgesehen hatte. »Bumm-Bumm«, sagte ich, »laß uns über die Scheidung reden, wenn wir auf dem Weg nach Asbury -«
»Und du, du jämmerlicher Waschlappen. Ob du ihn verhext hast oder was auch immer, ist mir egal. Bleib mir vom Leib, denn ich kenne jemanden, der dich zu Brei zermanschen wird, wenn ich ihm nur ein Zeichen gebe. Und kippeln tut er auch, er kann nämlich alles.«
Ich fürchte, Bumm-Bumm war ein wenig Plem-Plem geworden, allerdings nicht auf die Weise, wie ich es mir gewünscht oder ihrer Figur und ihrem Stil gemäß erwartet hatte.
Ich rief Azazel herbei, doch alle Versuche, die Veränderungen rückgängig zu machen, schlugen fehl. Und er weigerte sich strikt, irgendetwas zu unternehmen, um mir Bumm-Bumm gewogener zu machen. Er sagte, das würde jeden überfordern. Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat.
Allerdings behielt er Sophokles für mich im Auge. Die Reiselust des Mannes wuchs noch weiter an. Er überquerte zu Fuß die Rocky Mountains. Mit Wasserskiern fuhr er den Nil hinauf bis zum Viktoriasee. Dann überflog er die Antarktis mit einem Drachen.
Als Präsident Kennedy 1961 ankündigte, daß wir bis zum Ende des Jahrzehnts den Mond erreichen würden, sagte Azazeclass="underline" »Das sind immer noch Auswirkungen meines kleinen Eingriffs.«
Ich sagte: »Du meinst, die Veränderungen, die du in seinem Gehirn vorgenommen hast, geben ihm Macht über den Präsidenten und das Raumfahrtprogramm?«
»Er macht das natürlich nicht absichtlich«, erwiderte Azazel, »aber ich habe dir ja gesagt, er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen.«
Und der Gute ist tatsächlich zum Mond geflogen. Erinnerst du dich noch an die Apollo 13, die 1970 angeblich auf dem Weg zum Mond eine Panne hatte, so daß die Mannschaft es beinahe nicht mehr zur Erde zurückgeschafft hätte? In Wirklichkeit war Sophokles als blinder Passagier mit an Bord gewesen und mit einem Teil des Schiffes zum Mond geflogen. Den Rest des Schiffes hat er der Mannschaft überlassen, damit diese mehr schlecht als recht zur Erde zurückkehren konnte.
Seither befindet er sich auf dem Mond und reist auf seiner Oberfläche umher. Zwar hat er keine Luft, keine Nahrung und kein Wasser, aber inzwischen muß er sich so sehr an das ständige Reisen gewöhnt haben, daß ihn das nicht mehr kümmert. Möglicherweise ist es ihm sogar schon gelungen, zum Mars weiterzureisen - oder irgendwo anders hin.
George schüttelte den Kopf. »Wie ironisch. Wie ironisch.«
»Was ist daran ironisch?« fragte ich.
»Verstehst du denn nicht? Der arme Sophokles Moskowitz! Er ist eine neue und verbesserte Version des Ewigen Juden, und dabei ist er noch nicht einmal orthodox.«
George legte sich eine Hand über die Augen und tastete mit der anderen nach seiner Serviette. Dabei griff er versehentlich nach dem Zehn-Dollar-Schein, den ich dem Kellner hingelegt hatte. Er wischte sich mit der Serviette die Augen - was mit dem Zehn-Dollar-Schein geschah, habe ich jedoch nicht gesehen. Als er immer noch schluchzend das Restaurant verließ, war der Tisch leer.
Ich seufzte und holte einen weiteren Zehn-Dollar-Schein aus meiner Tasche.
Ansichtssache
George und ich saßen auf einer Bank an der Hafenpromenade und ließen die Blicke über den breiten Strand und das funkelnde Meer in der Ferne schweifen. Ich gab mich dem unschuldigen Vergnügen hin, die jungen Damen in ihren Bikinis zu beobachten und fragte mich, ob das Leben für sie auch nur die Hälfte der Schönheit bereithielt, die sie selbst spendeten.
Da ich George gut kannte, ging ich davon aus, daß seine eigenen Gedanken längst nicht von derlei edlen, rein ästhetischen Motiven beherrscht sein würden wie die meinen. Ich war überzeugt, daß sie um nützlichere Dinge kreisen würden, denen man diese jungen Damen zuführen konnte.
Daher war meine Überraschung nicht eben gering, als ich ihn sagen hörte: »Alter Freund, hier sitzen wir und genießen die Schönheit der Natur in Form des göttlichen weiblichen Körpers - um einen treffenden Ausdruck zu prägen -, und doch kann wahre Schönheit gewiß nicht so offenkundig sein. Schließlich ist wahre Schönheit so kostbar, daß sie vor den Augen trivialer Beobachter verborgen sein muß. Hast du daran jemals gedacht?«
»Nein«, sagte ich, »daran habe ich nie gedacht, und jetzt, wo du es erwähnst, denke ich eigentlich immer noch nicht daran. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß du jemals daran gedacht hast.«
George seufzte. »Mit dir zu reden, alter Freund, ist so, als würde man in Molasse schwimmen - sehr wenig Lohn für große Anstrengung. Ich habe gesehen, wie du diese hochgewachsene Göttin dort beobachtet hast, deren hauchdünne Textilstreifen kaum jene wenigen Quadratzentimeter verbergen, die sie vorgeblich bedecken sollen. Dir ist doch gewiß bewußt, daß sie damit nur rein Oberflächliches zur Schau stellt.«
»Ich habe nie viel vom Leben erwartet«, sagte ich auf die mir eigene bescheidene Weise. »Ich gebe mich durchaus mit derlei Oberflächlichkeiten zufrieden.«
»Stell dir vor, um wieviel schöner eine auch nur mittelmäßig mit Reizen ausgestattete junge Frau selbst für das ungeübte Auge eines Menschen wie dir sein müßte, wenn sie über Eigenschaften wie Güte, Selbstlosigkeit, Fröhlichkeit, Fleiß und Mitgefühl für andere verfügen würde - kurzum, alle Tugenden, die einer Frau Anmut und Würde verleihen.«
»Ich glaube allmählich, George«, sagte ich, »daß du betrunken bist. Was, um alles in der Welt, kannst du schon von derlei Tugenden wissen?«
»Ich bin bestens mit ihnen vertraut«, antwortete George gekränkt, »da ich sie ununterbrochen und in großem Maße praktiziere.«
»Zweifellos«, sagte ich, »nur in der Abgeschiedenheit deiner eigenen vier Wände und im Dunkeln.«
Deine unhöfliche Bemerkung will ich überhört haben [sagte George], muß aber dennoch erklären, daß ich diese Tugenden, selbst wenn ich sie nicht aus persönlicher Erfahrung kennen würde, durch meine Bekanntschaft mit einer jungen Frau namens Melisandc Ott, geborene Meli-sande Renn, kennengelernt hätte, die von ihrem liebevollen Ehemann Octavius nur Maggie genannt wird. Ich kannte sie ebenfalls als Maggie, denn sie war die Tochter eines guten Freundes von mir, der mittlerweile leider verschieden ist, und sie betrachtete mich stets als ihren Onkel George.